Urs Schnell für die Onlinezeitung Infosperber
Bei einer Rettung oder Sanierung dieser Mega-Bank müsste der Staat Hunderte von Milliarden bereitstellen.
Für die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS leistete der Bund eine Ausfallgarantie von 100 Milliarden. Auch bei einer Zwangssanierung hätte der Bund Milliarden garantieren müssen. Dafür war alles vorbereitet. Die Finma legte die Too-big-too-fail-Notfallpläne am Sonntagmorgen, 19. März 2023, dem Bundesrat verfügungsbereit vor. Es kam anders.
Im Hinblick auf die neue grosse UBS soll das eidgenössische Regelwerk nun verschärft werden. Denn eine Sanierung würde wesentlich mehr kosten als bei der CS. Dabei werden mächtige ausländische Behörden immer mitreden. Zuvorderst die USA, die in ihrem Finanzmarkt, dem grössten der Welt, nichts anbrennen lassen wollen.
Im Fall der Credit Suisse wäre ein Flächenbrand ausgebrochen. Er hätte die USA massiv betroffen. Global systemrelevante Banken haben eine Vielzahl von Tochtergesellschaften, die in einer Vielzahl von Ländern tätig sind. Über ausländische Tochtergesellschaften war die CS in den USA und in Grossbritannien äusserst aktiv, darunter mit dem hochrisikobehafteten Investmentbanking.
Komplexität als Gefahr und Treiber für Boni
Das Firmengeflecht der CS war nicht nur für Laien, sondern auch für Fachleute aus Wissenschaft und Medien kaum übersehbar. Als die Bank ins Trudeln geriet, verschärfte sich der Druck auf das Kapital- und Liquiditätsmanagement in der global verschachtelten Gruppenstruktur auch «aufgrund steigender lokaler regulatorische Anforderungen im Ausland», wie die Finma in ihren «Lessons Learned» in der Woche vor Weihnachten schrieb.
Die Komplexität des Konzerns nützte zum Beispiel der langjährige Finanzchef David Mathers aus. Der Brite verliess das sinkende Schiff letztes Jahr, nachdem er Boni in der Höhe von insgesamt über 50 Millionen Franken eingestrichen hatte, wie die «Bilanz» schätzt. Andere Medien schilderten, er habe ein kreatives Buchhaltungssystem mit über tausend Untergesellschaften geschaffen. Dieses System hätten in der Credit Suisse nur wenige verstanden. Seinen Zweck aber habe es jahrelang erfüllt, nämlich die internationalen Rechnungslegungsstandards einzuhalten. Ab 2016 war Mathers auch Chef eines der wichtigsten CS-Konglomerate in London, der Credit Suisse International CSi. Die CSi hatte per Ende 2022 ein sagenhaftes Nominalkapital von über 11 Milliarden Franken.
Operationen zum Schutz des Systems
Damit das internationale Finanzsystem möglichst nicht abstürzt, hat das Financial Stability Board FSB im Nachgang zum Kollaps von 2008 für Grossbanken globale Leitlinien aufgestellt (Infosperber vom 22.12.23). Sie zeigen auf, wie ins Wanken geratene Banken saniert oder abgewickelt werden können, ohne dass das Gesamtsystem, also das Netz der global verbundenen Finanzinstitute, zu Schaden kommt. Man könnte sagen: Sanierungs- und Abwicklungpläne der «Too big to fail» (TBTF)-Regulierung, auf Englisch unter dem Begriff Resolution zusammengefasst, zielen auf die gleiche Wirkung wie eine Krebsoperation: Der Tumor soll entfernt werden, damit er das übrige Gewebe nicht infiziert.
Wegen der geschilderten Vernetzung der Credit Suisse war die Finma nicht der alleinige Akteur beim Vorbereiten der Notfallpläne. Der Financial Stability Board (FSB) sieht für eine Bank in der Krise eine sogenannte Crisis Management Gruppe vor. Ab Oktober 2022 setzte die Finma eine solche Krisengruppe für Credit Suisse in Gang und zog hochrangige Vertreter der weltweit mächtigsten Finanzbehörden mit ein. In den USA die Zentralbank Fed und die Einlagensicherungsbehörde FDIC (Federal Deposit Insurance Corporation), in Grossbritannien die Zentralbank Bank of England.
Die Rolle des SEC
Im November 2022 stiessen Vertreter des New York State Department of Financial Services NYDFS und der Securities Exchange Commission SEC dazu. Das NYDFS hatte die Rechtshoheit über die in New York angesiedelte Credit Suisse Holdings (USA) Inc. und hätte hier Liquidität via Fed einschiessen können. Falls in die vorgesehene Sanierung oder Abwicklung ein US-Broker-Dealer involviert gewesen wäre, hätte die SEC «unterstützend» gewirkt, wie das FSB in einem eigenen Bericht vom 10. Oktober 2023 schreibt. Diese Unterstützung hätte die SEC auch für Wertpapiere leisten müssen, die auf dem US-Markt ausgegeben wurden und – im Falle einer Krise – für die Umwandlung in neues Kapital vorgesehen waren. Diese Wertpapiere tragen den Namen Bail-in Bonds und spielen in jedem Sanierungsplan für systemrelevante Banken eine wesentliche Rolle.
