Während Israels erklärtes Ziel von Beginn des Krieges in Gaza an die Vernichtung der Hamas war und immer noch ist, hat Israel bisher noch keine klare Exit-Strategie angeboten. Auch wenn die Hamas nicht vollständig besiegt werden kann, muss Israel mit der Unterstützung der USA und vor allem Saudi-Arabiens eine solide Alternative anbieten, die den Wünschen der Palästinenser*innen entspricht und die Hamas irrelevant macht.
Präsident Biden sollte von Premierminister Netanjahu und seinen Militärs verlangen, dass sie in Abstimmung mit den USA eine klare Ausstiegsstrategie und eine endgültige Lösung entwickeln, die mit dem Recht Israels auf eine Existenz in Frieden und Sicherheit und dem Recht der Palästinenser*innen auf die Gründung eines eigenen Staates vereinbar ist.
Von Dr. Alon Ben-Meir
Obwohl mehrere Optionen diskutiert wurden, darunter die dauerhafte Wiederbesetzung des Gazastreifens durch Israel, die Umsiedlung der Palästinenser*innen aus dem Gazastreifen nach Ägypten, die Erlaubnis für die Palästinenser*innen, eine zivile Behörde zu errichten, während Israel die Sicherheit im Gazastreifen aufrechterhält, oder die militärische Besetzung eines Teils oder des gesamten Gazastreifens, behaupte ich, dass keine der oben genannten Optionen realisierbar ist, da die letztendliche Gründung eines palästinensischen Staates für jede nachhaltige Lösung von zentraler Bedeutung ist. Die Regierung Biden muss darauf bestehen, dass Israel diesem Ergebnis in einem Verhandlungsprozess zustimmt, der von den USA und Ägypten, Jordanien und Saudi-Arabien unterstützt wird – den drei arabischen Staaten, die von einem solchen Ergebnis direkt betroffen sind und auch den größten Einfluss auf die Palästinenser*innen ausüben.
Die Exit-Strategie, die den israelisch-palästinensischen Konflikt beenden muss
Angesichts der 75-jährigen Geschichte des israelisch-palästinensischen Konflikts, die von mehreren Kriegen, großen gewalttätigen Auseinandersetzungen und massiven Verlusten an Menschenleben und Zerstörung geprägt ist, die nun in dem schrecklichsten Krieg zwischen Israel und der Hamas gipfelten, ist es an der Zeit, auf ein dauerhaftes Ende des Konflikts zu drängen. Die USA und die arabischen Staaten müssen jeden Druck auf Israel und die Palästinenser*innen ausüben, um den Konflikt auf der Grundlage einer Zwei-Staaten-Lösung zu beenden.
Natürlich werden die Verhandlungen äußerst schwierig und komplex sein und möglicherweise ein Jahr oder sogar länger dauern, aber es gibt einfach keine andere Möglichkeit. Die einzige Alternative ist, den blutigen Konflikt noch jahrzehntelang fortzusetzen, wodurch sich nichts grundlegend ändern wird. Israel wird weiter existieren, aber mit der Waffe leben, ebenso wie die Palästinenser*innen mit ihrem Streben nach einem eigenen Staat, was eine unabdingbare Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben ist.
Übergangszeit
Damit Israel und die Palästinenser*innen ein tragfähiges Friedensabkommen schließen können, muss eine Übergangszeit festgelegt werden, in der die Vereinten Nationen die Verantwortung im Gazastreifen übernehmen. Auf administrativer Ebene sollte der UN-Sicherheitsrat eine Resolution verabschieden, die eine Übergangsbehörde fordert, die sich aus arabischen zivilen Führungspersönlichkeiten und palästinensischen Experten aus verschiedenen Bereichen zusammensetzt, die für ihre ausgewogenen Ansichten und ihr Engagement für eine friedliche Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts bekannt sind.
Sollte der UN-Sicherheitsrat eine solche Resolution nicht verabschieden, kann dies stattdessen die Arabische Liga tun. Darüber hinaus ist die UNWRA (Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten; Anm. der Übersetzerin), die seit Jahrzehnten vor Ort Hilfs- und Entwicklungsdienste wie Bildung, Gesundheitsversorgung, Mikrofinanzierung und Berufsausbildung anbietet, in der bestmöglichen Position, um mehr Verantwortung zu übernehmen, vorausgesetzt, sie wird im Rahmen eines geänderten und erweiterten Mandats streng überwacht.
Wenn Israel seine Streitkräfte allmählich aus dem Gazastreifen abzieht, wird es notwendig sein, eine Friedenstruppe aufzustellen, die für die Sicherheit verantwortlich ist. Diese Truppe sollte ausschließlich aus den arabischen Staaten bestehen, die mit Israel Frieden geschlossen haben, insbesondere aus Saudi-Arabien, Ägypten, Jordanien, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Marokko. Diese Truppe muss dafür sorgen, dass der Gazastreifen abgesehen von den internen Sicherheitskräften entmilitarisiert wird und dies auch unter einer neu gewählten palästinensischen Behörde so bleibt.
