Ein subjektiver Bericht der über die Internationale Friedenskonferenz für die Ukraine in Wien.

Da stand nun der Elefant auf der Bühne, als sich kürzlich in Wien einige Hundert engagierte Friedenskämpfer*innen und Menschrechtsverteidiger*innen – unter ihnen mindestens die Hälfte Frauen und eine nennenswerte Präsenz aus der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit aus Europa – trafen.

Das Ziel war, Wege zur Beendigung des Kriegs in der Ukraine aus zivilgesellschaftlicher Sicht auszuleuchten. Norwegische Ligafrauen hatten den Elefanten mitgebracht, um die verheerenden Folgen für Mensch und Umwelt allen bildlich vor Augen zu führen – Gefahren, die in der aktuellen Debatte so gern ausgeblendet werden: Zerstörung von Infrastruktur, Verlegung von Minen, Verseuchung ganzer (landwirtschaftlicher) Regionen, massiver CO2 Eintrag in Luft, Boden und Wasser durch militärische Aktionen. Massive militärische Übungen der Allianzen erhöhen den Schaden und machen alle bisherigen Klimaanstrengungen zunichte mit bereits jetzt grenzüberschreitenden dramatischen Auswirkungen. Dazu ist die globale Versorgungslage u.a. durch ausfallende Getreidelieferungen für Gebiete extrem gefährdet, wo der Klimawandel bereits Existenzen vernichtet und Hungersnöte produziert mit der Folge neuer Konfliktherde.

Trotzdem geht das Töten weiter, die militärische – auch die sexualisierte – Gewalt produziert unermessliches Leid, Ängste, allzu berechtigte Wut auf den brutalen Angreifer und Kriegsverbrecher. Das beeinträchtigt massiv das gegenseitige Verständnis derjenigen, die sich für den Frieden einsetzen, erschwert die Zusammenarbeit der Zivilgesellschaft und schwebt über allen Begegnungen friedensbewegter antimilitaristischer Menschen. Der Verlust von Heimat und die erzwungene Flucht wurde zur brutalen Realität für viele Frauen und Kinder, die durch „Storytelling“ nur bruchstückhaft aufgefangen werden kann.

Es gibt sie jedoch noch die „Voices for Peace“, zwar eher leise und diskreditiert. Diese Stimme zu hören, kritische Fragen zu stellen und Solidarität zu stärken, ist ein Auftrag, den sich auch die Wiener Konferenz gestellt hatte, um gegen die Brutalisierung des gesellschaftlichen Dialogs zu halten: der Verlust von Menschenleben wird abgehakt als Kollateralschaden – ob sie im Mittelmeer ertrinken, auf der Balkanroute sterben, verhungern oder Kriegsopfer sind. Die Militarisierung von Köpfen und die Verhärtung von Herzen sind weit über die Grenzen der Ukraine und der Nachbarstaaten hinaus spürbar und müssen angegangen werden.

Krieg erzeugt neben der Gefahr des Klimakollapses und dem menschlichen Leid einen enormen volkswirtschaftlichen Schaden durch die Konzentration auf immer höhere Zerstörungspotentiale und die Akkumulierung von Waffen. Geld dagegen fehlt überall für Gesundheit, Klimaschutz, Bildung, soziale Maßnahmen, um die Daseinsvorsorge für ein Leben in Würde zu gewährleisten. Gleichzeitig machen Rüstungsgiganten astronomische Profite, die von keiner Übergewinnsteuer abgeschöpft werden. Die neoliberale Agenda für Wiederaufbau und Nachkriegszeit ist voll in Planung bei den Geberkonferenzen – praktisch unter Ausschluss der Zivilgesellschaft – wie dies nach allen Kriegen in den letzten Jahrzehnten war. Neues Konfliktpotential und Ungerechtigkeiten sind damit programmiert.

Wo bleiben Lösungen?

Wo bleiben eigentlich erkennbare diplomatische Interventionen, wo sind die Prozesse, die ein Stoppen des Tötens in Gang setzen könnten, einen Waffenstillstand vorbereiten, für Verhandlungen planen auch über den Rückzug des Aggressors? Die UNO, der Papst, die OSZE, internationale Think-Tanks, kluge Denker und erfahrene Diplomat*innen in allen Erdteilen haben Ideen – wer nimmt sie wahr? Für die Zivilgesellschaft, die sich in Wien traf, ist dies ein absolutes Muss! Leider gehen die Vorschläge und Initiativen weitgehend unter.

