Als Tochter von Atomkraftgegnern bin ich mit der Weltuntergangsuhr in einer Art aufgewachsen, wie es nur wenige andere getan haben. Jetzt fängt eine neue Generation an, Notiz davon zu nehmen.
Von Frida Berrigan
Ich bin keine TikTok-Nutzerin. Ich bin zu alt. Aber als ich mich schließlich einmal an diese beliebte, aber auch viel geschmähte App wagte, die mit kurzen Videos und Hot Takes handelt, war ich überrascht, dort viele Videos über die Doomsday Clock zu finden. Es handelt sich hierbei nicht um eine herkömmliche Uhr. Sie ist dazu gedacht, aufzuzeigen, wie nah die Menschheit dem nuklearen Armageddon gekommen ist – der sprichwörtlichen „Mitternacht“.
Normalerweise würde ich nicht an das Bulletin of the Atomic Scientists denken, wenn es darum geht, von wem TikTok-Inhalte angeboten werden. Das ist eine zutiefst seriöse Organisation, die 1945 nach den Atombombenabwürfen auf Hiroshima und Nagasaki von Physikern gegründet wurde. Die Uhr selbst wurde zwei Jahre später von dem Landschaftsmaler Martyl Langsdorf kreiert, um die von Atomwaffen ausgehenden Gefahren grafisch zu veranschaulichen. In den 76 Jahren ihres Bestehens wurden ihre Zeiger 25 Mal bewegt, aber niemals so Unheil verkündend wie im Januar dieses Jahres!
Und es ist nicht notwendig, sich etwas anderes als TikTok anzuschauen, um zu sehen, was geschah. Zwischen all diesen Tweens, die versuchen, den nächsten viralen Wahnsinn loszutreten, zeigt ein 30-sekündiges Video fünf auf der Stelle eingefrorene Vertreter des Wissenschafts- und Sicherheitsausschusses des Bulletins, während eine Stimme intoniert: „Wir stellen die Uhr vorwärts, so nah an Mitternacht, wie nie zuvor.“ Dann ziehen zwei von ihnen ein Tuch von der Uhr weg und fügen hinzu: „Es ist jetzt 90 Sekunden vor Mitternacht.“
Versionen dieses Videos erhielten auf TikTok Hunderttausende von „Likes“ und Tausende von Kommentaren. Wohlgemerkt, das ist so gut wie nichts im Vergleich zu den Videos selbst kleinerer Prominenter. Trotzdem scrollte ich durch die Kommentare, viele davon Varianten von „Bedeutet das, dass ich meine Hypothek / Rechnungen / Steuern nicht bezahlen muss?“ Andere hatten Texte wie „Someone call the Avengers“ (Jemand soll die Avengers rufen) oder fragten, ob es etwas mit Taylor Swifts Album Midnights zu tun habe. Wie es im Internet halt so ist, gab es übermäßig viele Verwünschungen und viel zu viele schräge Emojis sowie Leute, die sich über die unbeholfene Inszenierung und die lang dauernde Stille im Video lustig machten.
Unter diese Dummheiten mischten sich aber auch Äußerungen echter Angst, Verwirrung und Verzweiflung über die tatsächliche Möglichkeit eines Atomkriegs. Genau das ist es, was die Uhr als hervorragendes Kunstwerk im öffentlichen Raum tun soll: Gespräche anregen, Interesse daran wecken, Nachforschungen anzustellen und zum Handeln führen. Wie der Künstler Sam Heydt bemerkt, sollte uns die Doomsday Clock daran erinnern, dass „der Abgrund näher ist als wir denken. In einer Zeit, die von Massensterben, schwindenden Ressourcen, globaler Pandemie und Klimawandel geprägt ist, ist die Zukunft nicht mehr das, was sie einmal war.“
Tick, Tack, in der Tat!
Ein Markenzeichen von TikTok sind Reaktionsvideos, bei denen die Ersteller durch Teilen des Bildschirms ihre Antwort zeigen. In einem davon reagiert eine junge weiße Frau so: „Sollen wir jetzt Angst haben? Meine Generation wird nie in Rente gehen, nie ein Haus besitzen. Ich lebe in einem Van.“ Ich verstehe: Es gibt so vieles in unserer Welt, das dringender zu sein scheint: Schießereien an Schulen, Polizeigewalt, Bankenzusammenbrüche und Inflation, um nur einige zu nennen. Wer hat überhaupt noch die Zeit, um zu bemerken, dass die Zukunft nicht mehr das ist, was sie einmal war?
