Unternehmen in der Plastikbranche wussten anscheinend schon sehr früh, dass Recycling keine wirtschaftlich oder technisch machbare Lösung für die Entsorgung von Kunststoffabfällen ist. Dennoch warben sie dafür – und führten Konsument:innen und Politik in die Irre.
von Mira Dolleschka
Kunststoffhersteller:innen haben seit Jahrzehnten wissentlich die Öffentlichkeit über Recycling getäuscht, wie ein neuer Bericht des Center for Climate Integrity zeigt. Die aktuelle Studie stützt sich auf frühere Untersuchungen sowie auf neu aufgetauchte interne Dokumente, die das Ausmaß dieser jahrzehntelangen Lüge veranschaulichen.
Wundermittel Recycling
Plastik hat Tradition und wird auf der ganzen Welt eingesetzt. Lange Zeit lag der Fokus auf Einweg-Produkten, da diese billig und leicht zu produzieren waren. Als dann in den 1980er Jahren immer mehr Gemeinden anfingen, über Verbote für Einkaufstüten und andere Plastikprodukte nachzudenken, begann die Industrie eine neue Möglichkeit zu fördern: Recycling.
Das schien die Lösung aller Probleme. Man könne Plastik wieder einschmelzen und neu verwenden. Somit ließe sich Material sparen und die riesige Abfallmenge reduzieren – in der Theorie.
Jedoch ist Kunststoff, der aus Öl und Gas hergestellt wird, bekanntermaßen schwer zu recyceln. Dazu ist eine sorgfältige Sortierung erforderlich, da die meisten der Tausenden von chemisch unterschiedlichen Kunststoffsorten nicht zusammen recycelt werden können. Die notwendige Trennung der Stoffe macht ein ohnehin schon teures Verfahren noch teurer. Ein weiteres Problem ist, dass sich das Material bei jeder Wiederverwendung verschlechtert. Allgemein kann es also nur ein- oder zweimal eingeschmolzen werden, um wieder demselben Zweck zu dienen.
Wie der Bericht zeigt, haben Brancheninsider:innen in den letzten Jahrzehnten das Kunststoffrecycling mehrfach als „unwirtschaftlich“ bezeichnet. Dass es keine dauerhafte Lösung für feste Abfälle darstelle und nicht unbegrenzt weitergehen könne, war ihnen schon länger bekannt. Recycling verzögere lediglich den Zeitpunkt, bis ein Kunststoff-Gegenstand dann doch entsorgt wird. So steht es zum Beispiel in einem internen Bericht des Handelsverbands Vinyl Institute aus dem Jahr 1986.
Es ist noch nicht vorbei
Das Fehlverhalten der Plastikindustrie hält bis heute an, heißt es im Bericht. In den letzten Jahren haben Lobbygruppen verstärkt das sogenannte chemische Recycling gefördert. Dabei werden die Kunststoffmoleküle in kleinere Teilchen zerlegt, um neue Kunststoffe, synthetische Kraftstoffe und andere Produkte herzustellen. Dieser Prozess führt jedoch zu hoher Umweltverschmutzung und ist noch energieintensiver als das herkömmliche Kunststoffrecycling.
Der Bericht erscheint zu einem Zeitpunkt, an dem die Kunststoffindustrie und das Recycling in der Öffentlichkeit zunehmend kritisch analysiert werden. So leitete zum Beispiel der kalifornische Generalstaatsanwalt Rob Bonta vor zwei Jahren eine Untersuchung gegen die Hersteller fossiler Brennstoffe und petrochemischer Erzeugnisse ein, weil sie die globale Verschmutzungskrise durch Kunststoffe verursacht und verschlimmert haben.
Die Öffentlichkeit ist zunehmend besorgt über die Klimaauswirkungen der Kunststoffproduktion und -entsorgung, die 3,4 Prozent aller weltweiten Treibhausgasemissionen ausmachen. Auch die Entgleisung eines Zuges in Ohio (USA) im Februar 2023 hat zum öffentlichen Aufruhr beigetragen. Er transportiere große Mengen Vinylchlorid – einem krebserregenden Stoff, der zur Herstellung von Plastik verwendet wird. Aufgrund des Vorfalls wird nun verstärkt dessen Verbot gefordert.
2023 reichte der Bundesstaat New York außerdem eine Klage gegen PepsiCo ein. Sie besagt, dass die Einwegplastikprodukte des Unternehmens gegen gewisse Gesetze verstoßen und das Unternehmen die Verbraucher:innen über die Wirksamkeit des Recyclings getäuscht hat.
Dürfen sie das?
Der aktuelle Bericht beinhaltet zwar keine möglichen Gesetzesverstöße der Plastikunternehmen. Die Beweise aus den Untersuchungen legen jedoch nahe, dass Öl- und Petrochemieunternehmen sowie ihre Handelsverbände gegen Gesetze verstoßen haben, die die Öffentlichkeit vor irreführendem Marketing und Verschmutzung schützen sollen.
Laut Studienautor:innen ist es an der Zeit, die Unternehmen der Plastikbranche für den verursachten Schaden zur Verantwortung zu ziehen. Darin liege der erste Schritt zur Lösung des Problems, der viel zu lange nicht wahrgenommen wurde.
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