Gedichte sind etwas Wundervolles. Alles Schöne und Berührende lässt sich mit ihnen ausdrücken, alles Hässliche und Schreckliche in ihnen einschließen. Auch das Morden in Gaza.

„Einander sich umarmend Schwester, Vater und Mutter. In Stücke zerrissen plötzlich, jeder sich klammernd an die anderen.“

Der Philosoph und Sozialtheoretiker Rajani Kannepalli Kanth bettet in seiner politischen Poesie das Entsetzliche in Worte. Sie klagen an: die Aggression, die Feindseligkeit, die Hetze, die Heuchelei, die Gräuel, den Genozid und das laute Schweigen, dass sich große Teile der Gesellschaft auferlegt haben. Um die unerträgliche Lautlosigkeit zu durchbrechen, hat der Bremer Künstler und Publizist Rudolph Bauer Gedichte von Kanth zusammengetragen, sie mit beeindruckenden Fotomontagen flankiert und in dem Lyrikband „… und Gaza und …“ vereinigt. Es ist eine Anstiftung zur Verschwörung gegen Krieg und Gewalt.

Gerechtigkeit, Menschlichkeit und Frieden

Im Vorwort des Buches verdeutlicht Bauer seine Position und begründet die Notwendigkeit, Kanths Lyrik zu verbreiten. Er schreibt: „In der jetzigen, bedrohlich fortschreitenden Situation der Hochrüstung, Militarisierung, Mobilmachung und Kriegshetze bedeuten die Gedichte von Rajani Kanth – mit vollem Namen: Rajani Kannepalli Kanth – ein verzweifeltes Innehalten, eine dramatische Anklage, ein Aufleuchten schriftstellerischer Verantwortung, Bruderworte der antimilitaristischen Solidarität. Sie sind ein nicht zu überhörender Ruf nach Gerechtigkeit, Menschlichkeit und Frieden.“

Wie Kanth, verweigert sich Bauer der gedanklichen Uniformität, der die intellektuellen Milieus der Bundesrepublik wie ein Virus befallen hat und erhebt seine Stimme gegen die Bösartigkeit, die sich im Mantel „bedingungsloser Solidarität“ verbirgt. Nein, er steht nicht an der Seite Israels, sondern auf der Seite des Friedens. Diese Position ist nicht verhandelbar. Sie speist ihre Festigkeit aus der historischen Erfahrung mit dem Schrecken, der nun über die Menschen in Palästina hereingebrochen ist. Bauer schreibt:

„Die Menschen in Palästina sind im überragenden Sinn Opfer der jüdischen Opfer des verbrecherischen NS-Regimes. Das Versprechen einer Zwei-Staaten-Lösung wird von Israel sabotiert. Der Krieg in Gaza ist nicht ein Krieg zwischen zwei Staaten, sondern zwischen Besatzern und Besetzten. Die Blockade jeglicher Zufuhr von Energie, Wasser, Nahrungsmitteln und Medikamenten nach Gaza, die Zerstörung humanitärer und lebensnotwendiger Infrastruktur wie Krankenhäuser und Schulen nimmt bewusst die Zivilbevölkerung ins Visier und verantwortet deren totale Ausrottung. Der Krieg gegen Gaza ist ein Genozid.“

Die Einordnung der Dimension fällt nicht weniger deutlich aus:

„Die Gleichsetzung von Jüdinnen und Juden mit Israel, die Enthistorisierung eines langen schwelenden Konfliktes wird durch das undemokratische Konstrukt von ‚Staatsraison‘ und ‚bedingungsloser Solidarität‘ zur Teilhabe an Kriegsverbrechen. Deutschland macht sich in doppelter Weise mitschuldig am Verbrechen des Völkermords: durch den geschichtlichen Holocaust an den Jüdinnen und Juden, sowie beim gegenwärtigen Genozid an den Palästinenserinnen und Palästinensern und der Vertreibung aus ihrer angestammten Heimat.“

Das Biest

Die ersten Zeilen von Kanths Gedicht „Das Biest“ lesen sich wie eine Anklageschrift: „Ode für eine Palästinenserin, die gezwungen ist, ihr totes Kind in den Trümmern von Gaza zurück zu lassen.“ Zeugnis wird abgelegt: „Es gibt kein Wasser, keine Lebensmittel, keinen Treibstoff. Niemals hätte ich mir vorzustellen vermocht, dass die Welt so grausam sein kann.“ Das Motiv könnte kaum banaler sein: “Lass dem Biest seinen Tag haben. Denn dies ist die Stunde der Biester, um ihren furchtbaren Willen auszutoben.“ Das Urteil fällt leicht. Das Biest ist schuldig. Wer sich ihm als Werkzeug andient oder ihm das Wort redet, ist Täter. Es gibt keine mildernden Umstände. Für niemanden.

Rajani Kanth verbindet in der Lyrik „Was ist das Leben von Nicht-Europäern wert“ die Punkte und „verlängert die Linie in die berüchtigte Geschichte zurück“. Reflexionen auf das Warschauer Ghetto und Bilder der Einebnung Dresdens durch Flächenbombardements der Royal Air Force im Zweiten Weltkrieg wühlen die Psyche auf. „Warum“ bleibt der Aufschrei in Europa aus, wenn in Gaza binnen drei Wochen mehr palästinensische Kinder umgebracht werden, als in den vier Jahren davor in allen kriegerischen Konflikten zusammen? „… weil unsere europäischen Machthaber – und ihre Ableger in der neuen Welt – RASSISTEN sind aus leicht ermittelbaren Gründen, und dass sie das immer waren in den vergangenen vier Jahrhunderten (…) Das Leben von Nicht-Europäern spielt bei ihren Kalkulationen keine Rolle.“

In seinem Gedicht „Wer stoppt den Genozid in Gaza“, stellt Kanth die gleichlautende Frage in den Raum. Wir alle zusammen? Eine naive Vorstellung, weit entfernt von der europäischen Realpolitik, die dem betroffenen Konsumbürger den Anblick zerrissener Leiber verweigert, um das zarte Gemüt der Widerstandslosigkeit zu schonen. Die Antwort ist: Niemand in Europa wird es tun. Hier leben die Friedensversager, die weder ihrem Hegemonen noch dessen regionalem Stadthalter in den Arm fallen. Das ist die gelebte Solidarität der moralisch abgewirtschafteten Nationen des Kolonialismus und Imperialismus.

