Frauen und Männer sollen gleiche Rechte und Chancen haben. Dazu bekennen sich praktisch alle. Doch viele glauben auch: In Österreich sind Frauen schon so gut wie gleichberechtigt. Nachholbedarf gäbe es wenn, dann in anderen Kulturen. Doch wirft man einen Blick auf aktuelle Zahlen, sieht man schnell: Das stimmt nicht. Der Feminismus ist notwendig – auch heute und auch in Österreich. Hier sieben Gründe.
von Kontrast Redaktion
Bis zur tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern ist es noch ein langer Weg. Laut dem Gender Gap Report, den das Weltwirtschaftsforum im Oktober 2016 veröffentlicht hat, dauert es noch 170 Jahre, bis man von internationaler Geschlechtergerechtigkeit sprechen kann. Nach sieben Jahren, also im Jahr 2023, lautet die Prognose bis zu internationaler Geschlechtergerechtigkeit 131 Jahre. Die wirtschaftliche Gleichstellung wird laut Bericht erst im Jahr 2191 erreicht sein – also in knapp sieben Generationen.
Viel zu tun gibt es auch in Österreich. Vergleicht man die Fortschritte für Frauen zwischen 136 Ländern, so belegt Österreich gerade einmal den 52. Platz. Sieben Jahre später rückt Österreich lediglich auf Platz 47 vor.
Deshalb ist der Feminismus weiterhin notwendig. Solange wir Ungerechtigkeit nicht beseitigt haben, gilt es, sich an Simone de Beauvoir zu erinnern:
„Frauen die nichts fordern, werden beim Wort genommen: Sie bekommen Nichts.“
FRAUEN SIND BESSER AUSGEBILDET, VERDIENEN ABER UM EIN DRITTEL WENIGER
Auch im Jahr 2017 verdienen Frauen deutlich weniger als Männer. Dabei sind in Österreich Frauen statistisch gesehen besser gebildet. Frauen verdienen in der Privatwirtschaft deutlich weniger als ihre männlichen Kollegen. „Weil Frauen mehr Teilzeit arbeiten“, heißt es oft. Doch das stimmt nur zum Teil, denn wenn man nur die Vollzeiteinkommen vergleicht, sieht man: Pro Stunde bekommen weibliche Beschäftigte um 22 Prozent weniger bezahlt. Laut Stand von 2024 bekommt eine Frau, die Vollzeit arbeitet, 12,4 Prozent weniger für ihre Arbeit bezahlt, als ein Mann.
Und noch immer gibt es Stimmen, die das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen gerechtfertigt finden. So etwa Janusz Korwin-Mikke, polnischer Abgeordneter im Europäischen Parlament.
„Weil sie schwächer, kleiner und weniger intelligent sind, müssen sie weniger verdienen.“
„Women must earn less than men“ ⁉️
In 2017. In the European Parliament. Unbelievable… @IratxeGarper sets this misogynist straight. pic.twitter.com/YOHu684DLg
— S&D Group (@TheProgressives) March 2, 2017
BERUFE, IN DENEN FRAUEN ARBEITEN, WERDEN SCHLECHTER BEZAHLT
Es gibt auch heute noch Berufe, die als „Frauenberufe“ gelten. Und diese sind in den meisten Fällen deutlich schlechter bezahlt als jene Berufe, die als „Männerberufe“ gelten. Im Schnitt gibt es in Branchen, in denen vorwiegend Frauen arbeiten, 8 Euro weniger pro Stunde. Das gilt auch für Berufe, in denen akademische Abschlüsse gefordert sind: in Deutschland verdient eine Sozialarbeiterin 16 Euro die Stunde, ein Ingenieur dagegen 29 Euro. Die Ausbildung dauert gleich lang – beim Gehalt tut sich jedoch ein gewaltiger Spalt auf.
