Gegen den Kreml-Kritiker Alexej Nawalny wird wegen angeblichen Extremismus in Moskau ein neuer Prozess eröffnet. Ihm drohen 30 Jahre Haft.
Von Helmut Ortner
Bereits zu elfeinhalb Jahren ist Alexej Nawalny verurteilt, die er in einem Straflager unter „strengem Regime“ absitzt. Das bedeutet weniger Besuche, weniger Briefe und Pakete und Verkürzung der täglichen Spaziergänge im Freien. Immer wieder kommt Nawalny in die Strafzelle. Dort gibt es keinerlei Besuche, persönliche Gegenstände sind verboten. Seine Unterstützer beklagen einen dramatisch verschlechterten Gesundheitszustand.
Wir erinnern uns: Nawalny wurde 2020 bei einer Reise nach Sibirien mit dem Nervenkampfstoff Nowitschok vergiftet. Er wurde damals im Koma liegend nach Deutschland ausgeflogen und dort behandelt. Menschenrechtler werfen dem russischen Inlandsgeheimdienst FSB vor, hinter der Vergiftung zu stecken. Der Kreml weist das zurück. Nach seiner Rückkehr nach Russland wurde Nawalny bei seiner Ankunft auf dem Moskauer Flughafen festgenommen. Seither ist er im Straflager. Die Sonderberichterstatterin des Uno-Hochkommissars für unmenschliche Behandlung, Alice Jill Edwards, bezeichnete die Isolation als eine Art von Folter.
Am heutigen Mittwoch beginnt ein weiterer Prozess. Verhandelt wird hinter verschlossenen Türen, die Öffentlichkeit ist nicht zugelassen. Fraglich ist, ob Nawalny selbst vorgeführt oder ob er per Video zugeschaltet wird. Fraglich ist auch, ob am ersten Gerichtstag bereits die Anklage verlesen wird.
Die Staatsanwaltschaft hat 3.800 Blatt Material und 196 Aktenordner zusammengetragen. Gegen Nawalny wird in sechs Punkten Anklage erhoben, darunter Gründung, Finanzierung und Beteiligung an einer extremistischen Organisation. Weiterhin wegen Aufruf zum Extremismus und Verharmlosung des Nazismus. Mit „extremistischer Organisation“ ist der von Nawalny gegründeten Fonds für die Bekämpfung der Korruption (FBK) gemeint. Dieser hat eine Reihe von Indizien für Korruption auf höchster politischer Ebene bis hin zur Kreml-Oligarchie veröffentlicht. Vor zwei Jahren wurde der Fonds für extremistisch erklärt – vom selben Moskauer Stadtgericht, vor dem der Prozess gegen ihn selbst nun stattfindet. Bei einer Verurteilung drohen Nawalny nach eigenen Angaben 30 weitere Jahre Haft. Hier soll ein Regierungsgegner vernichtet werden.
International gilt er als politischer Gefangener. Zu Nawalnys Geburtstag am 4. Juni haben Menschenrechts-Organisationen zu weltweiten Protesten aufgerufen. Wir sollten uns dem anschließen.