… und Vietnam und …

Dass die Regierung der USA im UN-Sicherheitsrat bisher alle Resolutionen blockierte, die einen Waffenstillstand im Krieg zwischen Israel und der Hamas forderten, ist nicht Gegenstand des Bandes, aber eine Erwähnung wert. Das Regime in Israel lässt Bomben auf den Gazastreifen regnen. Bis zum 31. Dezember 2023 sollen rund 21.600 Menschen getötet und etwa 56.000 verletzt worden sein. 70 Prozent der Häuser und Wohnungen im Gazastreifen wurden beschädigt oder zerstört. Vielleicht sind es mehr, vielleicht auch weniger. Darum geht es nicht, sondern um die Parallele zum Vietnamkrieg. Das Motiv in Gaza mag anders gelagert sein, das Ergebnis ist gleich: kollektive Bestrafung durch Tod und Zerstörung; Zementierung des Hasses.

In der Einleitung von „… und Gaza und …“ wird an den Dichter Erich Fried (1921-1988) erinnert, der in seinem 1966 veröffentlichen Werk „und Vietnam und“ den vom Regime in Washington mit Napalm und Bombenterror geführten Vietnamkrieg anprangerte. Der Granatenhagel auf Reisfelder und Menschen, durch Lügen und Betrug legitimiert, war eine Demonstration der Macht, um der Macht willen. Es galt, in einer Ecke der Welt, die vor Armut schrie, den „bösen“ Kommunismus mit allen Mitteln aufzuhalten, die die „guten“ Vereinigten Staaten aufbieten konnten. Fried destillierte in einfachen Versen den zivilisatorischen Wert heraus. „Fleisch wird zubereitet auf zweierlei Art: Entweder langsam mit Napalm oder schnell mit Benzin. Letzteres gilt als barbarisch, ersteres nicht.“

Die von den US-Streitkräften in Indochina unter dem Begriff „Body Count“ betriebene Leichenzählung getöteter regulärer nordvietnamesischer Soldaten, Kämpfern des Vietcongs und unzähliger ermordeter Zivilisten, zeigte die hohe Schule der systemischen Asozialität der Unterwelt, vollendet im narzisstischen Selbstbild einer Nation, die ihren Aufstieg vom Handelsposten in Jamestown bis zur globalen Supermacht auf Gewalt begründete. Diese Höllenpforte des Primitivismus, Sinnbild der zivilisatorischen Einzigartigkeit der USA, wurde nie geschlossen. Blut, Tod und Zerstörung soweit das Auge reicht: Mexiko, Korea, Guatemala, Nicaragua, Irak, Afghanistan, Pakistan, Somalia, Jemen, Syrien und so weiter. Die Stille von Abermillionen Opfern ist die unerträgliche Posaune, die dem US-amerikanischen Hegemon und seiner „Freunde“ voranschreitet.

… und Gaza und …

Gaza ist die Offenbarung der untergehenden Zivilisation. Das Ende seiner Geschichte zeigt sich im Verrat des Humanismus als Methode. Das Fanal sind die Untaten, die die Menschlichkeit verleugnen: Unterdrückung, Folter, Quälerei, Liquidierung und Feuersturm. Das Regime in Israel riss sich die Maske runter. Die Fratze öffnete das siebente Siegel des Buches. Die Menschheit, die technologisch nach dem Universum und den Sternen greift, ist ethisch keinen Fingerbreit entfernt vom Schlag mit der Axt. Der Anblick lässt die Augen zu Eis erstarren. Die politischen Gedichte von Rajani Kanth sind der Spiegel dieser Wahrhaftigkeit. Schauen sie hinein!

Buchhinweis:

Rajani Kanth, … und Gaza und …Politische Gedichte
pad Verlag, Preis: 6,– Euro, ISBN: 978-3-88515-365-8
Vorwort, Nachdichtung und Bildmontagen: Rudolph Bauer; Nachwort: Wolfram Elsner; Redaktion: Peter Rath-Sangkhakorn

Bestellanschrift: pad-Verlag@gmx.net

... und GAZA und ... - Politische Gedichte von Rajani Kannepalli Kanth

Über den Autor

Rajani Kannepalli Kanth ist Professor, Wirtschaftswissenschaftler, Philosoph und Gesellschaftstheoretiker. Er wurde in Indien geboren und besitzt die US-amerikanische Staatsbürgerschaft. Kanth lehrt auf den Gebieten der Anthropologie, der Soziologie und Politikwissenschaft, der Geschichte, der Wirtschaft und der Philosophie. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Ökonomie, Sozialtheorie und -politik sowie Frauenfragen. Neben seiner weltweiten universitären Lehr- und Forschungstätigkeit war er in New York als Berater für die Vereinten Nationen tätig. Im Jahr 2007 gründete er in Salt Lake City, Utah, den Weltfriedenskongress