Wichtig ist es daher, die Tätigkeiten ökonomisch neu zu bewerten, findet Henrike von Platen, Unternehmensberaterin und Präsidentin des Frauennetzwerks Business and Professional Women:
„Es kann nicht sein, dass Menschen mit dem gleichen Schulabschluss genauso gut ausgebildet sind und ähnlich anstrengende Jobs haben, aber der eine wesentlich mehr bekommt als die andere. Warum bekommt ein Müllmann eine Zulage für das Heben schwerer Lasten und die Altenpflegerin nicht? Es geht darum, zu diskutieren und nachvollziehbar zu machen, wie Arbeit bewertet wird.“
Genau das hat Island per Gesetz verordnet: Die Vorschrift, gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit zu bezahlen, soll sexistische Unterbezahlung verhindern.
JE HÖHER DIE POSITION, DESTO WENIGER FRAUEN
Frauen verfügen häufiger als Männer über einen Studienabschluss und machen mit 46,8 % (Stand 2017) fast die Hälfte aller Erwerbstätigen aus. Trotzdem ist für die meisten Mitarbeiterinnen spätestens im Mittleren Management Endstation.
Frauen erkennen rasch, dass sie sich in den Netzwerken, die von Männern dominiert sind, nur schwer durchsetzen können: Während beim Berufseinstieg noch 43 % der Mitarbeiterinnen nach einem Chefposten streben, sind es nach fünf Jahren im Beruf nur noch 16 %. Bei Männern hingegen bleiben die Erwartungen konstant.
FRAUEN ARBEITEN MEHR UND VERDIENEN WENIGER
Die klassische Hausfrau ist selten geworden und dennoch: Frauen erledigen auch heute noch 73 % der Hausarbeit und 79 % der Kinderbetreuung. Für diese Arbeit werden sie nicht entlohnt, das heißt: Zwei Drittel der Arbeitszeit von Frauen ist unbezahlt.
Bei Männern ist es umgekehrt: Sie werden für den Großteil ihrer Arbeit bezahlt. Nur etwa ein Drittel der Arbeit, die Männer leisten, ist unbezahlte Haus- und Pflegearbeit.
@kontrast.at Frauen erleben in unserem System ihr blaues Wunder. #soschautsaus #pension #rente #rentner #frauentag #zahltag #arbeitsleben #blödgelaufen #realitycheck #fyp ♬ Originalton – Kontrast
Dass diese Schieflage belastend ist, zeigt sich oft erst, wenn Kinder da sind. Dann ist für viele Frauen die Zeit von Vollzeitarbeit, Überstunden und freier Verfügbarkeit vorbei, denn noch immer wird ihnen die Hauptverantwortung für Haus- und Betreuungsarbeit zugeschrieben. Und das bringt Nachteile gegenüber ihren männlichen Kollegen. Denn während Männer mit Kindern sogar zu höheren Arbeitszeiten neigen, reduzieren Frauen ihre Stunden, wenn Kinder da sind. Laut momentanem Bericht zur unterschiedlichen Zeitverwendung in Österreich wird deutlich, dass Frauen mit Kindern den Großteil unbezahlter Arbeit verrichten – genauso viel wie die Arbeit, für die Männer bezahlt werden.
Das zeigt sich auch in der Entwicklung der Lohnschere: die wird ab 30 immer größer. Beginnen Frauen noch mit 12 Prozent weniger Einkommen zu arbeiten, beträgt der Unterschied nach 15 Berufsjahren bereits 43 Prozent. Auch im Karriereverlauf gehen die Wege von Frauen und Männern ab dem Zeitpunkt der Familiengründung weit auseinander, so eine US-amerikanische Studie.
Dass Frauen auch dann noch mehr Haus- und Familienarbeit übernehmen, wenn sie das Haupteinkommen in der Familie verdienen, hat eine breit angelegten Studie von Cornelia Koppetsch und Sarah Speck gezeigt.