Die arabischen Staaten sollten ihre Zusage, eine Friedenstruppe zu stellen, davon abhängig machen, dass Israel einer Zwei-Staaten-Lösung zustimmt. In Gesprächen mit mehreren arabischen Vertretern wurde mir kürzlich unmissverständlich gesagt, dass ihre Länder der Bildung einer solchen Friedenstruppe nur zustimmen werden, wenn Israel ihr vorher zugestimmt hat. Außerdem wollen sie eine unumstößliche Zusage der USA, alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um Israel unter Druck zu setzen, damit es der Gründung eines palästinensischen Staates zustimmt, der in Frieden mit Israel lebt.
Die Bedenken, die eine solche Friedenstruppe aus arabischen Streitkräften im Hinblick auf den Kampf gegen die verbliebenen Hamas-Kämpfer – muslimische und palästinensische – haben könnte, können nur unter diesem Mandat ausgeräumt werden. Die Friedenstruppe kann also rechtfertigen, dass sie gegen einen solchen Widerstand kämpft, weil dies für den Erhalt eines Abkommens zur Gründung eines palästinensischen Staates entscheidend ist.
Was die finanzielle Unterstützung der Araber angeht, so betonen sie in meinen Gesprächen mit arabischen Beamten, dass sie unter keinen Umständen zum Wiederaufbau des Gazastreifens beitragen und in Institutionen und Infrastruktur im Westjordanland investieren würden, wenn nicht zwei Voraussetzungen erfüllt sind.
Erstens müssen sowohl die Israelis als auch die Palästinenser*innen zustimmen, dass sie in einen Verhandlungsprozess mit dem Ziel eintreten, einen palästinensischen Staat zu gründen, denn sie wollen auf keinen Fall Milliarden in den Wiederaufbau investieren, nur um ihn dann wieder zerstört zu sehen. Zweitens muss sichergestellt werden, dass jede Zwischenlösung nur als Mittel für eine endgültige Lösung genutzt wird. Andernfalls wäre sie nichts weiter als eine Atempause, bevor sich eine weitere Katastrophe ereignet.
Eine neu gewählte palästinensische Behörde für das Westjordanland und den Gazastreifen
Es sollte klargestellt werden, dass das Westjordanland und der Gazastreifen nach der Hamas von der Palästinensischen Autonomiebehörde regiert werden. Dies sollte jedoch frühestens 18 Monate nach der Einrichtung einer UN-Verwaltungsbehörde in Gaza geschehen. In dieser Zeit würden sich die Palästinenserinnen und Palästinenser sowohl im Westjordanland als auch im Gazastreifen auf eine Neuwahl vorbereiten. Die derzeitige Palästinensische Autonomiebehörde (PA) ist korrupt; Präsident Abbas wird von der Mehrheit der Palästinenser*innen abgelehnt und verachtet und muss gehen. Nur ein neu gewählter Führer, der das Vertrauen des Volkes genießt, kann Erfolg haben.
Eine aktuelle Umfrage unter den Palästinenser*innen im Gazastreifen und im Westjordanland, die am 6. Oktober durchgeführt wurde, zeigt, dass 74 Prozent der Befragten weder der Hamas noch der Palästinensischen Autonomiebehörde vertrauen (67 Prozent der Menschen im Gazastreifen gaben an, dass sie „nicht viel“ oder gar kein Vertrauen in die Hamas-Regierung haben; 81 Prozent der Palästinenser im Westjordanland äußerten kein Vertrauen in die Fatah-geführte Regierung). Beide Teile der palästinensischen Gebiete leiden nach wie vor unter Korruption, Menschenrechtsverletzungen, Veruntreuung von Geldern, grassierender Arbeitslosigkeit und Hoffnungslosigkeit. Sie würden einen Wechsel an der Spitze der Regierung begrüßen.
Auf israelischer Seite sollte niemand darauf warten, dass Netanjahu und seine Bande eifriger Koalitionspartner sich auf irgendetwas einigen, das einem unabhängigen palästinensischen Staat auch nur ähnelt. Sobald der Krieg zu Ende ist, wird Netanjahu mit einer Untersuchung über das unfassbar grausame Gemetzel an 1.200 Israelis durch die Hamas konfrontiert, das unter seiner Aufsicht stattfand. Er wird zurücktreten oder abgesetzt werden müssen. Auch in diesem Fall muss in Israel eine neue Regierung gebildet werden, die sich von Anfang an für eine Zwei-Staaten-Lösung einsetzen muss. Sobald diese beiden Voraussetzungen gegeben sind, wird die UN-Verwaltungsbehörde ihre Rolle und Verantwortung an die Palästinensische Autonomiebehörde abtreten.
