Regulieren, konzentrieren, kontrollieren: So machte sich Viktor Orbán Ungarns Medien in einem Jahrzehnt untertan.
Pascal Sigg für die Onlinezeitung Infosperber
Heute tritt Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán auf Einladung von Weltwoche-Chef Roger Köppel in Zürich auf. Mit dabei: Zahlreiche SVP-Exponenten wie die beiden ehemaligen Bundesräte Christoph Blocher und Ueli Maurer. «Die Schweiz, Ungarn und die ‹Weltwoche› verbindet vieles, nicht zuletzt die Freiheitsliebe und der Respekt vor anderen Meinungen», sagte Roger Köppel gegenüber 20 Minuten.
Rechtlicher, regulatorischer und wirtschaftlicher Machtmissbrauch
Köppels Äusserung ist allermindestens bemerkenswert. Denn Orbán selber beschneidet die Freiheit seiner politischen Gegner und verwehrt ihnen teilweise freie Meinungsäusserung auf raffinierte Weise. Seit 2010 hat der Chef der regierenden Fidesz-Partei nämlich die Medienlandschaft umgekrempelt und systematisch weitgehend unter Staatskontrolle gebracht. Die ungarische Medienforschungsagentur Mérték spricht von Soft-Zensur.
Vor den Parlamentswahlen im letzten Jahr schrieb das International Press Institute in seinem Bericht zum Zustand der ungarischen Medien: «Fidesz hat das umfassendste Modell der Medieneroberung verfolgt, das jemals in der EU entwickelt wurde.» Die Regierungspartei habe rechtliche, regulatorische und wirtschaftliche Macht koordiniert ausgenutzt, um die Kontrolle über die öffentlichen Medien zu erlangen, private Medien in den Händen von Verbündeten zu konzentrieren und den Markt zum Nachteil des unabhängigen Journalismus zu verzerren.»
Drei Aspekte waren besonders wichtig für diese grossflächige Unterwerfung des Journalismus:
- Direkte Regierungskontrolle über neue Medienbehörde
In den Parlamentswahlen 2010 erreichte das Bündnis aus Fidesz und Christlich-Demokratischer Volkspartei die Zweidrittelmehrheit. Bereits drei Monate nach den Wahlen präsentierte es eine überraschend weitgehende Verfassungsrevision und Gesetzesentwürfe, welche eine Reorganisation der bisherigen Medienbehörden vorsahen. In einem zweijährigen Prozess, den unter anderen der Politikwissenschaftler Robert Csehi beschreibt, wurden bisher separate Behörden zusammengelegt und ein neuer, fünfköpfiger Medienrat geschaffen. Dessen Mitglieder bestimmt die Regierung. Der Rat erhielt die Kompetenzen, Radio- und TV-Frequenzen zu verteilen, bei Verstössen gegen die Medienregulierung – wie nach seiner Meinung zu wenig ausgewogene Berichterstattung – Strafen auszusprechen und die öffentlich-rechtlichen Medien zu führen. Die Regierung nahm darauf kosmetische Änderungen am neuen Gesetz vor. Ein OSZE-Bericht von 2011 verurteilte die neue Medienregulierung aber scharf.
- Kontrolle über traditionelle und lokale Medien
Die Kontrolle über die Medienbehörde gab Fidesz wichtige Macht bei der Umstrukturierung der Medienlandschaft. Denn der Medienrat musste auch über Verkäufe und Fusionen privater Medienunternehmen befinden und konnte so die Eigentumsverhältnisse zahlreicher bisher von der Regierung unabhängiger Medienunternehmen beeinflussen. Eigentlich hatte der Rat die Aufgabe, grosse Medienmonopole zu verhindern. Doch er tat das Gegenteil.
Zwar lehnte der Rat 2011 eine Fusion von Ringier und Axel Springer in Ungarn ab. 2014 genehmigte er aber Mediaworks, das einem regierungsnahen Geschäftsmann gehörte, die Portfolios von Ringier und Axel Springer zu kaufen. Und 2016 erlaubte es dem Unternehmen, sich weitere Regional- und Lokalblätter einzuverleiben. Zwischen 2010 und 2018 verliessen acht ausländische Besitzer den ungarischen Medienmarkt und verkauften Anteile an Medienunternehmen im Wert von über 200 Millionen Euro in ungarische Hände.
Die neue Medienkonzentration gipfelte in der Gründung der Zentraleuropäischen Presse- und Medienstiftung (KESMA) im November 2018. Das Medienkonglomerat unter Regierungskontrolle versammelt mehr als 400 Medientitel – darunter alle täglich erscheinenden Regionalzeitungen und Radiostationen. Der letzte kritische Radiosender, Klubrádió, verlor seine Lizenz nach Intervention des Medienrats 2021. Die öffentlich-rechtlichen Medien unterstehen direkter Regierungskontrolle. Orbáns Vertraute diktieren auch die Berichterstattung der staatlichen Nachrichtenagentur. Einzig online überleben regierungskritische Medien, doch ihre Reichweite ist beschränkt und sie kämpfen laufend mit finanziellen Problemen.
- Kontrolle über Werbeanzeigenmarkt
Mit ein Grund dafür ist, dass die Regierung auch den Werbeanzeigenmarkt dominiert. Der Staat ist der grösste Werbetreibende Ungarns und hat seine Ausgaben in diesem Bereich laufend gesteigert. Inzwischen macht er etwa einen Drittel des Marktes aus. Mit ihrer Werbung belohnt die Regierung gezielt unkritische Medienmarken. Im Februar 2021 beschwerten sich 15 Journalismusorganisationen bei der EU-Wettbewerbskommissarin Margarete Vestager über die diskriminatorische Verteilung von Werbegeldern in Ungarn und warnten vor einem ähnlichen Vorgehen der nationalistischen Regierung Polens.
Diese Medienmacht dürfte direkte Auswirkungen auf die Parlamentswahlen von letztem Jahr gehabt haben. Fidesz schnitt gerade bei den Gruppen, welche über Onlinemedien schlecht zu erreichen sind, am besten ab. Die Partei ist besonders auf dem Land und in älteren Wählergruppen sehr populär, hat in den grossen Städten aber einen schweren Stand.