Barbara Marti für die Online-Zeitung INFOsperber
Ein Video ging um die Welt: Eine halbnackte, leblose junge Frau liegt blutend auf der Ladefläche eines Trucks, umringt von Männern, die sie anspucken, «Allahu Akbar» schreien und jubeln. Dieses Video steht symbolisch für die sexualisierte Gewalt, die vor allem junge Israelinnen beim Terrorangriff der Hamas erlitten. Die Kriegswaffe der Vergewaltigung ist uralt. Trotzdem gilt sie bis heute als nicht der Rede wert.
«Botschaft unter Männern»
Die US-Feministin Susan Brownmiller war die erste, welche die Funktion der Vergewaltigung in Kriegen analysierte. In ihrem Standardwerk «Gegen unseren Willen» schrieb sie vor fast fünfzig Jahren, dass sexualisierte Gewalt in bewaffneten Konflikten vor allem eine Botschaft unter Männern ist. Sie sei ein wesentlicher Bestandteil der Strategie, den Feind zu demoralisieren und zu erniedrigen.
«Frauen werden vergewaltigt, weil sie Frauen sind»
Vergewaltigungen habe es in Kriegen immer gegeben, schreibt Brownmiller: Frühgeschichtliche primitive Stämme führten Krieg, um sich Frauen zu beschaffen. Hebräer und Griechen vergewaltigten und entführten ebenfalls Frauen in Kriegen. Auch in den Religions- und Revolutionskriegen, in den Weltkriegen und den Kriegen vor- und nachher wurden Frauen vergewaltigt.
Vergewaltigungen in Kriegszeiten sind laut Brownmiller etwas anderes als andere Kriegshandlungen. Der Krieg ermögliche es patriarchalen Männern, ihre Verachtung von Frauen auszuleben. Die militärischen Strukturen und die Gewalt würden ihnen bestätigen, dass Frauen nur eine unwichtige Nebensache sind. Brownmiller: «Frauen werden im Krieg nicht deswegen zum Opfer von Vergewaltigungen, weil sie zum Feindeslager gehören, sondern weil sie Frauen sind.»
«Krieg gibt Erlaubnis zu vergewaltigen»
Mit dem Gewehr in der Hand fühlen Männer sich mächtig, schreibt Brownmiller. Siege mit Waffengewalt würden ihnen ein Machtgefühl vermitteln, von dem sie im Zivilleben nur träumen können. «Der Krieg gibt Männern im Namen des Sieges und der Macht aus den Gewehrläufen stillschweigend die Erlaubnis zu vergewaltigen.» Der eigentliche Impuls sei weniger ein strategischer Befehl und eher die Missachtung der körperlichen Integrität von Frauen. Viele Täter würden ihre Opfer umbringen, damit sie später nicht zur Rechenschaft gezogen werden können.
«Grösste Erniedrigung für Männer»
Militärisch haben Vergewaltigungen im Krieg laut Brownmiller den Zweck, den männlichen Gegner einzuschüchtern und zu demoralisieren. Für Männer sei die Vergewaltigung «ihrer Frauen» die grösste Erniedrigung. Sie soll ihnen signalisieren, impotent zu sein. Vergewaltigung durch siegreiche Soldaten zerstöre bei besiegten Männern ihre letzten Illusionen von Macht und Besitz. «Die Tat, die an der Frau verübt wird, ist eine Botschaft unter Männern – deutlicher Siegesbeweis für den einen, Dokument der Niederlage für den anderen.» Männer würden deshalb oft gezwungen, der Tat zuzuschauen.
«Kein wichtiges Thema»
Brownmiller kritisierte schon vor fast fünfzig Jahren, dass Vergewaltigungen in Kriegen nicht der Rede wert sind. Historiker und Journalisten würden sich meist die Mühe nicht machen, darüber zu berichten. Im Vietnamkrieg beispielsweise hätten nur wenige ausländische Korrespondenten Vergewaltigungen als wichtig und damit berichtenswert erachtet. Brownmiller kritisierte namentlich Peter Arnett, den Vietnam-Korrespondenten der Nachrichtenagentur Associated Press (AP). Der mit dem renommierten Pulitzer-Preis ausgezeichnete Journalist habe nie über Vergewaltigungen in Vietnam berichtet, obwohl er darüber informiert gewesen sei.
«Eisiges Schweigen der Friedensbewegung»
Brownmiller kritisierte in ihrem Buch auch die damalige Friedensbewegung. Mit ihrer Forderung, an Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg auch Vergewaltigungen zum Thema zu machen, sei sie auf eisiges Schweigen gestossen. Brownmiller: «Die Schlagworte der Antikriegsaktivisten hiessen damals ´Anti-Imperialismus´ und ´amerikanische Aggression´. Für sie bedeutete der Slogan ‘Schluss mit der Vergewaltigung von Vietnam’ Schluss mit der Erntevernichtung, aber nicht Schluss mit der Gewalt gegen Frauen.»
Dieses Denkmuster hat sich bis heute gehalten, wie die Debatten um die Gewalt der Hamas-Terroristen gegen Frauen zeigen. Es ist unverständlich, dass internationale Organisationen wie die Uno erst reagierten, nachdem israelische Feministinnen sie massiv unter Druck gesetzt hatten. Unverständlich ist es auch, wenn jetzt Kommentare in den Medien «den Feministinnen» vorwerfen zu schweigen. Israelische Feministinnen haben bereits kurz nach dem Hamas-Angriff ihre Stimme erhoben. Doch sie wurden wieder nicht gehört und zwar nicht nur von «den Feministinnen».