Wasser ist unser wichtigstes Lebens-Mittel, und zwar in jeder nur möglichen Hinsicht. Unsere Zukunft, der Friede und das Leben auf der Erde hängen davon ab, dass wir lernen, mit Wasser wesensgerecht umzugehen. (Ein Beitrag aus dem neuen Zeitpunkt.)

VON CHRISTA DREGGER

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Vor etwa 5 Milliarden Jahren: Unter all den Welten entsteht [zumindest] eine, in der sich unendlich viele Lebensformen wohl fühlen können. Wo die unterschiedlichsten klimatischen und geologischen Bedingungen Vielfalt gedeihen lassen und alle Wesen mit verschwenderischer Grosszügigkeit versorgen.

Dazu braucht es eine ganz besondere Zutat. Eine Substanz, die alles verbindet und in alle Winkel strömt: Wasser, das purste Lebens-Mittel überhaupt. Die Versorgung damit ist auf unserem Heimatplaneten, der nicht «Erde» sondern «Wasser» heissen sollte, nach dem Prinzip von Fülle und Grosszügigkeit geregelt: Die Wasserkreisläufe erreichen jede Region und jede Zelle, füllen Erde, Quellen und Flüsse, nähren Pflanzen, Wälder, Tiere und Menschen auf ihrem Weg des vielfach wiederholten Abregnens, Einsickerns, kapillaren Aufsteigens und Verdunstens. Festgehalten wird hier nichts, Wasser ist Bewegung. So frei will das Leben immer sein dürfen. Wenn wir verstehen, mit Wasser wesensgerecht umzugehen, dann bewahren wir das Leben.

Die Lakota brachten es auf die Formel: «Wasser ist Leben.» (s. S. 56) Auch heute noch lassen einige in einer Geste des Dankes bei jedem Glas Wasser ein paar Tropfen auf die Erde fallen.

Doch mit der Einführung von Pflugwirtschaft und Landbesitz begann die Zerstörung der Wasserkreisläufe. Und Wüstenbildung wiederum förderte die Ausbildung von patriarchalen und hierarchischen Kulturen, siehe die Forschung von James deMeo. Wasser wurde gespeichert, kanalisiert, gestaut – und knapp. Und je knapper etwas wird, desto wertvoller wird es als Ware.

Auf einer Weltwasserwoche hörte ich eine Anlagefonds-Managerin den anwesenden Finanzinvestoren versprechen: «Wasser wird zukünftig in Afrika ein fantastisch knappes Anlagegut sein», und sie stellte für wasserbezogene Investitionen jährliche Renditen von 25 Prozent in Aussicht.

Aber Wasser ist zu anarchisch, um sich so zu verhalten, wie es dem Kapitalismus passt.

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Im Süden Portugals: Hier habe ich 18 Jahre gelebt und das Leben in einer Region kennengelernt, der das Wasser ausgeht. Winterniederschläge werden weniger, Hitze und Dürre im Sommer unerträglich. Quellen versalzen, Flüsse versiegen, Wälder brennen. Dörfer müssen im Sommer mit Tankwagen versorgt werden, denn Tanks und Brunnen fallen trocken. Bauern können sich das teure Wasser der Staudämme nicht leisten und geben auf. Kommt das auch auf Mitteleuropa zu?

Auf einer Tagung des Weltwasserrates in Lissabon hörte ich Experten und Politiker darüber sprechen, dass die neue Weltordnung zwischen wasserreichen und wasserarmen Regionen unterscheiden werde – und dass man Südeuropa schon aufgegeben habe.

Das machte mich wütend: Wie kann man eine so grosse Region mit so vielen Menschen «aufgeben»? Warum verstärkt man die Situation noch – indem man im grossen Stil durstige Eukalyptusplantagen pflanzt, ganze Küstenstreifen der wasserintensiven Gewächshauskultur überlässt und küstennahe Schlüsselregionen abholzt, um Hotels und Campingplätze zu bauen?

Schuld sei der «Klimawandel» – dabei legen meteorologische Forschungen (wie von Prof. Millan Millan aus Valencia) nahe, dass es eine direktere Erklärung für das Ausbleiben des Regens gibt: Ohne Wälder entstehen Hitzeblockaden. Vom Meer kommende Wolken gelangen deshalb nicht über das Festland und treiben zurück, regnen über dem Wasser ab und erhöhen die Meeresspiegel. Das Land hingegen überhitzt. Die Abholzung in küstennahen Schlüsselregionen hat einen Effekt auf die Regenmuster bis nach Mitteleuropa.

Die Lösung liegt auf der Hand: Bodenversiegelung sowie Ableitung von Wasser via Kanalisation etc. vermeiden oder rückbauen, Böden mit Vegetation bedeckt halten, so dass sie viel Niederschlag aufnehmen können, ohne zu erodieren – an möglichst vielen Orten, in Stadt und Land. (Mehr dazu im Beitrag «Der globale Wasserplan» auf S. 54-55)

Doch wassergerechtes Handeln ist der Politik und der Wirtschaft fremd. Kriege um Wasser sind längst Realität, etwa in Nahost. (S. 48) Der Wasserkrieg von Bolivien brachte eine Regierung zum Sturz. Wasser gilt mittlerweile als Menschenrecht – allerdings wird es einem grossen Teil der Menschheit noch immer verwehrt: Nach Schätzungen von Unicef haben etwa 771 Millionen Menschen noch nicht einmal eine Grundversorgung mit Trinkwasser. 1,42 Milliarden Menschen leben in Gebieten mit insgesamt hoher oder extrem hoher Wasserunsicherheit, darunter 450 Millionen Kinder. Unser Wasserplanet ist dabei, sich in einen Wüstenplaneten zu verwandeln: Über 40 Prozent der globalen Landmasse zählen heute zu den Trockengebieten. Bis 2040 wird fast jedes vierte Kind auf der Welt in einer Region leben, das von extremer Trockenheit betroffen ist.

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Solothurn, Januar 2024: Ich stehe an der Aare, über mir dicke Wolken, die Luft trieft vor Feuchtigkeit: so ein Reichtum! Doch dieser Reichtum kann auch umschlagen: In vielen Regionen führt Starkregen nun fast in jedem Winter zu Überschwemmungen. Diese sind ebenso wie Dürren Ausdruck von gestörten Wasserkreisläufen. Das können wir – den politischen Willen vorausgesetzt – ändern!

Bis die Politik tätig wird, lasst uns selbst etwas tun. Am 22. März ist Weltwassertag. Ich lade ein, uns des Wassers bewusst zu werden. Wie geht es dem Wasser an unserem Wohnort? Woher kommt unser Trinkwasser? Wohin fliesst das Wasser, das unser Haus verlässt? Zu welchem Flusssystem gehören wir? Können wir einen oder mehrere Tage lang dem nächsten Fließgewässer folgen? Wie können wir es ehren? Etwa indem wir eine Schutzaktion für einen Bach organisieren? Oder ein Konzert? Oder indem wir – vielleicht nur an einem Baum vor der Haustür – dafür sorgen, dass Wasser wieder in die Erde einsickern kann? Ich verbinde das gerne mit einem kleinen Moment des Danks.

Der Originalartikel kann hier besucht werden