Der nach dem Beginn des Ukraine-Krieges ausgerufene Plan Deutschlands und der EU, die Erdöllieferungen aus Russland durch Einfuhren aus anderen Ländern zu ersetzen, scheint sich auch nach mehr als einem Jahr immer noch problematisch zu gestalten. Es ist sogar so, dass diese Diversifizierung sich offenbar negativ auf die Beschaffungssicherheit der EU im Energiebereich auswirkt.
von Alex Männer
Denn die EU-Länder, die ihre Rohöllieferungen aus Russland als Reaktion auf den russischen Einmarsch in die Ukraine um fast eine Million Barrel reduziert hatten, müssen nun vermutlich auf einen weiteren Öllieferanten verzichten. Wie die Nachrichtenagentur Bloomberg in der vergangenen Woche berichtete, sollen die Einfuhren von Rohöl aus dem Nordirak in die EU wegen Zahlungsproblemen gestoppt worden sein. Die Rede ist von fast 170.000 Barrel, die das arabische Land noch im März täglich nach Europa geliefert hätte, heißt es.
Das Hauptproblem dabei ist allerdings nicht unbedingt der Umfang der Lieferungen, die die EU eventuell sogar langfristig verlieren könnte, sondern die Art von Rohöl, das für die Produktion wichtig ist. Es ist nämlich so, dass aus dem Irak das sogenannte „mittelschwere“ Öl importiert wurde, das ähnliche Eigenschaften wie das Öl aus Russland hat und das man unter anderem zu Kerosin und Heizöl weiterverarbeiten kann.
An dieser Stelle sei daran erinnert, dass vor allem die gegen Russland gerichteten Handels- und Wirtschaftsbeschränkungen seitens der USA, der EU und anderer Länder die Spannungen auf dem Markt für dieses Rohöl zuerst verursacht und danach noch zusätzlich verschärft haben. Angesichts dessen haben Indien oder die Länder des Nahen Ostens angesichts damit begonnen, mehr Rohöl aus Russland zu importieren, um die Raffination in ihren Anlagen und damit etwa ihren eigenen Export von Erdölprodukten zu steigern. So steht Indien dank seiner massiv ausgeweiteten Importe aus Russland laut Experten kurz davor, zu Europas wichtigsten Lieferanten von Erdölprodukten zu avancieren. Zudem stieg Indien bereits zum zweitgrößten Exporteuer (nach Kanada) von Erdölprodukten in die USA auf.
Nicht zu vergessen, dass eine aus europäischer Sicht mögliche Verknappung der mittelschweren Öle neuerdings auch noch dadurch verstärkt werden könnte, dass die Staaten der OPEC+, zu denen die Top-Produzenten Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate oder Russland gehören, erst Anfang April die Reduzierung der Ölproduktion um mehr als 1,5 Millionen Barrel pro Tag beschlossen haben.
In Anbetracht der Tatsache, dass das gesamte Angebot von Rohöl – und damit auch Angebot für die Art von Rohöl, die Russland und Irak produzieren – auf dem Markt künftig abnehmen soll, könnte die Nachfrage in Asien, insbesondere in China, nach dieser Sorte steigen, wie Bloomberg schreibt. Denn dieses Rohöl ist laut der Agentur die „Hauptnahrung“ der Raffinerien in den asiatischen Ländern.
Zumal ist die chinesische Wirtschaft gerade dabei, sich nach den Folgen der Corona-Pandemie zu erholen und auch Indien soll nach wie vor große Mengen in Russland kaufen. Diese beiden Wirtschaftsmächte sollen so bereits mehr als 80 Prozent des russischen Exports auf sich vereinen, dessen Großteil noch vor knapp einem Jahr eigentlich nach Europa gegangen war.
Aus diesem Grund prognostizieren immer mehr Experten einen harten Wettbewerb zwischen Europa und Asien, insbesondere um mittelschweres Öl. Auch Bloomberg verweist in diesem Zusammenhang auf Prognosen von Analytikern des Beratungsunternehmen Energy Aspects, wonach die EU-Länder und die Länder Asiens auf dem Rohölmarkt vor einem harten Konkurrenzkampf stehen würden. Dabei könnten die Asiaten die Europäer im Hinblick auf die Ölpreise überbieten und die EU in eine sehr schwierige Lage bringen. Diese müsste dann die entsprechenden Maßnahmen ergreifen, um auf dem Markt konkurrenzfähig zu bleiben.