Deutsche Unternehmen – Volkswagen, aber auch Mittelständler – machen ihre Werke in China unabhängig von Standorten in Europa, um gegen neue westliche Sanktionen gefeit zu sein. Deutsche China-Investitionen auf Rekordniveau.

Vor dem heute beginnenden EU-China-Gipfel gewinnt die Verlagerung deutscher Konzernaktivitäten in die Volksrepublik an Fahrt. Volkswagen hat vor wenigen Tagen mitgeteilt, eine neue Plattform für Elektroautos, die nach bisheriger Praxis in Deutschland entwickelt worden wäre, an einem neuen Zentrum im ostchinesischen Hefei zu entwickeln und sie dort auch zu produzieren. Zugleich will der Konzern bei der Herstellung von Elektroautos in China beinahe komplett auf Zulieferer aus der Volksrepublik zurückgreifen. Damit könne schneller, billiger und besser produziert werden, heißt es. Allerdings gehen Konzerntätigkeiten in Deutschland verloren. Außerdem wäre VW China dann in der Lage, im Fall einer Eskalation des westlichen Wirtschaftskriegs gegen die Volksrepublik sich von der deutschen Konzernzentrale abzuspalten – zu deren Schaden. Ähnliche Vorbereitungen treffen mittlerweile auch mittelgroße Unternehmen. Dies führt dazu, dass die deutschen Investitionen in China zuletzt stark zugenommen haben und den deutschen Investitionsbestand dort auf Rekordniveau heben. Ökonomen räumen ein, diese Folge des westlichen Wirtschaftskriegs sei „paradox und so eigentlich nicht gewollt“.

Schneller, billiger, besser

Der Volkswagen-Konzern setzt die umfassende Umstrukturierung seiner Produktion von Elektroautos fort und wird künftig eine neue Plattform für mehrere E-Modelle nicht nur in China fertigen, sondern sie dort auch entwickeln. Der Schritt hat zunächst ökonomische Ursachen. Zum einen ist die Volksrepublik in der Elektroautobranche inzwischen weit fortgeschritten; dies für die eigene Elektroautoherstellung umfassend zu nutzen, bietet sich an. Zum anderen können Arbeiten in China kostengünstiger und auch schneller erledigt werden. Volkswagen errichtet derzeit in seinem Werk in Hefei 500 Kilometer westlich von Shanghai ein Entwicklungszentrum (Volkswagen China Technology Company, VCTC), in dem die neue Elektroautoplattform konzipiert werden soll. Dies wird lediglich zwei Drittel der Zeit benötigen, die in Europa veranschlagt würde, und nur zwei Drittel der Kosten verursachen. Volkswagen stellt darüber hinaus bei der Produktion so weit wie möglich auf chinesische Zulieferer um, die geringere Preise verlangen; bei ihnen sollen in Zukunft 95 Prozent aller zugekauften Bauteile erworben werden. Ziel ist es, bereits in wenigen Jahren Elektroautos herstellen zu können, die mit einem Preis zwischen 18.000 und 22.000 Euro konkurrenzfähig sind.[1] Damit will Volkswagen seinen dramatischen Rückstand bei Elektroautos in China aufholen.[2]

Bereit zur Abspaltung

Die Umstrukturierung der Produktion hat neben den ökonomischen auch politische Gründe. Mit der Verlagerung der Entwicklung nach China und der weitestgehenden Beschränkung auf chinesische Zulieferer werden die chinesischen Fabriken von Volkswagen unabhängig von Deutschland bzw. Europa. VW-Chinachef Ralf Brandstätter bestätigt: „Wir streben nach einer autonomen, kontrollierbaren Wertschöpfungskette“.[3] Damit werden die chinesischen Werke des Konzerns in die Lage versetzt, im Fall einer Eskalation des westlichen Wirtschaftskriegs gegen die Volksrepublik – also bei verschärften Sanktionen oder gar einem Decoupling –eigenständig weiterzuarbeiten: „in China für China“, wie es bei Volkswagen heißt.[4] Der Konzern wird also unter sämtlichen Umständen auf dem größten Automarkt der Welt präsent bleiben können. Womöglich wird er allerdings seine chinesischen Unternehmenseinheiten abspalten und unabhängig organisieren müssen. In Deutschland bliebe dann der Sitz eines erheblich verkleinerten Konzerns zurück: Volkswagen hat zuletzt 40 Prozent seiner Fahrzeuge in der Volksrepublik abgesetzt. Bereits jetzt gehen für Deutschland umfangreiche Entwicklungstätigkeiten verloren, die in Zukunft bei VCTC in Hefei getätigt werden. Damit schädigt der westliche Wirtschaftskrieg gegen China, der Volkswagen zur Formung einer autonomen Produktion in der Volksrepublik drängt, die deutsche Industrie.

