PRO ASYL ist entsetzt über die politische Einigung zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS). Wie soeben verkündet wurde, sind die sogenannten politischen Triloge zwischen Mitgliedstaaten und Europaparlament abgeschlossen und die Reform steht kurz vor der Finalisierung. Im Frühjahr müssen die Ko-Gesetzgeber – der Rat der EU und das Europaparlament – die politische Einigung noch formal beschließen.
„Dieser von den europäischen Gesetzgebern beschlossene Abbau von Menschenrechten im Flüchtlingsschutz versperrt für viele den Zugang zu Schutz und errichtet ein System der Haftlager für Menschen, die fliehen und nichts verbrochen haben – selbst für Kinder und ihre Familien. Durch die Ausweitung des Konzepts der ‚sicheren Drittstaaten´befürchten wir neue menschenrechtswidrige Deals mit autokratischen Regierungen, durch die EU-Länder sich vom Flüchtlingsschutz freikaufen wollen“, kritisiert Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von PRO ASYL.
Aus den Fehlern der Vergangenheit sowie der Gegenwart – wie dem Elendslager Moria, den illegalen und brutalen Pushbacks und der fehlenden Solidarität unter den Mitgliedstaaten – wurde offensichtlich nichts gelernt. Stattdessen wird die neue europäische Asylgesetzgebung diese Missstände weiter verschärfen, so die Analyse von PRO ASYL.
„Diese Einigung auf Kosten der Menschenrechte von Geflüchteten zeigt, welchen Rechtsruck wir in Europa aktuell erleben. Das schlimme ist, dass sich die Rechtspopulist*innen selbst mit diesen Verschärfungen nicht zufrieden geben werden. Denn ihr Ziel ist ganz klar die Abschaffung des Flüchtlingsschutzes in Europa. Dass die CDU mit ihren Vorschlägen für eine Komplettauslagerung des Flüchtlingsschutzes an Drittstaaten rechten Forderungen Rückenwind gibt, zeigt wie tief die Partei gesunken ist. Die ersten, die nun unter die Räder des Rechtsrucks kommen, sind fliehende Menschen. Doch diese fatale Einigung dürfte nur ein erster Schritt sein, der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in der EU untergräbt“, befürchtet Judith.
PRO ASYL Schnellanalyse zu den aktuell uns bekannten Ergebnissen des Trilogs
In den Verhandlungen haben sich die Mitgliedstaaten mit ihren restriktiven Positionen weitgehend durchgesetzt. Hierzu gehört, dass das Europaparlament nun doch nach einem Screening Asylgrenzverfahren unter Haftbedingungen an den Außengrenzen akzeptiert hat, die für bestimmte Personengruppen verpflichtend sein werden und zwölf Wochen dauern können. Insgesamt können geflüchtete Menschen bis zu sechs Monate an den Außengrenzen festgehalten werden, da sich noch ein neues Abschiebungsgrenzverfahren anschließt. Im Fall eines der neuen Ausnahmezustände kann dies ausgeweitet werden. Die Mitgliedstaaten können die Grenzverfahren zudem auch auf Menschen anwenden, die über angeblich sichere Drittstaaten geflohen sind. Faire Asylverfahren wird es an den Außengrenzen nicht geben, wie uns langjährige Praxiserfahrung zeigt. Besonders dramatisch ist, dass es nicht einmal Ausnahmen für Kinder mit ihren Familien geben wird. Hierfür wollte sich die Bundesregierung einsetzen. Das Parlament hatte zumindest eine Altersgrenze von zwölf Jahren verlangt – aber dies dann in den Verhandlungen aufgegeben.
Auch können mit der Einigung zukünftig deutlich mehr außereuropäische Drittstaaten als „sicher“ eingestuft werden, um Flüchtlinge in diese Länder abzuschieben. Weder muss in dem Drittstaat die Genfer Flüchtlingskonvention gelten, noch muss das ganze Land „sicher“ sein. Wenn es eine entsprechende Vereinbarung zwischen Drittstaat und EU gibt, soll die „Sicherheit“ schlicht angenommen werden können. Dadurch wird die Möglichkeit eröffnet, dass Mitgliedstaaten sich weitgehend aus dem Flüchtlingsschutz zurückziehen, indem sie Nachbarländer oder andere Staaten entlang der Fluchtrouten als „sicher“ einstufen. Diese Vorgehensweise wird dazu führen, dass Menschen, die nach Europa geflohen sind, ohne Prüfung ihrer tatsächlichen Fluchtgründe in diese Länder abgeschoben werden. Mit der Reform kann die Blaupause des EU-Türkei Deals einfacher auf weitere Drittstaaten übertragen werden, obwohl gerade dieser Deal zu immensem Leid und Menschenrechtsverletzungen geführt hat. In Griechenland gilt die Türkei aufgrund des Deals u.a. für syrische und afghanische Flüchtlinge als „sicher“, ihre Asylverfahren werden deswegen als „unzulässig“ abgelehnt – nach den Gründen, warum sie ihr Herkunftsland verlassen haben, werden sie nicht mehr gefragt.
Auch auf die besonders toxische Krisenverordnung wurde sich von den Gesetzgebern geeinigt (mehr Informationen hier). Hier lagen Mitgliedstaaten und Europaparlament besonders weit auseinander – doch erneut setzten sich primär die Mitgliedstaaten durch. Damit können im Fall von Krisen und „Instrumentalisierung von Migrant*innen“ die Grenzverfahren massiv ausgeweitet werden – sowohl was die Dauer der Verfahren angeht als auch wer alles in den Grenzverfahren sein/ihr Asylverfahren durchlaufen muss. Bislang hatte das Europaparlament das Konzept der „Instrumentalisierung“ noch nicht akzeptiert, auch weil erhebliche Grundrechtsbedenken damit einhergehen. Doch auch dies findet sich nun in der Einigung wieder und schafft damit die Basis für zukünftige Ausnahmezustände an den Außengrenzen, in denen es zu Menschenrechtsverletzungen wie brutalen Pushbacks kommen wird.
Die bisherige Dublin-III-Verordnung, die festlegt welcher Mitgliedstaat für die Durchführung von Asylverfahren zuständig ist, wird durch die Verordnung für ein Asyl- und Migrationsmanagement ersetzt. Doch vieles wird beim alten bleiben, Grundprobleme des europäischen Asylsystems werden nicht gelöst. Denn weiterhin sind es die Außengrenzstaaten, die primär für die Durchführung der Asyl(grenz)verfahren zuständig sind. Beim EU-Parlament gab es zumindest den Ansatz, durch einen starken Solidaritätsmechanismus einen gewissen Neuanfang zu wagen. Doch die Mitgliedstaaten haben sich auch hier durchgesetzt. Ergebnis ist, dass die Aufnahme von Schutzsuchende als Solidaritätsmaßnahme gleichgestellt wird mit dem Bau von Grenzzäunen an den EU-Außengrenzen oder Projekten in Drittstaaten, die der Fluchtverhinderung dienen. Es ist zu erwarten, dass das ganze System sogar noch bürokratischer wird als die aktuellen Dublin-Regeln.
Die Verordnungen treten voraussichtlich 24 Monate nach den formalen Beschlüssen im Frühjahr 2024 in Kraft (also ab 2026).