Berliner Regierungsberater stufen China als „Pionier“ bei der Digitalisierung des globalen Zahlungsverkehrs ein. Das könnte Beijing künftig Schutz gegen westliche Sanktionen bieten und die Dollardominanz schwächen.
Berliner Regierungsberater urteilen, China bemühe sich im Kampf gegen die US-Dollar-Dominanz um eine Führungsrolle bei der Digitalisierung des internationalen Zahlungsverkehrs, und dringen auf neue „Anstrengungen zur Internationalisierung und Digitalisierung des Euros“. Dies geht aus einer aktuellen Studie der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) hervor. Demnach strebt Beijing eine stärkere globale Rolle des chinesischen Yuan an – nicht zuletzt, um sich vom US-Dollar unabhängig zu machen und sich gegen eskalierende westliche Sanktionen zu wappnen, wie sie die USA und die EU gegen Russland verhängt haben. Laut dem Urteil der SWP kann sich China dabei auf Sympathien im globalen Süden stützen, der ohnehin im dollardominierten globalen Finanzsystem benachteiligt ist und ebenfalls mit Abneigung auf die Sanktionspraxis der westlichen Staaten blickt, die sich schon mehrmals auch gegen Schwellen- und Entwicklungsländer gerichtet hat. Das Streben, die US-Dollardominanz zu brechen, ist alt; es hat aber durch die exzessiven Russland-Sanktionen neuen Schwung gewonnen und besitzt mit dem BRICS-Bündnis einen möglichen organisatorischen Kern.
Handel ohne Dollar
Die Versuche der transatlantischen Staaten, Russland mit bislang singulären Sanktionen in den Ruin zu treiben, haben den Bestrebungen jenseits des Westens, die globale Dominanz des US-Dollar zu brechen, neue Dringlichkeit verliehen. Russland ist aufgrund der Tatsache, dass es mit den Sanktionen unter anderem von westlichen Währungen und vom internationalen Zahlungssystem SWIFT abgeschnitten wurde, gezwungen, für seinen Außenhandel Alternativen zu entwickeln. Dabei nutzt es mittlerweile mehrere Währungen. Die Umstellung verläuft alles andere als problemlos. Mitte vergangenen Jahres gab es etwa Schwierigkeiten im Handel mit Indien: Weil das Land viel mehr russisches Öl kauft, als es eigene Waren nach Russland liefert, blieb Moskau auf großen Mengen an Rupien sitzen, die außerhalb Indiens kaum genutzt werden können. Indien sperrt sich allerdings aus politischem Grund gegen eine Bezahlung in chinesischen Yuan.[1] Der chinesische Yuan wiederum wurde bereits im September für 75 Prozent des russischen Chinahandels und für gut 25 Prozent des russischen Handels mit anderen Staaten genutzt.[2] Er gewinnt auch sonst schnell an Bedeutung; sein Anteil an der Abwicklung des internationalen Handels insgesamt stieg von lediglich 1,9 Prozent im Januar 2023 auf 3,6 Prozent im Oktober 2023 an.[3]
Zahlungssysteme und Auslandsguthaben
Vorangetrieben wird die Arbeit an Alternativen zum US-Dollar nicht zuletzt von den BRICS. Diese haben bereits im vergangenen Jahr offiziell beschlossen, in ihrem Handel untereinander die Bezahlung in nationalen Währungen zu forcieren. Zudem bereiten sie die Einführung eines eigenen Zahlungssystems vor, das laut Angaben des russischen Präsidentenberaters Juri Uschakow auf Blockchain-Technologien basieren und dazu beitragen soll, die Bedeutung der BRICS im globalen Finanzsystem zu stärken.[4] Seit geraumer Zeit wird spekuliert, Saudi-Arabien, das zum 1. Januar offiziell den BRICS beigetreten ist [5], könne im Handel mit seinem bedeutendsten Erdölkunden China vom US-Dollar zum Yuan wechseln; dies wäre für den Petrodollar eine echte Gefahr. Im November 2023 vereinbarten Beijing und Riad einen Währungsswap, der einen Einstieg in einen solchen Wechsel ermöglichen könnte.[6] Für andere Aspekte ist bislang jedoch noch keinerlei Lösung in Sicht. Seit die westlichen Staaten Auslandsguthaben der russischen Zentralbank im Wert von rund 300 Milliarden US-Dollar eingefroren haben und jetzt sogar darüber nachdenken, sie teilweise oder gar ganz zu konfiszieren [7], wächst besonders in den Ländern des globalen Südens Abneigung dagegen, Guthaben im Westen zu deponieren. Eine Anlage in China gilt jedoch, weil der Yuan nicht frei konvertibel ist, bislang kaum als Option.
Die Internationalisierung des Yuan
China scheut zwar, wie eine ausführliche aktuelle Studie der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) konstatiert, den Übergang zu einer freien Konvertibilität des Yuan. Es legt aber, heißt es in der SWP-Untersuchung, „seit geraumer Zeit umfangreiche Bemühungen um eine stärkere Internationalisierung der eigenen Währung“ an den Tag.[8] Während es im Inland „die Entwicklung leistungsfähiger Finanz- und Kapitalmärkte“ sowie „ihre Öffnung für ausländische Anleger und Investoren“ anstrebe, solle im Ausland künftig der Yuan „mehr und mehr Verwendung finden“. „Meilensteine auf diesem langen Marsch“ seien „die Etablierung eines konvertiblen Offshore-RMB“ – Renminbi (RMB) ist der offizielle Name der chinesischen Währung, Yuan ihre zentrale Einheit wie etwa der US-Dollar in den USA –, der Abschluss von Währungsswap-Vereinbarungen wie etwa derjenigen mit Saudi-Arabien oder auch „die graduelle Flexibilisierung des Wechselkursregimes“.
