Der Trommelwirbel der Konzernlobby wurde immer lauter – und führte am Ende zu einem dramatischen Niedergang einer der wichtigsten Green-Deal-Initiativen für Ökosysteme, Gesundheit und Ernährungssicherheit.
Von Nina Holland
Letzte Woche haben die Europaabgeordneten der rechten EVP-Fraktion – mit Hilfe der extremen Rechten und einer Gruppe von Mitgliedern der Liberalen Erneuerung – das lang erwartete Gesetz zur Reduzierung von Pestiziden SUR, eine Schlüsselinitiative des EU Green Deal, scheitern lassen.
Ein Änderungsantrag nach dem anderen wurde angenommen, um SUR weiter zu schwächen, das seit seiner Ankündigung im Rahmen des EU Green Deal unter Beschuss geraten war. Am Ende entschieden die Europaabgeordneten, die für Gesundheit und Umwelt zuständig sind, dass sie diesen Textentwurf nicht unterstützen wollen und stimmten gegen ihn.
Pestizide sind eine der Hauptursachen für den dramatischen Rückgang der Artenvielfalt auf der ganzen Welt. Das Stadium dieser ökologischen Katastrophe ist sogar noch weiter fortgeschritten als die Klimakrise und gefährdet laut dem Stockholm Resilience Center „die Integrität der lebenden Systeme“, von denen auch die Menschen abhängen.
1,1 Millionen Menschen haben eine Europäische Bürgerinitiative unterstützt, die eine ausgesprochen ehrgeizige Reduzierung von Pestiziden und die Unterstützung von Landwirten bei der Umsetzung dieser Ziele fordert. Laut einer von PAN-Europe in Auftrag gegebenen IPSOS-Umfrage unter Bürgerinnen und Bürgern in 6 EU-Mitgliedsstaaten sind nicht weniger als 81,8 % der Befragten besorgt über die Umweltschäden durch den Einsatz von Pestiziden.
Und eine Zeit lang schien es, als würde in Brüssel ein anderer Wind wehen, zumindest wenn es um Lebensmittel und Landwirtschaft geht. Politiker/innen an der Spitze der EU-Kommission, darunter auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, schienen zu erkennen, dass sie handeln müssen und zwar dringend.
Doch von Anfang an konnten wir Tag für Tag und Monat für Monat miterleben, wie Konzerne wie zum Beispiel Bayer und BASF, ihre Lobbygruppen und ihre politischen Verbündeten zahlreiche Green-Deal-Projekte verzögerten, untergruben und sogar zum Scheitern brachten.
Der Höhepunkt dieses Projekts fand letzte Woche statt, als das geplante Gesetz zur Reduzierung von Pestiziden in Straßburg abgelehnt wurde.
Die grüne Europaabgeordnete Sarah Wiener, Berichterstatterin für das Gesetz zur Reduktion von Pestiziden sagte nach der Abstimmung:
„Dies ist ein sehr dunkler Tag für die Gesellschaft insgesamt und für die Umwelt – und auch für die Landwirte.“
Die Mitte-Rechts-Partei Europäische Volkspartei (EVP) hingegen feierte das Scheitern des Vorschlags. Das Gesetz war bereits stark ausgehöhlt worden, ähnlich wie das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur, und die EVP hatte daran gearbeitet, beide Vorschläge zu untergraben, indem sie einen zynischen populistischen Weg der Umweltzerstörung beschritt und sich selbst, für einen vermeintlichen Wahlgewinn, als „Bauernpartei“ umbenannte.
Vor allem die konservative EVP-Fraktion, insbesondere Leute wie Norbert Lins (Deutschland) oder Alexander Bernhuber (Österreich), waren die ganze Zeit über die Sprachrohre der Pestizidindustrie.
Bedauerlicherweise reiht sich der Vorschlag zur Reduzierung von Pestiziden nun ein in eine Reihe von anderen Elementen des Green Deal, die ebenfalls nicht in Kraft getreten sind, darunter das Gesetz für nachhaltige Lebensmittelsysteme, neue Tierschutzvorschriften, eine dringend benötigte Überarbeitung des Chemikalienrechts und vieles mehr.
Doch das Scheitern des Green Deals ist nicht plötzlich vom Himmel gefallen.
Zweijährige Lobbykampagne der Industrie
In einer zweijährigen Kampagne arbeiteten die Agrarlobby und die Pestizidindustrie Hand in Hand. Dazu gehörten selbst inszenierte „Auswirkungsstudien“ und Panikmache über Produktivitätsverluste und Ernährungssicherheit.