Aber irgendwo in jedem dieser direkt vor uns liegenden Problemen, ob wir es wahrhaben oder nicht, sind mit dem Ende von allem drohende Atomwaffen eingebettet. Sicherlich weiß das Pentagon darüber Bescheid, denn (ob Sie es bemerkt haben oder nicht) es investiert weiterhin eure Steuergelder in Atomwaffen, und zwar im großen Stil. Die Vereinigten Staaten sind zwischen 2019 und 2028 auf dem besten Weg, mindestens 494 Milliarden US-Dollar für ihre Nuklearstreitkräfte auszugeben, das sind dann etwa 50 Milliarden US-Dollar pro Jahr, so eine Einschätzung des Congressional Budget Office. Aktuell schätzen Analysten, dass das Pentagon plant, sein Atomwaffenarsenal in den kommenden Jahrzehnten zu „modernisieren“ – ja, so wird es ausgedrückt – was bis zu 1,5 bis 2 Billionen US-Dollar kosten könnte.
Die Uhr war noch nie so kurz vor Mitternacht und das Bulletin of the Atomic Scientists nutzt alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel, um die Alarmglocke zu läuten. Sie haben sogar eine „Doomsday Clock“-Playlist auf Spotify, und zudem war ihre 90-Sekunden-Uhr-Ankündigung kurzzeitig auf der Titelseite der Washington Post (zumindest auf der Vorderseite ihres Wissenschaftsteils) und der New York Times zu sehen. Dennoch leben wir in einem so vernebelten (Entschuldigung für diesen Ausdruck!) und polarisierten Medienumfeld, dass es immer schwieriger wird, durch das Getöse durchzudringen.
Atomwaffen, einst ein Nummer-Eins-Thema für viele Amerikaner, sind bestenfalls Hintergrundrauschen geworden. Ich frage mich deshalb, was geschieht, wenn die Weltuntergangsuhr Mitternacht erreicht hat? Was ist dann der nächste Schritt bei dieser bildhaften Darstellung? Oder ist es an der Zeit für eine völlig neue Metapher, für etwas (ich bitte noch einmal um Entschuldigung!) explosiveres?
Dann gibt es natürlich noch eine andere große Gefahr für uns alle, den Klimawandel, der, wie es scheint, nicht einmal eine bildhafte Darstellung braucht. Die Warnung vor wütenden Waldbränden, unglaublichen Überschwemmungen, Megadürren, heftigeren Stürmen, schnell schmelzenden Gletschern und verschwindenden Flüssen lässt die bloße Vorstellung von Metaphern zu Staub zerfallen. Klimaforscher bringen es schonungslos auf den Punkt. Welchen Teil von „es gibt ein sich schnell schließendes Zeitfenster, um eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft für alle zu sichern“ versteht ihr nicht? Das ist genau das, was der kürzlich veröffentlichte Bericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen mit „großer Gewissheit“ feststellt. Tick, tack, in der Tat!
Wenn ich darüber nachdenke, braucht es für Atomwaffen vielleicht auch keine neue Metapher. Schließlich haben wir bereits die Pilzwolke, die gequälten Augen dieses Kindes in Hiroshima, den Schatten eines Toten, der auf diesem Felsen zurückgeblieben ist, und die unnatürliche Stille, die der Wand aus Krach und Feuer folgte, die Tausende von Menschen in einem Augenblick verbrannte. Das ist keine Übertreibung. Das geschah in Hiroshima im Jahr 1945.
Heute, 2023, wo wir Nachrichten und Bilder fast in Echtzeit konsumieren, ist es schwer vorstellbar, dass die heute so anschaulichen Bilder aus Hiroshima und Nagasaki von unserer damaligen Regierung zensiert und mit Bann belegt wurden. Erst 1952 wurden endlich die erbarmungslosen Bilder des Fotografen Yoshito Matsushige veröffentlicht, zuerst in der japanischen Zeitschrift Asahi Gurafu und dann in der Zeitschrift Life. Und es gab so viel mehr, was keiner von uns jemals sehen wird. Immerhin verbrachte Matsushige 10 Stunden damit, durch seine zerstörte Stadt Hiroshima zu laufen, machte in dieser Zeit aber nur sieben Fotos. „Es war ein so grausamer Ort“, sagte er später, „dass ich mich nicht dazu durchringen konnte, auf den Auslöser zu drücken.“
Es ist drei Minuten vor Mitternacht und du willst was tun?