Dafür haben wir es zu tun mit einer deutlich wahrnehmbaren Lähmung aller politischen Kreise national, europäisch, transatlantisch, orchestriert von fatalem Interessengeschacher um Einflusssphären, alte und neue Feindbilder und den Fokus auf rein militärische Selbstverteidigung. “Hilflosigkeit“, wie schon 2022 das offizielle Motto der Münchner Sicherheitskonferenz hieß, kombiniert mit einer explosiven Mischung aus Ablehnung von Pazifismus als neuem Realismus, einseitigen Rufen nach einem „Siegfrieden“ gegen den russischen Imperialismus als vermeintlichem einzigem Ausweg aus der Katastrophe. Der mediale Mainstream orchestriert diese Hilflosigkeit und diskreditiert, verleumdet und gefährdet damit existentiell Pazifist*innen, Aktivist*innen des zivilen Widerstands gerade aus dem postsowjetischen Raum sowie Wehrdienstverweiger*innen, Menschenrechtsverteidiger*innen, Friedensbewegte. Er spaltet und erhöht die Militanz: Friedensforscher*innen erarbeiten, erklären inzwischen militärische Strategien und sprechen von einem „Ausnahmekrieg“, der die Zeitenwende bedingt und Aufrüstung notwendig macht, zynischerweise im Namen der Neudefinition von Prävention. Deutschland erstellt eine „Nationale Sicherheitsstrategie“ die vorgibt, die Wohlstandsfestung abzusichern. Militärische Allianzen boomen mit der neuerlichen NATO-Erweiterung in Nordeuropa, rechte politische Kreise überall in Europa gerieren sich als Friedensapostel und springen auf den Zug auf.

Vortreffen der Frauenstimmen für den Frieden in Wien

In Wien hatte WILPF Österreich in der „Frauenhetz“ eine engagierte Vordiskussion von friedensbewegten Frauen organisiert. Das Treffen brachte Ligafrauen aus Deutschland (aus der Münchner Gruppe), Norwegen, Dänemark, Belarus/Litauen, Italien, Spanien, Afghanistan, einschließlich der internationalen Ligapräsidentin aus Kamerun zusammen mit Freundinnen aus der OSZE/CSP-Gruppe aus Georgien, Kosovo, Serbien, Armenien und Ukraine und Partnerinnen der 1000 Friedensfrauen weltweit[4]. Neben der für alle unbestrittenen Verurteilung des russischen Angriffskrieges und der Betonung des völkerrechtlichen Anspruchs auf Selbstverteidigung der Ukrainer*innen, stand zentral die Forderung, alles zu unternehmen, um auf einen sofortigen Waffenstillstand hinzuarbeiten, der Verhandlungen ermöglichen müsse. Der Konsens war klar: Frieden aus einer feministischen Perspektive basiert auf einer Ursachenanalyse von Krieg und Gewalt und ist ein Weg sich für De-Militarisierung einzusetzen, ein Prozess für den es sich lohnt zu streiten. Im Zentrum steht der Begriff menschlicher Sicherheit, der Engagierte vor Ort, überregional und im internationalen Kontext zusammenbringt und Frauen gleichberechtigt an Verhandlungstische bringt.

Anregungen aus dem Treffen der Frauen

Wie schwierig und kontrovers Waffenstillstandsverhandlungen und Abkommen sind bzw. sein können, machte die Vertreterin aus Armenien mit den aktuellen Erfahrungen im Karabach-Konflikt nochmal deutlich, und wie wichtig es gleichzeitig ist, die Bedingungen für Verhandlungen mitzubestimmen und durch Einwendungen zu korrigieren. Wie gefährlich die Nähe von dem Ukrainekrieg für Nachbarregionen und kriegstraumatisierte Bevölkerungen für die Re-Traumatisierung sein kann, erfuhren wir aus Georgien, wo sich gerade deshalb junge Menschen nachhaltig für ihre Zukunft engagieren. Wie lang andauernd Spannungen zwischen Gruppen sind und wie wichtig und zielführend aus dem Dilemma zivilgesellschaftliches Brückenbauen vor Ort sein kann, beschrieben serbische und albanische Frauen aus dem Kosovo. Gleichzeitig aber tauschten alle sehr bereichernd ihre Erfahrungen aus von Annäherungsprozessen, Gesprächen mit Ombudspersonen, Briefen an die internationale Gemeinschaft, Arbeit auf der Grundlage der Frauen-Frieden-Sicherheitsagenda von lokal bis regional und international vernetzt.