Die Rolle der USA und Saudi-Arabiens
Saudi-Arabien und die USA können in dieser Hinsicht eine wichtige, ja sogar unverzichtbare Rolle spielen:
Die USA sind und bleiben der wichtigste Garant für Israels nationale Sicherheit. Präsident Biden hat in dieser Hinsicht mehr getan als jeder seiner Vorgänger und dies durch seine unermüdliche Unterstützung Israels unmissverständlich bewiesen. Er muss Netanjahu oder seinem Nachfolger sehr deutlich machen (und er ist auch in der Lage dazu), dass die unerschütterliche Unterstützung der USA erhebliche politische Kosten für Amerika im In- und Ausland mit sich bringt. Viele Länder auf der ganzen Welt sehen die USA als Mitschuldige an dem sich ausbreitenden Horror in Gaza. Präsident Biden muss einen Rahmen für eine Zweistaatenlösung vorschlagen, für die er sich seit vielen Jahrzehnten einsetzt und die mit dem oben genannten Vorschlag übereinstimmt.
Der Verhandlungsprozess wird zweifelsohne mehr als ein Jahr in Anspruch nehmen. Da 2024 ein Wahljahr ist, könnte sich Präsident Biden dafür entscheiden, keinen Druck auf Israel auszuüben, da er befürchtet, dass die Republikaner dies gegen ihn verwenden würden. Angesichts dieser historischen Chance, die zu einer dauerhaften Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts führen könnte, kann Präsident Biden es sich jedoch nicht leisten, eine solche Gelegenheit zu verpassen, und er könnte durchaus erfolgreich sein, wo seine Vorgänger versagt haben. Es ist an der Zeit, dass die USA Israel keinen Freibrief mehr ausstellen, um zu tun, was es will, sondern Rechenschaft verlangen und sicherstellen, dass beide Seiten in gutem Glauben verhandeln, um ein Friedensabkommen zu erreichen.
Saudi-Arabien kann die US-Initiative durch seine eigene wichtige Rolle ergänzen, indem es den Zusammenbruch der israelisch-palästinensischen Beziehungen ausnutzt und einen noch nie da gewesenen Durchbruch zur Beendigung des Konflikts anbietet. Die Saudis sollten deutlich machen, dass sie nach Beendigung des Krieges bereit sind, die Beziehungen zu Israel zu normalisieren, unter der Bedingung, dass eine neue israelische Regierung einer Zwei-Staaten-Lösung zustimmt und kontinuierlich verhandelt, bis eine Einigung erzielt wird.
Dieser Krieg muss enden und die Hamas wird dramatisch geschwächt und in Unordnung gebracht. Doch die endgültige Niederlage der Hamas wird nicht auf dem Schlachtfeld erfolgen, sondern durch die Schaffung einer Alternative zur Hamas-Regierung, von der die Palästinenser*innen erheblich profitieren werden. Dieser Gegensatz sollte klar und deutlich gemacht werden, um den Palästinenser*innen zu zeigen, dass die Hamas nicht nur der Feind Israels, sondern auch der Feind der einfachen Palästinenser*innen ist. Ja, alle Palästinenserinnen und Palästinenser im Gazastreifen wollen in Frieden und Wohlstand leben, aber sie wurden durch den gewaltsamen Widerstand der Hamas gegen Israel eines normalen Lebens beraubt, da sie alle Ressourcen für den Kampf gegen Israel verschwendet und die Menschen verzweifelt und hoffnungslos zurücklässt.
Israel sollte diesen tragischen Krieg nicht auch nur um einen unnötigen Tag verlängern. Wenn dieser Krieg noch ein oder zwei Monate andauert, ist es fast sicher, dass 20.000 bis 30.000 Palästinenserinnen und Palästinenser, vor allem unschuldige Frauen und Kinder, und zahlreiche israelische Soldaten getötet werden. Das wird den Hass, die Feindschaft und das Misstrauen zwischen Israel und den Palästinenser*innen nur noch weiter vertiefen und eine Lösung des Konflikts noch unlösbarer machen.
Ja, Israel kann und wird taktisch jede Schlacht gegen die Hamas gewinnen. Dennoch wird es den Krieg strategisch verlieren, wenn jetzt nicht ein Friedensprozess zwischen Israel und den Palästinenser*innen beginnt, noch bevor der Krieg zu Ende ist. Ironischerweise hat der schreckliche Krieg zwischen Israel und der Hamas diesen Prozess vielleicht erst möglich gemacht.
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Heike Pich vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!
Dr. Alon Ben-Meir ist Professor für internationale Beziehungen am Center for Global Affairs der NYU. Er unterrichtet Kurse über internationale Verhandlungen und Nahoststudien.