Vor Kurzem hatte ich ein Treffen mit einer Gruppe von College-Studenten aus dem ganzen Land. Zu meiner Erschütterung schien keiner von ihnen von Atomwaffen gehört zu haben, bis ich sie ansprach. Ich konnte es nicht nachvollziehen. Ich bin kein Martyl Langsdorf, aber dank meiner Familie bin ich mit der Weltuntergangsuhr in einer Art aufgewachsen, wie es nur wenige andere Menschen getan haben. Ich kann mich an keinen Tag in meinem Leben erinnern, an dem ich nicht über Atomwaffen nachgedacht habe und über die Fähigkeit dieses Landes, die Menschheit buchstäblich auszulöschen.
Es gibt Väter, die sagen Dinge, wie „Geld wächst nicht auf Bäumen“, wenn ihre Kinder um Erlaubnis bitten, einen Film zu sehen. Mein Vater war Phil Berrigan, ein Atomkraftgegener und Friedensaktivist. Und so sagte er: „Es ist drei Minuten vor Mitternacht und du willst ins Kino gehen?“ Stellt euch vor, so ein Leben zu führen, dass eure persönlichen Entscheidungen einen Unterschied ausmachen würden, wenn es um Atomkrieg geht. In der Weise haben meine Eltern und ihre Freunde in der katholischen Linken gelebt und so lebt eine kleine Subkultur bis heute weiter.
Meine Mutter und mein Vater, Elizabeth McAlister und Philip Berrigan, eine ehemalige Nonne und ein Priester, weigerten sich, „Kriegssteuern“ zu zahlen, drangen in militärische Einrichtungen ein, um gegen unsere Art, den Weltuntergang herbeizuführen, zu protestieren, hielten Mahnwachen in Waffenfabriken ab und protestierten bei Aktionärsversammlungen riesiger Waffenkonzerne, sich gleichzeitig auch um die Opfer der verdrehten US-Politik kümmernd, indem sie Suppenküchen organisierten und ihre Türen für Obdachlose öffneten.
Indem er mich zu jeder Zeit daran erinnerte, wo die Zeiger der Weltuntergangsuhr standen, half mir mein Vater, die Besorgnis über Atomwaffen in mein tägliches Leben zu integrieren. Er half mir, die mir für jede Sorge zur Verfügung stehende Energie zu bemessen. Ich meine, warum sollte man an einer Kinokasse über 8 US-Dollar (jetzt 28 US-Dollar?) ausgeben, um sich von einer Horrorgeschichte auf der Zelluloidleinwand erschrecken zu lassen, wenn die Schrecken der realen Welt kostenfrei sind?
76 Jahre Weltuntergangsuhr in 25 Zügen
Also, die nukleare Zeitmessung begann 1947 um sieben Minuten vor Mitternacht.
1949, als sich der Kalte Krieg aufheizte und die Sowjetunion die Bombe entwickelte, wurden die Zeiger dieser Uhr auf drei Minuten vor Mitternacht verschoben, als Hinweis dafür, deutlich zu nah dran zu sein! Das Bulletin of the Atomic Scientists schrieb, nachdem Russland seine erste Atombombe gezündet hatte: „Wir denken, dass die Amerikaner Grund haben, zutiefst beunruhigt zu sein und sich auf schwerwiegende Entscheidungen vorzubereiten.“ Das nukleare Wettrüsten war in vollem Gange.
Im Jahr 1953, nachdem die USA und die Sowjets gewaltige Wasserstoffbomben entwickelt und getestet hatten, wurden diese Zeiger auf zwei Minuten verschoben.
1960 nötigten die anhaltende internationale Zusammenarbeit und die erfolgreiche Aushandlung von Rüstungskontrollverträgen zwischen den rivalisierenden Supermächten die Wissenschaftler, die Uhrzeiger auf sieben Minuten vor Mitternacht zurückzustellen.
Im Jahr 1963, im Zuge der Kubakrise und des Schreckens eines beinahe nuklearen Krieges, unterzeichneten die USA und die UdSSR neue Abkommen, die Atomtests in der Atmosphäre beendeten. Die Welt seufzte erleichtert auf, als die Uhr auf 12 Minuten zurückgestellt wurde.
Aber 1968, als der Vietnamkrieg die globalen Spannungen anheizte, die Sowjets ihr Atomwaffenarsenal ausweiteten und Frankreich und China Atomwaffen entwickelten, waren es wieder sieben Minuten.