Wir diskutierten das Recht auf Selbstverteidigung aus einer sowohl legalen, völkerrechtlichen Perspektive, die über die Frage von Waffen und Militär hinausgeht und auf Empowerment, Dokumentation von Gewaltübergriffen und Kriegsverbrechen, auf soziale Unterstützung, Solidaritätsmaßnahmen, Care setzt. Auch neue feministisch-pazifistische Motivationen, um sich für die Landesverteidigung fit zu machen, wurden angesprochen! Vorschläge und Initiativen aus verschiedenen Kreisen gehen im Ruf nach immer mehr Waffen unter. „Wir brauchen ein Gegennarrativ zur Kultur der Gewalt“ betonten Teilnehmer*innen für eine erneute und bewusste „Humanisierung der Gesellschaft“ gegen die Brutalisierung des Umfeldes.

Eine belarussische Freundin brachte alle zum Nachdenken, als sie sagte, sie verstehe den Schmerz und die Verzweiflung aus dem Kriegskontext: „Wir werden von allen um uns herum nicht als Menschen wahrgenommen, die sich konsequent für den Frieden und gegen Gewalt einsetzen, die als hilflose Opfer, die den Angreifer, der nicht auf sie hört und weiter quält, um Gnade anflehen“. Aber sie betont auch, dass diejenigen, die für Frieden eintreten auch von anderen allzu leicht verspottet und lächerlich gemacht würden. Sie seien zur Zielscheibe von Mobbing und Belästigung geworden, weil jeder glaube, man sei machtlos. Sie endet mit dem Appell: „Ich glaube, es ist an der Zeit, die Stärke unserer gewaltfreien Bewegung und unsere Fähigkeit zu zeigen, Leben zu retten und diese verrückte Welt der Gewalt zu überwinden.“

Wege zum Frieden

So waren wir nach diesem Vortreffen gestärkt und schwesterlich motiviert, den schwierigen Weg der „Pathways to Peace“ gemeinsam mit den übrigen Organisator*innen, allen voran „Abfang“ und International Peace Büro/IPB zu gehen: wir bildeten für die gesamten Konferenzteilnehmer*innen Moderator*innen-Teams, die in Arbeitsgruppen sich Fragen zu Erfahrungen mit Waffenstillstand, De-militarisierung, Verhandlungen, Friedensinitiativen widmeten und in einem zweiten Schritt Perspektiven in Richtung auf Schritte für eine Friedensarbeit und menschenrechtliches Engagement diskutierten und im Plenum vorstellten im Hinblick auf eine Beendigung des Krieges. Die abschließende Erklärung der Konferenz ist ein Mosaikstein für einen Prozess, dem wir uns- gerade auch aus der mehr als 100-jährigen Erfahrungen der internationalen Frauenliga auf der Ursache unserer feministischen Analyse von Ursachen für Krieg und Gewalt weltweit und unserer Priorität der Prävention und des „Caring“ für die Menschen nicht entziehen können und wollen.

„Peace is a gift to see the future“ betonte eine ukrainische Teilnehmerin – ein schöner und gleichzeitig trauriger Satz für die Bewältigung der Gegenwart. Er enthebt niemanden der Verantwortung, sich von der Vision leiten zu lassen, dass Frieden möglich ist. Wir sehen uns als Pazifist*innen nicht in der Sackgasse, wie dies despektierlich eine österreichische Zeitung schrieb, sondern wir stehen auf den Schultern von Riesinnen der Frauenfriedensbewegung. Auf unserer Agenda bleibt das verbindende Engagement gegen Militarismus, Patriarchat und Kapitalismus. Ich war froh, dabei gewesen zu sein.


[1] www.wilpf.org

[2] https://www.wilpf.org/the-peace-that-is-not-bosnia-and-herzegovina-is-an-egregious-example-of-failures-of-neoliberal-peacebuilding/?_gl=1*sp1jz0*_up*MQ..*_ga*OTQ0OTE5ODI0LjE2ODc0MjI0NzA.*_ga_F02L4N7KKH*MTY4NzQyMjQ3MC4xLjEuMTY4NzQyMjUyMy4wLjAuMA..*_ga_M0METNSX3T*MTY4NzQyMjQ3MC4xLjEuMTY4NzQyMjUyMy4wLjAuMA

[3] http://civicsolidarity.org/member/1451/working-group-women-and-gender-realities-osce-region

[4] https://1000peacewomen.org/de