Bei der Credit Suisse hatten diese Bail-in Bonds eine Höhe von 57 Milliarden Franken. Sie wären anlässlich einer Sanierung zusammen mit den AT1 Bonds in neues CS-Kapital gewandelt worden. Wie hoch die Summe der Bonds unter US-Jurisdiktion waren, wollte die UBS als neue Eigentümerin der CS nicht sagen. Aus UBS-internen Kreisen verlautet aber, dass vier Bonds dem New York Recht und zwei Bonds englischem Recht unterstehen. Sie seien von renommierten US- und UK-Kanzleien bestätigt und von der Finma als Wandlungskapital genehmigt worden.
Zwischen den Zeilen lesen
Die Haltung der US-Behörden ist damit nicht geklärt. Dem FSB-Bericht ist zu entnehmen, dass der internationale Austausch in der Crisis Management Group CMG gut funktionierte. Doch wer vertrat in dieser CMG welche Positionen? Was sagten die US-Amerikaner, was die Engländer? Davon steht im internationalen Bericht des FSB nichts. Es wird nur auf die sogenannten Key Attributes verwiesen, die das FSB für den Fall einer Resolution vorgibt:
«Authorities are expected, when choosing the resolution strategy for a particular firm, to have assessed its systemic impact considering a scenario with potential adverse market conditions, in line with Annex I-3, section 5 of the Key Attributes, which refers to the assessment of systemic impact.»
Weiter nimmt der FSB-Bericht Bezug auf den Finanzstabilitätsbericht der Schweizerischen Nationalbank vom Juni 2023:
«At the time of the failure of Credit Suisse, the Swiss authorities had concerns that the application of the bail-in tool in the volatile market conditions following the failures of several US banks in mid-March 2023 could give rise to financial stability issues and could be accompanied by several knock-on effects in Switzerland and globally.»
Das FSB zeigte sich trotzdem überzeugt, dass die Sanierungs- und Abwicklungspläne der Finma einen glaubwürden Weg gewiesen hätten («a credible alternative path»). Um aber sofort zu relativieren:
«(…) it may be useful for authorities to gain greater visibility into the potential impact of bail-in on financial markets, in line with the systemic assessment described in Annex I-3 section 5 of the Key Attributes.»
US-Wertschriftengesetz als Hindernis
Die Bemerkung «it may be useful…» kommt sehr nebensächlich daher. Doch gerade diese Relativierung ist mitentscheidend dafür, dass der Finma-Abwicklungsplan nicht in Kraft gesetzt wurde.
Das FSB stellt nämlich fest:
«According to the SEC staff, there would have been legal challenges relating to US securities laws in executing a bail-in; they noted that banks need to prepare sufficiently to comply with US securities laws after an open bank bail-in. US investors held bail-in bonds issued by Credit Suisse representing a significant portion of the firm’s TLAC. US securities laws apply to any TLAC instruments held by US investors, irrespective of the currency or governing law of that TLAC instrument.»
Diese TLAC ist die Total Loss Absorbing Capacity. Sie bezeichnet alle Werte, die die federführende Aufsichtsbehörde bei einer Sanierung in neues Bankenkapital umwandeln kann. Die oben erwähnten Bail-in Bonds in der Höhe der 57 Milliarden gehören dazu. Nur eben, die Finma hatte nicht den vollen Zugriff.
Wie und in welchem Zeitrahmen die SEC im Fall einer Abwicklung entschieden hätte, bleibt offen. Ebenso, ob US-Investoren sich gegen eine Ausnahmebewilligung hätten wehren können.
Das sind Faktoren, die im Falle einer Sanierungsverfügung bei Börseneröffnung am 20. März das Vertrauen in eine abzuwickelnde Credit Suisse nicht beflügelt hätten. Sie bestätigen vielmehr die Kritiker, welche die Sanierung oder Abwicklung einer global systemrelevanten Bank im TBTF-Regime nicht für möglich hielten.
Auch nicht, wenn dieses Abwicklungs-Regime verschärft wird. Für die neue noch grössere UBS heisst das: Sie muss sich selber helfen, ihr Risiko selber tragen.
Extremfall Staatsbankrott
Professor Aymo Brunetti von der Universität Bern, einer der Väter der Schweizer Grossbankenregulierung, sagte anfangs September:
«Vor der CS-Rettung im März ging man davon aus, dass eine Grossbank in einer Krise regulär abgewickelt würde. An den Plänen hatte man jahrelang gearbeitet. Nun hat aber der Staat in einer Rettungsaktion eingegriffen.» (NZZ a.S., 3.9.23)
Es ist schwer vorzustellen, dass das TBTF-Regelwerk bei der noch viel grösseren UBS greifen wird. Als letzter Garant bliebe nur der Staat.
Das hingegen widerspreche den Fundamentalien einer funktionierenden liberalen Marktwirtschaft, meinte Brunetti weiter:
«Bei einer Übernahme würde der Staat mit Hunderten von Milliarden Franken im Risiko stehen. (…) Dieses Risiko ist völlig inakzeptabel. Die UBS-Rettung könnte die Solidität des staatlichen Haushaltes ernsthaft gefährden und den Bund im Extremfall in die Nähe eines Staatsbankrotts bringen.»
Sein Fazit: Entweder man zeigt, wie global systemrelevante Banken wirklich abgewickelt werden können – oder man macht sie kleiner. Vielleicht wird sich das Parlament nächstes Jahr dazu durchringen können. Dass die USA hingegen ihre Wall-Street-Riesen ebenfalls auf ein global systemverträglicheres Mass reduzieren, ist kaum anzunehmen.