Das Jahr 1969 brachte einen weiteren Seufzer der Erleichterung, als der Atomwaffensperrvertrag (NVV) unterzeichnet wurde und sich Nationen im Besitz solcher Waffen zu zukünftigen nuklearen Abrüstungsgesprächen verpflichteten. Die Uhr wurde auf 10 Minuten zurückgestellt.
Als die USA und die Sowjetunion 1972 das Abrüstungsabkommen unterzeichneten, das als Vertrag über die Begrenzung strategischer Waffen (SALT) bekannt wurde, wurde die Uhr auf 12 Minuten gestellt.
Mein Leben und die Weltuntergangsuhr
Im Jahr 1974 testete Indien jedoch eine Atombombe mit dem ärgerlichen Codenamen „Lächelnder Buddha„, und der Minutenzeiger wurde wieder auf neun vorgeschoben. Ich wurde nur wenige Wochen vor dem indischen Test geboren, der den Nachbarn und Rivalen Pakistan dazu veranlasste, sein eigenes Atomprogramm zu starten. Im darauffolgenden Sommer trugen meine Eltern meinen kleinen Bruder und mich, als sie mit Freunden demonstrierten und fast eine Woche lang jeden Tag Nachbildungen von Atomwaffen in Originalgröße durch die Straßen Washingtons schleppten, um des 30. Jahrestag der Atombombenabwürfe zu gedenken.
Im Jahr 1981, als die Sowjets ihren Krieg in Afghanistan fortsetzten und die Amerikaner Ronald Reagan zum Präsidenten wählten, wurde die Uhr auf bedrohliche vier Minuten umgestellt. Ich war sieben und mein Bruder sechs, als unser Vater wegen seiner Beteiligung an einer 1980 durchgeführten Aktion zu 10 Jahren Gefängnis (später wurde die Strafe verringert) verurteilt wurde. Eine Gruppe, die sich Pflugschar-Acht nannte, war beim morgendlichen Arbeitsbeginn zusammen mit den Arbeitern in das General Electric Space Technology Center in King of Prussia, Pennsylvania, eingedrungen. Dort entschärften sie symbolisch einige Modellatomwaffen. Ihr Prozess wurde später mit Martin Sheen in der Hauptrolle verfilmt, (wobei mein Vater sich selbst spielte).
1984 wurde die Uhr auf drei Minuten vor Mitternacht umgestellt, als Präsident Reagan Geld in die Star Wars-Technologie pumpte, mit dem Ziel, einen zukünftigen Atomkrieg zu gewinnen. Nur einen Monat nachdem ich 10 Jahre alt geworden war, wurde meine Mutter vor Gericht gestellt für ihre ein Jahr zuvor auf der Griffiss Air Force Base im Bundesstaat New York durchgeführte Pflugschar-Aktion. In diesem Sommer versuchten meine Familie und ihre Freunde auch, rund um die Uhr vor dem Pentagongebäude präsent zu sein.
Im Jahr 1988 stellten die Wissenschaftler des Bulletins die Weltuntergangsuhr auf sechs Minuten vor Mitternacht zurück, als die Anstrengung einer wachsenden globalen Anti-Atomkraft-Bewegung begann, sich in Vereinbarungen zur Reduzierung der Zahl der eingesetzten Langstrecken-Atomwaffen auszuzahlen. In diesem Sommer, als ich 14 Jahre alt war, bauten wir ein rohes, schuppenartiges Haus und brachten es zum Pentagon Parade Ground, um „Häuser anstatt Bomben“ zu fordern. Wir blieben die ganze Nacht und sahen den Ratten zu, wie sie das Pentagon-Gelände übernahmen, als es dunkel wurde.
1990, nach dem Fall der Berliner Mauer, wurde die Uhr auf 10 Minuten vor Mitternacht umgestellt, am weitesten entfernt von einer Katastrophe seit 1968.
1991, im Zuge des Endes des Kalten Krieges, unterzeichneten die USA und Russland den Vertrag über die Reduzierung strategischer Waffen (START) und begannen, ihre Atomwaffenarsenale zu reduzieren, als die Sowjetunion sich auflöste. Passenderweise stellte das Bulletin die Uhr auf atemberaubende 17 Minuten vor Mitternacht und schrieb: „Der Irrglaube, dass Zehntausende von Atomwaffen ein Garant für die nationale Sicherheit sind, wurde abgestreift.“
Im Jahr 1995 veranlassten ein kurzer Anruf und menschliches Versagen die Wissenschaftler, die Uhr auf 14 Minuten und 1998 auf neun Minuten zu verschieben, während sie die Vereinigten Staaten, Russland und andere Atommächte aufforderten, sich „voll und ganz dazu zu verpflichten“, „die Verbreitung von Atomwaffen zu kontrollieren“.