Die Schwellenländerwährung
Dabei besitzt der Yuan laut Einschätzung der SWP „auf lange Sicht durchaus das Potential, sich zu einer gewichtigen internationalen Währung zu entwickeln“. Dies liege nicht zuletzt daran, dass „vor allem die Entwicklungs- und Schwellenländer des globalen Südens“ im gegenwärtigen, vom US-Dollar dominierten Weltwährungssytem „verwundbar“ seien.[9] So müssten sie faktisch regelmäßig „Anpassungslasten für eine US-Geld- und Fiskalpolitik“ übernehmen, die sich ausschließlich an US-Interessen orientiere. Zugleich seien sie in den Bretton Woods-Institutionen stark unterrepräsentiert und könnten deshalb „dort nur begrenzt Einfluss nehmen“. Vor allem aber habe „der Einsatz des Dollars (und des Euros, Yens und Pfunds) für Finanzsanktionen gegen Russland … das Missbehagen an der Dollar-Hegemonie und dem westlich dominierten Weltwährungssystem weiter verstärkt“. Das biete China die Chance, den Yuan „als alternative ‘Schwellenländerwährung‘ zu empfehlen, gewissermaßen als Gegengewicht zum Dollar“.
Der e-CNY
Besondere Bedeutung misst die SWP dabei der Tatsache bei, dass die Volksrepublik „Pionier“ in „Entwicklung und Einführung von digitalem Zentralbankgeld“ sei. Wie die Denkfabrik berichtet, hat China seine ersten konkreten Versuche mit einer digitalen Währung schon 2014 initiiert. Bereits 2016 kündigte Beijing an, „digitales Zentralbankgeld für den elektronischen Zahlungsverkehr“ einführen zu wollen. Umfangreiche Pilotprojekte mit dem e-CNY, dem elektronischen Yuan, begannen 2020 in vier Großstädten, darunter die High-Tech-Metropole Shenzhen.[10] Zukünftig, urteilt die SWP, „könnten die in China entwickelte Technologie und Infrastruktur“ wie auch „die dabei gesetzten Standards eines grenzüberschreitenden Zahlungsverkehrs mit Blockchain und in Echtzeit“ das zur Zeit dominierende „internationale Banken- und Clearingsystem kostengünstig ersetzen“. Gelinge dies, dann würde nicht zuletzt „die Verwundbarkeit des Landes gegenüber westlichen Finanzsanktionen abnehmen und die Volksrepublik in der Lage sein, ihrerseits wirksame Machtpotentiale gegenüber Drittländern aufzubauen“, sagt die SWP voraus.
Chinas Vorsprung als Ansporn
Die SWP rät dazu, Berlin solle der Entwicklung nicht tatenlos zuzusehen, sondern vielmehr „der Internationalisierung des Euros eine höhere politische Priorität“ einräumen und „auf europäischer Ebene entsprechende Weichen“ stellen: „Der Vorsprung der Volksrepublik“ bei der Einführung digitalen Zentralbankgeldes solle „Ansporn sein“, die „Anstrengungen zur Entwicklung eines digitalen Euros zu verstärken“.[11] Sonst könnten Berlin und die EU ins Hintertreffen geraten. Bundesbankpräsident Joachim Nagel teilte am Wochenende mit, er gehe fest davon aus, „dass wir den digitalen Euro in vier bis fünf Jahren haben“.[12] Ob das genügt, mit dem hohen Tempo der ökonomischen Entwicklung in China mitzuhalten, mag man bezweifeln.
[1] Elena Fabrichnaya, Nidhi Verma, Dmitry Zhdannikov: Currency clashes sour Russia’s oil trade with Asia. reuters.com 27.11.2023.
[2] George Glover: Russia is using China’s yuan to settle 25% of its trade with the rest of the world, reports say. markets.businessinsider.com 28.09.2023.
[3] Jennifer Sor: China and Russia have almost completely abandoned the US dollar in bilateral trade as the push to de-dollarize intensifies. markets.businessinsider.com 21.12.2023.
[4] BRICS expresses interests of global majority, says Russian presidential aide Ushakov. tass.com 05.03.2024.
[5] Die BRICS haben im vergangenen Jahr den Beitritt Argentiniens, Äthiopiens, Ägyptens, Saudi-Arabiens, der Vereinigten Arabischen Emirate und Irans genehmigt. Argentinien hat unter seinem neuen ultrarechten Präsidenten Javier Milei erklärt, dem Bündnis zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht beitreten zu wollen. Saudi-Arabien zögert den endgültigen Beitritt zur Zeit mit formalen Prozessen noch hinaus. Saudi Arabia has yet to decide on joining BRICS, South African envoy says. tass.com 26.02.2024.
[6] Aruni Soni: China and Saudi Arabia sign a $7 billion currency swap agreement, adding to de-dollarization push. markets.businessinsider.com 20.11.2023.
[7] S. dazu „Erträge, die niemandem zustehen“.
[8], [9], [10], [11] Hanns Günther Hilpert: Chinas währungspolitische Offensive. SWP-Studie 9. Berlin, März 2024.
[12] Bundesbank-Chef erwartet „digitalen Euro“ in vier bis fünf Jahren. oldenburger-onlinezeitung.de 24.03.2024.