Hayu Dyah ist eine junge javanesische Frau und Präsidentin von Mantasa, einer indonesischen NGO mit Sitz auf Java. Das Ziel von Mantasa ist es, die Mangelernährung von Frauen und Kindern zu bekämpfen, die im modernen Indonesien noch weit verbreitet ist. Hayu hat mehr als 700 Wildpflanzen probiert, die reich an Vitaminen und Nährstoffen sind. Sie geht regelmäßig in die Dörfer, um den Frauen zu zeigen, wo diese Pflanzen zu finden sind und wie sie zubereitet werden und tauscht dabei Wissen und neue Rezepte mit ihnen aus.

Am Weltumwelttag am 5. Juni veröffentlichte Vandana Shiva zusammen mit einigen Vertreterinnen der internationalen Bewegung Diverse Women for Diversity auf einer Pressekonferenz in Rom das Manifest des Ökofeminismus, das zu einem Zusammenwirken weiblicher Kraft mit der Kraft der Natur aufruft.

Mantasa arbeitet seit mehr als zehn Jahren daran, dieses Zusammenwirken der Kräfte zu erreichen, – der Frauen untereinander sowie zwischen den Frauen und der Natur. Hayu, kannst Du uns erzählen, wie Ihr das gemacht habt?

Nun, Mantasa gibt es seit 2009 und wie Du schon erwähnt hast, arbeiten wir vor allem mit Frauen vor Ort und indigenen Frauen in Indonesien am Problem der Mangelernährung, indem wir Wildpflanzen verwenden. Eine sehr erfahrungsreiche Reise für die Familien.

Als ich jung war und in die Dörfer ging dachte ich, ich würde ihnen zeigen, wie man diese Pflanzen verwendet. Dabei war es andersherum – ich habe viel von diesen Frauen über die Weisheit und das Wissen und über alle Aspekte der Nährstoffe dieser essbaren Wildpflanzen gelernt. Es war also ein bedeutender Lernprozess für mich. Nun denke ich, dass es mehr um den Austausch von Wissen geht: mit meinem Hintergrund in Ernährungstechnologie kann ich ein wenig meine Erfahrungen auf dem Gebiet der Ernährung teilen und wie man den Verlust an Nährstoffen beim Zubereiten essbarer Wildpflanzen vermeidet. Die Frauen wiederum teilen mit mir ihre traditionellen Rezepte.

Seit kurzem arbeite ich mit indigenen Frauen in zwei Gebieten in Ost-Nusa Tenggara in Ende und auf der Insel Alor. Dieses Projekt nennt sich „Schule zu Essbaren Wildpflanzen”. Es ist eine Schule, die darauf abzielt, wie indigene Frauen ihre eigene Erforschung und Dokumentierung des sie umgebenden traditionellen Wissens durchführen.

In diesem Fall ist die Macht des Wissens in den Händen der Frauen, sie müssen also nicht auf Forschende von außerhalb ihrer Community warten, sondern sie müssen die Forschungen selber durchführen und sind diejenigen, die Anweisungen erteilen, wenn Forschende von außerhalb kommen. Sie erfragen Daten und Informationen zu Fällen von Biopiraterie, die auf der ganzen Welt zahlreich vorkommt. Außerdem wollen sie ihr Wissen über Pflanzen zurückerlangen, denn ich denke, dass die Rolle der Frauen im Ernährungssystem nicht angemessen beachtet wird, sondern noch sehr unsichtbar ist.

Was ich in den Dörfern auf der Alor Insel und in Ende erlebe, ist wie diese Frauen jeden Tag in die Nachbarschaft gehen, nur um sicher zu sein, dass jeder für den Tag zu Essen hat. Sie gehen in den Wald und den Gemüsegarten und wenn sie zurückkehren, gehen sie nicht sofort nach Hause, sondern sehen nach ihren Nachbarinnen oder ihren Familien und bieten ihnen von ihrer Ernte an, was sie möchten. Ich denke, dass das eine sehr wichtige soziale Rolle und eine schöne Verbindung zwischen den Frauen, der Natur, Nachbarinnen und Familien.

Ich habe erfahren, dass Mantasa von der Women’s Earth Alliance in den USA ausgewählt wurde und dass Du dann mit Navdanya und anderen internationalen Organisationen gearbeitet hast. Kannst Du uns über diese Zusammenarbeit berichten? Wie wurde Eure Arbeit dadurch verbessert?

Ja, sie haben mir wirklich dabei geholfen, mich auf meine Vision zu fokussieren. Sie erinnern mich immer wieder daran, meine Arbeit zu optimieren und sie helfen mir auch dabei, meine Organisation zu leiten und mit anderen Netzwerken zu verbinden. Ich wurde von der Women’s Earth Alliance 2021 als Partnerin gewählt und auch in diesem Jahr werden wir wieder zusammenarbeiten. Im vergangenen Jahr haben wir zusammen an einem kleinen Projekt gearbeitet, „Indigenous people literacy“ (Alphabetisierung der indigenen Bevölkerung), an dem junge Menschen der indigenen Community innerhalb des Dorfes in Ende beteiligt waren.