Im Jahr 2002, als Reaktion auf die Terroranschläge von 9/11 und die wachsende Besorgnis bezogen auf frei verfügbares Nuklearmaterial, stellte das Wissenschafts- und Sicherheitsgremium die Uhr auf sieben Minuten um. Mein Vater starb im Dezember dieses Jahres nach einem Leben voller Antikriegsaktivitäten. Er verbrachte das letzte Jahr seines Lebens damit, einem „nationalen Schlag“ für nukleare Abrüstung zum Start zu verhelfen.
Im Jahr 2007, nachdem Nordkorea seine erste Atombombe getestet hatte, schob das Bulletin die Uhr unheilverkündend auf fünf Minuten vor Mitternacht, und der Wissenschafts- und Sicherheitsrat fügte der Weltuntergangsformel den vom Menschen verursachten Klimawandel hinzu. In der dazu gehörenden Mitteilung schrieben sie: „Da wir am Rande eines zweiten Atomzeitalters und am Beginn einer Ära beispiellosen Klimawandels stehen, muss sich unsere Denkweise über den Einsatz und die Kontrolle von Technologien ändern. Die Uhr tickt.“
Im Jahr 2010 drehte das Bulletin den Minutenzeiger dank des Kopenhagener Abkommens über den Klimawandel und neuer Verhandlungen zwischen den USA und Russland über Rüstungsreduzierungen minimal zurück auf sechs.
Zwischen sechs und fünf Minuten vor der nuklearen Mitternacht heiratete ich und gelobte, zusammen mit meinem Mann, der im Südosten von Connecticut aufgewachsen war und gegen U-Boot-Taufen und Starts auf einem US-Marinestützpunkt an der Themse protestierte, für die Abschaffung solcher Waffen zu arbeiten.
Dank der neuen Aggressivität Nordkoreas und der allgemeinen globalen Unnachgiebigkeit in Bezug auf die Klimaschutzverpflichtungen wurde 2012 ein leichter Rückgang auf fünf Minuten verzeichnet. Das war eine „Zeit“, die für mich nach den Schießereien in der Sandy-Hook-Schule, bei denen sechs Lehrer und 20 Kinder im gleichen Alter wie meine liebe Stieftochter im nahe gelegenen Newtown, Connecticut, getötet wurden, eine neue Art von Dringlichkeit annahm. Ihre Schule verstärkte in der Folge die Sicherheitsmaßnahmen, überprüfte Ausweise und untersagten Eltern den Zutritt zum Gebäude. Jeden Tag, wenn ich meinen neugeborenen Sohn tragend ging, seine Schwester abzuholen, musste ich beim Verlassen mit Gefühlen von Panik einen aufwendigen Prozess durchlaufen, zuckte ich bei jedem lauten Geräusch zusammen und spürte sowohl die Zerbrechlichkeit des Lebens meines Kindergartenkindes als auch die Bedrohung allen Lebens durch Atomwaffen. Schließlich hatte der Sandy-Hook-Mörder nur ein kleines Arsenal dabei im Vergleich zu dem, womit die Vereinigten Staaten die Welt jeden Tag bedrohten.
2015 hatten sowohl Russland als auch die USA neue Ausgaben zur „Modernisierung“ ihrer Atomwaffenarsenale angekündigt, und in Bezug auf das Klima war es das heißeste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Das Bulletin stellte die Zeiger der Uhr zum ersten Mal seit dem Jahr 1984 während des Kalten Krieges auf drei Minuten vor Mitternacht.
Zu diesem Zeitpunkt war ich Mutter von zwei Kleinkindern, die 2012 und 2014 geboren wurden, und meine Stieftochter war 9 Jahre alt. Diese drei Wunder halfen mir, mich auf die Schönheit eines jeden Tages und das außergewöhnliche Lebensnetzwerk zu konzentrieren, das die wachsenden Atomwaffenarsenale auf diesem Planeten auf ewig als Geisel halten. Ich verpflichtete mich damals erneut, die nukleare Bedrohung ernst zu nehmen, aber dies, ohne meine Kinder mit der Weltuntergangsuhr zu belästigen, wie es mein Vater mit mir getan hatte.