Die Paradoxien des Wirtschaftskriegs

Von Planungen in den Zentralen großer deutscher Konzerne, im Notfall ihr Chinageschäft abzuspalten, berichtete die einflussreiche Bertelsmann Stiftung bereits vor rund zwei Jahren (german-foreign-policy.com berichtete [5]). Inzwischen treffen auch mittelgroße deutsche Unternehmen Vorbereitungen dazu. So heißt es bei dem Ventilatoren- und Motorenhersteller ebm-papst, man denke „über Worst case-Szenarien nach“ und wolle die Produktion in China autark organisieren, damit sie im Ernstfall – bei einer Eskalation des Wirtschaftskriegs – jederzeit abgespalten werden könne.[6] Berichten zufolge treffen auch andere Mittelständler identische Maßnahmen. Damit sind kostspielige Investitionen verbunden. ebm-papst etwa investiert zur Zeit rund 25 Millionen Euro in seine Standorte in China. Das lohnt sich wegen des riesigen chinesischen Markts, der das Chinageschäft überaus attraktiv erscheinen lässt. Letztlich ziehe China „immer mehr Investitionen an“, da „die Unternehmen das Gefühl“ hätten, sie müssten „ihr Chinageschäft isolieren können“, konstatiert Jürgen Matthes, ein Experte vom Kölner Institut der deutschen Wirtschaft (IW).[7] Das sei mit Blick auf die Tatsache, dass die Bundesregierung die Wirtschaft zur Verlagerung ihrer Aktivitäten weg aus China in andere Länder bewegen wolle, „schon paradox und so eigentlich nicht gewollt“. Hinzu komme, dass alles, was dank neuer Investitionen in China gefertigt werde, „nicht von Deutschland aus exportiert“ werde – zum Schaden der deutschen Exportindustrie.

Rekordinvestitionen

Nicht nur, aber auch deshalb nehmen zur Zeit die deutschen Investitionen in China schnell zu. Bereits 2021 war der Bestand der deutschen Direktinvestitionen in der Volksrepublik auf 102,6 Milliarden Euro in die Höhe geschnellt und hatte damit erstmals die Marke von 100 Milliarden Euro überstiegen.[8] Im Jahr 2022 kamen noch weitere 11,5 Milliarden Euro hinzu; der Gesamtbestand lag jetzt bereits bei 114 Milliarden Euro. Im ersten Halbjahr 2023 wurden Neuinvestitionen im Wert von 10,3 Milliarden Euro verzeichnet, der zweithöchste bislang registrierte Wert überhaupt.[9] „Obwohl die deutsche Wirtschaft insgesamt sehr viel weniger zusätzlich im Ausland investiert, bleiben die neuen Direktinvestitionen in China fast so hoch wie zuvor“, konstatiert IW-Experte Matthes. Das führe dazu, dass der Anteil der Investitionen in China an den Gesamtinvestitionen im Ausland rasch steige – auf zuletzt 16,4 Prozent. „So bedeutsam war das Land in Relation zum übrigen Ausland noch nie“, erklärt Matthes.

Als Zulieferer unverzichtbar

Spitzt sich der Wirtschaftskrieg weiter zu, dann drohen Unternehmen in Deutschland weitere Nachteile. So berichtet etwa der westdeutsche Fahrradhersteller Rose Bikes, als Zulieferer sei China längst „unverzichtbar für die Fahrrad-Industrie“.[10] Fielen die Einfuhren aus China Sanktionen zum Opfer oder würden sie durch Strafzölle oder auch durch andere Maßnahmen stark verteuert, dann drohten gravierende Einbrüche. Zwar bemühe sich das Unternehmen bereits um alternative Lieferanten aus Europa. Doch werde es „eine gewisse Zeit“ dauern, bis man „die Qualität auf dem Niveau hat, wie wir es aus Asien und China gewohnt waren“. Zudem koste der Rückgriff auf in Europa hergestellte Bauteile „am Anfang auch mehr Geld“. Zu konkurrenzfähigen Preisen werde man ohne chinesische Zulieferer, heißt es unter Bezug auf Rose Bikes, „frühestens in acht bis zehn Jahren“ produzieren können. Ähnlich ist die Lage für zahlreiche andere Unternehmen, die an ihren deutschen Standorten Vorprodukte aus China nutzen. Der deutsche Import aus der Volksrepublik stieg im vergangenen Jahr massiv und erreichte ein Volumen von über 191 Milliarden Euro, mehr als die Einfuhr aus jedem anderen Land und viel mehr denn je zuvor.

 

[1] Mehr Hefei, weniger Wolfsburg. tagesschau.de 24.11.2023.

[2] S. dazu Paradebranche unter Druck.

[3] Lazar Backovic, Sabine Gusbeth: Volkswagen plant das 20.000-Euro-Auto in China schon ab 2026. Handelsblatt.com 28.11.2023.

[4] VW entkoppelt China-Geschäft von Deutschland. n-tv.de 24.11.2023.

[5] S. dazu Die Geschäftsgrundlage der deutschen Industrie (I) und Die Geschäftsgrundlage der deutschen Industrie (II).

[6], [7] Julian Gräfe: China wird zum Risiko für den Mittelstand. tagesschau.de 30.11.2023.

[8] Jürgen Matthes: Deutsche Direktinvestitionen in China: Kaum Diversifizierung. IW-Kurzbericht Nr. 35. Köln, 17.05.2023.

[9] Deutsche Konzerne investieren verstärkt in China. spiegel.de 20.09.2023.

[10] Julian Gräfe: China wird zum Risiko für den Mittelstand. tagesschau.de 30.11.2023.

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