In der heutigen Zeit haben viele jungen Menschen ihre eigenen Probleme – so wissen sie nicht viel über ihre eigene Kultur und viele von ihnen wissen nicht, wie Wildpflanzen angewendet werden können. Sie kennen die Namen der Pflanzen nicht und wie man sie als Heilmittel, für Nahrung oder für Stoff verwenden kann, das ist frustrierend. Das ist es auch für die Älteren, denn sie denken, dass sich die Jugend nicht mehr um ihre eigene Kultur kümmert; es ist also hier eine Lücke zwischen der älteren und der jüngeren Generation entstanden. Im Workshop im vergangenen Jahr haben wir sie zusammengebracht und konnten sehen, wie glücklich die Älteren waren. Auf diesen Moment hatten wir gewartet! Die jungen Menschen kamen zu uns, um uns über ihre eigene Kultur zu befragen und welche Nahrung es vor 50 Jahren oder 30 Jahren gab etc. In diesem Jahr führen wir das Projekt mit Frauen in der „Schule zu Essbaren Wildpflanzen“ gemeinsam mit der Women’s Earth Alliance fort.

Was Navdanya angeht, so fand unsere letzte Zusammenarbeit glaube ich 2017 statt, als wir in Yogyakarta und Bali unterwegs waren, hier ging es um regenerative Landwirtschaft. Ich plane aber, mehr mit ihnen zusammenzuarbeiten, konkret in der „Schule zu essbaren Wildpflanzen“, denn Navdanya hat eine großartige Arbeit bei der Anlage gemeinschaftlicher Saatgutbanken in ganz Indien geleistet. Das möchte ich gern auf Indonesien übertragen. Die “Community der indigenen Bevölkerung” in Indonesien ist die Einzige, die diese Saaten aufbewahren kann, sie sind also die Saaten-Manager. Auf der Insel Alor zum Beispiel haben sie dutzende Formeln, wie ihre Saaten in fünf oder zehn Jahren ertragreicher gemacht werden können. Das ist sehr erstaunlich für mich, aus dem Wissen dieser Frauen sollten wir mehr schöpfen.

Ich kann mich daran erinnern, dass, als wir uns 2015 trafen, Mantasa Vandana Shiva’s tour „Seeds Freedom“ organisiert hatte und dass deren Anlass war, dass in Keliki auf Java eine Gruppe Farmer gerade aus dem Gefängnis entlassen worden war, deren „Verbrechen“ darin bestanden hatte, dass sie Saatgut getauscht hatten und eigenes Saatgut gewonnen hatten. Da nur wenige davon wussten, wollten Sie dem Thema Farmer und Saatgut (und Monsanto) Aufmerksamkeit verschaffen. Sie waren sehr glücklich, dass Vandana Ihre Einladung nach Java und Bali angenommen hatte. Seither ist die Zusammenarbeit zwischen Mantasa und Vandana enger geworden und nach einiger Zeit lud Vandana sie und die Farmer nach Dehradun an der Earth University ein.

Ja genau, das war ein sehr aufregender Moment. Ich nahm zehn Leute aus Indonesien mit nach Indien und für sie alle war es die erste Reise außerhalb ihres Landes und sie sprachen überhaupt kein Englisch! Es war eine Herausforderung, von Englisch ins Indonesische zu übersetzen, doch am Ende des Tages haben sie so selbstverständlich mit den anderen gearbeitet und ihr Wissen mit den anderen aus allen Teilen der Welt ausgetauscht.

Am 5. Juni erinnerte Vandana Shiva in Rom daran, dass „Frauen diejenigen sind, die die Natur immer verteidigt haben, beginnend mit der indischen Chipko-Bewegung, bei der 1970 Frauen aus dem Himalaya Bäume umarmten, um deren Fällung zu verhindern. Frauen und die Natur werden von denselben Kräften kolonialisiert, die einerseits davon ausgehen, dass Natur tot ist und andererseits, dass Frauen passiv, dass sie Objekte sind.“

Frauen verstehen, wenn die Zerstörung eines Ökosystems beginnt und vor allem verstehen sie, dass es andere Wege gibt, Nahrungsmittel herzustellen. Wege, die nicht das Leben auf der Erde zerstören. Frauen sind außerdem die ersten, die mit einer Wirtschaft der Achtsamkeit produzieren.

Frauen und Natur wirken zusammen in einem kreativen System. Anders als die Kolonialisierung, die ein gewalttätiges System ist. Die Revolution ist also das Zusammenwirken der Kraft der Erde und der Frauen. Das ist die Essenz des Ökofeminismus.

Dieses Interview ist Teil des Projektes „Woman Pride“ (Weiblicher Stolz) von Donna Reporter. Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Silvia Sander vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!


Quellen:
https://navdanyainternational.org/publications/making-peace-with-the-earth-an-ecofeminist-manifesto/
https://www.mantasa.org/