ABTREIBUNG: DAS RECHT AUF DEN EIGENEN KÖRPER WIRD INFRAGE GESTELLT
Frauen können auch nach wie vor noch nicht frei über die eigene Sexualität und den eigenen Körper bestimmen. Viele Frauen in Europa haben nicht die Möglichkeit, eine Schwangerschaft abzubrechen. Sehr restriktiv ist das Recht unter anderem in Polen, Irland und Malta.
Aber auch in Österreich wird neuerdings wieder über das Recht auf Abtreibung debattiert. Die letzte schwarz-blaue Bundesregierung unterstützt eine Initiative, die die Möglichkeit zum Schwangerschaftsabbruch wieder in Frage stellt.
GEWALT GEHÖRT FÜR VIELE FRAUEN IMMER NOCH ZUM ALLTAG
Laut einer Studie der EU-Grundrechtsagentur ist in Europa jede dritte Frau von körperlicher und sexueller Gewalt betroffen. Auch in Österreich betrifft das 35% der weiblichen Bevölkerung. Eine von 20 Frauen ist seit dem 15. Lebensjahr vergewaltigt worden. Diese Ausmaße schockieren – Gewalterfahrungen gehören für viele Frauen auch im Europa des 21. Jahrhunderts zum Alltag. Und die Übergriffe finden nicht etwa nachts im Park statt, wo Frauen von Fremden attackiert werden. Die Täter gehören großteils zur eigenen Familie.
In Österreich sind im Jahr 2018 41 Frauen ermordet worden. Im Jahr 2023 waren es 39. Ein großer Teil von ihrem Partner oder Expartner. Die Zusammenarbeit von Polizei, Sozialarbeit und Frauen- und Familienorganisationen wurde allerdings von Innenminister Kickl gestoppt. Frauenorganisationen und Familienberatungsstellen wurden unter der türkis-blauen Regierung die Budgets massiv gekürzt – gemeinsam um mehrere Millionen.
Dabei ist für viele Frauen die Flucht ins Frauenhaus ein letzter Ausweg. In Österreich gibt es 30 Frauenhäuser, 2015 suchten über 3.300 Frauen und Kinder in diesen Einrichtungen Schutz vor Gewalt. Über 7.200 Frauen ließen sich beraten.
ÜBERGRIFFE WERDEN VERHARMLOST, FRAUEN WIRD DIE SCHULD GEGEBEN
Drei Viertel aller Frauen wurden mindestens einmal in ihrem Leben sexuell belästigt. Belästigung findet in vielen Formen statt: per E-Mail, in sozialen Netzen, in der Schule, an der Universität, am Arbeitsplatz, in der Freizeit, zu Hause und auf der Straße. Belästigungen sind erniedrigend und verletzen die Würde der Betroffenen.
Dass Frauen – und nur sie alleine – entscheiden, wer sie anfassen darf, wird immer wieder in Abrede gestellt. Manche Politiker halten sexuelle Belästigung sogar für ein legitimes Mittel zur Partnerfindung:
In den USA konnte der amtierende Präsident sogar mit seinen verübten Belästigungen prahlen.
Doch selbst wenn Übergriffe als solche anerkannt werden, müssen sich Mädchen und Frauen häufig sogar dafür rechtfertigen, warum ihnen Gewalt angetan wurde. Der Rock war zu kurz, der Ausschnitt zu tief, die Tageszeit zu spät oder das „Nein“ nicht deutlich genug. Die Erklärungen, warum das Opfer Schuld hat, der Täter aber nicht (im Englischen spricht man vom victim blaming), sind vielfältig. Gemein haben sie, dass sie die Betroffenen schwächen.
Selbst bei Vergewaltigungen werden Täter in Schutz genommen. Laut einer Befragung im Zuge der Eurobarometer-Studie „Gender based violence“ finden 32% der Österreicher Vergewaltigungen unter Umständen gerechtfertigt – das ist fast jeder Dritte.
Zurecht fordern Feministinnen: Anstatt Frauen zu mahnen, nicht zum Opfer zu werden, sollten wir Männer mahnen, nicht zu Tätern zu werden.