Im Jahr 2017 rückte das Bulletin diese Uhrzeiger um 30 Sekunden näher an Mitternacht heran, das erste Mal um eine halbe Minute, als Reaktion auf die aufheizende Nuklearrhetorik von Präsident Donald Trump, die steigenden Budgets des Pentagon und neuen Bedrohungen für das Weltklima.
Ein Jahr später, im Jahr 2018, verloren wir weitere 30 Sekunden und die Uhr schlug zwei Minuten vor Mitternacht, als das Bulletin darauf hinwies, dass die internationale Diplomatie „auf gegenseitige Beschimpfungen reduziert wurde, die Beziehungen zwischen den USA und Russland mehr aus Konflikten, denn aus Zusammenarbeit bestanden, der Iran-Deal gefährdet war und die Treibhausgasemissionen erneut anstiegen“.
Obwohl ich kein Kind mehr war, musste ich immer noch mit ansehen, wie ein Elternteil von mir ins Gefängnis gebracht wurde. Diesmal war es meine Mutter, damals 79 Jahre alt, die wegen Hausfriedensbruchs mit sechs Freunden auf dem Marinestützpunkt Kings Bay in Georgia verhaftet wurde, weil sie sich bemühten, die dortigen Trident-Atom-U-Boote symbolisch zu entwaffnen.
Im Jahr 2020 wurde die Uhr des Bulletins auf 100 Sekunden vor Mitternacht umgestellt, wobei hierfür in der Presseerklärung die beiden existenziellen Gefahren des Klimawandels und der Atomwaffen angeführt wurden.
In den nächsten zwei Jahren tat das Magazin etwas Neues. Es änderte nicht die Zeiger auf der Uhr, sondern gab Pressemitteilungen heraus, warum sie bei 100 Sekunden blieben. In der Zwischenzeit, im Jahr 2021, halfen meine Kinder und ich dabei, 68 Schilder zu kreieren, auf denen wir uns bei jeder Nation bedankten, die den UN-Vertrag über das Verbot von Atomwaffen angenommen hatten. Meine Kinder haben ihr Herz in diese Kunstwerke gesteckt und sie mit silberner Farbe und Glitzer geschmückt. Der Tag der Vertragsfeier in New London, wo wir leben, war kalt und windig und die beiden Kleinen verschwanden fast hinter ihren Schildern, während sie mir viele Fragen über Honduras und die Insel Nauru stellten, die ich spielerisch zu beantworten versuchte, ohne auf Wikipedia zurückzugreifen. Ein Sprichwort, das Mark Twain zugeschrieben wird, kam mir damals in den Sinn: „Gott schuf den Krieg, damit die Amerikaner Geographie lernen.“ Ich lächelte und dachte, dass meine Kinder durch Protest und Friedensstiftung Geografie lernten.
Und dann, im Januar, rasierte der Wissenschafts- und Sicherheitsausschuss des Bulletins die Zeit erneut um Sekunden und verkündete, dass es jetzt 90 Sekunden vor Mitternacht sei.
Was kommt als nächstes (oder soll ich sagen „als Letztes“)?
In den 76 Jahren seit ihrer Erschaffung haben sich die Minuten- und Sekundenzeiger der Weltuntergangsuhr 25-mal hin und her bewegt – tick, tack, tick, tack – von 17 Minuten bis Mitternacht, am weitesten von der unmittelbaren Gefahr entfernt, bis heute 90 Sekunden vor Mitternacht. Was gibt es nach Mitternacht?
Auf einer normalen Uhr würde 12:01 Uhr einfach einen neuen Tag beginnen, eine neue Chance, aus der Vergangenheit zu lernen und euren Weg in die Zukunft neu auszurichten. Die Frage ist nun, ob diese 12:01, eine Zukunft ohne die Weltuntergangsuhr, ohne die existenziellen Bedrohungen durch Atomwaffen und den Klimawandel überhaupt vorstellbar ist.
Dieser Artikel wurde ursprünglich von TomDispatch veröffentlicht.
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Ulrich Karthaus vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!
Frida Berrigan ist Kolumnistin für Waging Nonviolence und Autorin von „It Runs in the Family: On Being Raised by Radicals and Growing into Rebellious Motherhood„. Sie lebt mit ihrem Mann Patrick und ihren drei Kindern in New London, Connecticut.