Die Annahmen und das Design dieser Studien wurden von Wissenschaftlern, EU-Institutionen und Nichtregierungsorganisationen weitgehend in Misskredit gebracht. Nicht weniger als 6.000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben sich für das Gesetz zur Reduzierung von Pestiziden und das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur ausgesprochen, da diese für die langfristige Ernährungssicherheit unerlässlich sind.
Trotzdem wurde der Trommelwirbel der Konzerne immer lauter und führte schließlich zu einer sechsmonatigen Verzögerung der Verhandlungen über die Pestizidreduzierung, da der Rat die Kommission zwang, weitere Studien durchzuführen. Diese Verzögerung war von entscheidender Bedeutung, da zu diesem Zeitpunkt im Wahlzyklus nur noch wenig Zeit für die Fertigstellung des Dossiers blieb.
Neben dieser Verzögerungstaktik wurden noch viele andere eingesetzt, um den Vorschlag zur Reduzierung von Pestiziden zu untergraben.
Ein neuer Bericht von Corporate Europe Observatory zeigt, dass die Industrielobby nicht nur die im Gesetz vorgeschlagenen Ziele zur Reduzierung von Pestiziden untergraben hat, sondern auch das Potenzial biologischer Methoden zur Schädlingsbekämpfung heruntergespielt, undurchsichtige Medieninhalte gesponsert hat, um ihre Botschaften zu verbreiten, und ihre eigenen technologischen Lösungen propagiert hat, auch wenn diese nicht bewiesen sind, wie z. B. die Deregulierung von genveränderten Pflanzen. Letztere werden von Konzernen patentiert, was die Abhängigkeit der Landwirte erhöht.
Dies ist eine weitere Situation, die aus anderen Lobbykämpfen bekannt ist: Sowohl die Agrarlobby Copa-Cogeca als auch die konservativen Abgeordneten der EVP behaupten, die Stimme der Landwirte in Europa zu vertreten, handeln aber in Wirklichkeit gegen deren Interessen. Landwirte und Landwirtinnen, ihre Familien und Nachbarn sind die ersten, die den schwerwiegenden gesundheitlichen Folgen ausgesetzt sind, die das Versprühen von Pestiziden auf landwirtschaftlichen Flächen verursachen kann, wie z. B. Parkinson oder Krebs.
Und was ist mit den Entscheidungsträgern, die für die Einhaltung der Green Deal-Versprechen verantwortlich sind? Frans Timmermans, der die Gesamtverantwortung trug, verließ sein Amt, um sich der niederländischen Innenpolitik zu widmen, während von der Leyen den „Mann auf dem Mond Moment“ in der EU längst vergessen hat und es zudem versäumt hat, die Green-Deal-Agenda konsequent zu unterstützen, wenn es hart auf hart kommt. Unterdessen haben die Unternehmenslobbyisten die EVP und andere Politiker gestärkt, die das Wohl der Unternehmen konsequent über das Wohl von Gesundheit und Umwelt stellen.
Das Gesetz zur Reduzierung von Pestiziden SUR ist vorerst gescheitert. Das Problem des Rückgangs der biologischen Vielfalt wird, genau wie die Klimakrise, nicht verschwinden und wir müssen uns damit auseinandersetzen. Aber je später wir das tun, desto schwieriger wird es sein.
Warum sollte diese Sabotage durch kapitalkräftigen, eigennützigen Unternehmenslobbyismus noch länger geduldet werden? Es ist an der Zeit, das zu beenden.
Es gibt eine Firewall für das öffentliche Interesse gegen die Lobbyarbeit der Tabakindustrie in Fragen der öffentlichen Gesundheit. Dies wird auch von Klimakrisen-Aktivistinnen und Aktivisten gefordert für die Industrie der fossilen Brennstoffe.
Dadurch sollen Entscheidungsträger daran gehindert werden, Plattformen zu nutzen, Lobbyisten Zugang zu gewähren und es sollen Interessenkonflikte verhindert werden.
Um die Krise der biologischen Vielfalt zu bewältigen und eine lebenswerte Zukunft zu schaffen, brauchen wir eine Politik, die Landwirte anleitet und unterstützt, von synthetischen Pestiziden wegzukommen. Um dies zu erreichen, müssen wir die Verursacher von Umweltverschmutzung aus der politischen Entscheidungsfindung ausschließen.
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Heike Pich vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!