Wie viele Friedensaktivisten wahrscheinlich schon gehört haben, findet der diesjährige G7-Gipfel vom 19. bis 21. Mai in Japan statt, und zwar in der Stadt Hiroshima, wo am 6. August 1945 Zehntausende von Menschen, zumeist Zivilisten, von Präsident Harry S. Truman getötet wurden.
Von Joseph Essertier
Hiroshima wird oft als „Stadt des Friedens“ bezeichnet, aber der Frieden von Hiroshima wird bald durch Besuche von gefährlichen Vertretern staatlicher Gewalt gestört werden, von Leuten wie US-Präsident Joe Biden und dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Natürlich müssen sie sich für den Frieden einsetzen, während sie dort sind, aber es ist unwahrscheinlich, dass sie tatsächlich etwas Konkretes tun werden, wie etwa den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und den russischen Präsidenten Wladimir Putin dazu zu bringen, sich in einem Raum zusammenzusetzen und ein Gespräch zu beginnen, vielleicht über ein Abkommen nach dem Vorbild des alten Minsk-II-Abkommens. Was sie tun, wird zum Teil davon abhängen, was wir tun, d. h. was die Bürger von ihren Regierungsvertretern verlangen.
Im Juni letzten Jahres sagte die ehemalige deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, „die die Verhängung von Sanktionen gegen Russland durch den Westen im Jahr 2014 nach der Annexion der Krim leitete, dass das Minsker Abkommen die Situation beruhigt und der Ukraine Zeit gegeben habe, sich zu dem zu entwickeln, was sie heute ist.“ Im November ging sie in einem Interview mit der deutschen Zeitung Die Zeit sogar noch weiter, als sie sagte, das Abkommen habe es Kiew ermöglicht, „stärker zu werden“. Nun, ein „starkes“ Land, das stark ist in dem Sinne, dass es über die Fähigkeit zu Tod und Zerstörung in großem Umfang verfügt, mag auf diese alte, primitive Art und Weise etwas Sicherheit gewinnen, aber es kann auch zu einer Bedrohung für seine Nachbarn werden. Im Falle der Ukraine steht seit vielen Jahren die blutgetränkte Tötungsmaschine NATO hinter ihr und gibt ihr Rückendeckung.
In Japan, wo viele Hibakusha (Opfer von Atombomben und nuklearen Unfällen) noch immer leben und ihre Geschichte erzählen und wo ihre Familienangehörigen, Nachkommen und Freunde noch immer unter dem leiden, was ihnen angetan wurde, gibt es ein paar Organisationen, die wissen, was die Stunde geschlagen hat. Eine davon ist das Exekutivkomitee der „Citizens‘ Rally to Question the G7 Hiroshima Summit“. Sie haben eine gemeinsame Erklärung veröffentlicht, in der sie die folgenden Punkte scharf kritisieren. (World BEYOND War hat sich dieser Erklärung angeschlossen, wie man auf der Seite mit der japanischen Originalerklärung sehen kann).
Obama und Abe Shinzō (der damalige japanische Premierminister) arbeiteten im Mai 2016 eng zusammen, um den Geist der Opfer des nuklearen Holocausts von Hiroshima politisch zu instrumentalisieren und das amerikanisch-japanische Militärbündnis zu stärken. Sie taten dies, ohne sich bei den Opfern der Kriegsverbrechen zu entschuldigen, die von beiden Nationen während des Krieges begangen wurden. Im Falle Japans handelte es sich bei den Kriegsverbrechen um zahlreiche Gräueltaten, die die kaiserlichen japanischen Streitkräfte nicht nur an den alliierten Soldaten, sondern auch an vielen Chinesen und anderen Asiaten begingen. Im Falle der USA gehörten dazu ausgedehnte Brand- und Atombombenangriffe auf viele Städte und Ortschaften im gesamten japanischen Archipel. [In diesem Jahr] wird Hiroshima erneut für trügerische und korrupte politische Zwecke genutzt. Das Ergebnis des G7-Gipfeltreffens ist bereits von vornherein klar: Die Bürger werden durch leeren politischen Schwindel manipuliert. Die japanische Regierung täuscht ihre Bürger weiterhin mit dem falschen Versprechen, dass Japan hart für die endgültige Abschaffung der Atomenergie arbeitet, während sie sich selbst als das einzige Land darstellt, das unter dem Atombombenabwurf gelitten hat. In Wirklichkeit verlässt sich Japan weiterhin vollständig auf die erweiterte nukleare Abschreckung der USA. Die Tatsache, dass der japanische Premierminister Kishida Fumio die Stadt Hiroshima, seinen Wahlkreis, für das G7-Gipfeltreffen ausgewählt hat, ist nichts anderes als ein politisches Manöver, um den Anschein einer Anti-Atom-Haltung zu erwecken. Indem sie die nukleare Bedrohung durch Russland, China und Nordkorea hervorhebt, versucht die Kishida-Regierung möglicherweise, die nukleare Abschreckung zu rechtfertigen und diesen Vorwand tief in die öffentliche Wahrnehmung eindringen zu lassen, ohne dass sich die Menschen dessen bewusst sind.
Und wie die meisten Friedensbefürworter wissen, ist die Doktrin der nuklearen Abschreckung ein falsches Versprechen, das die Welt nur noch gefährlicher gemacht hat.
Premierminister KISHIDA Fumio könnte sogar den südkoreanischen Präsidenten YOON Suk-yeol einladen, der vor kurzem den brillanten Plan vorstellte, „lokale [koreanische] Gelder für die Entschädigung von Koreanern zu verwenden, die vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs von japanischen Unternehmen versklavt worden waren, und sagte, es sei für Seoul von entscheidender Bedeutung, zukunftsorientierte Beziehungen zu seinem ehemaligen Kolonialherrn aufzubauen“. Aber müssen Opfer andere Opfer entschädigen? Sollten Diebe und Gewalttäter 100 % des von ihnen gestohlenen Reichtums behalten dürfen? Natürlich nicht, aber Kishida (und sein Meister Biden) schätzen Yoon dafür, dass er die Forderung nach Menschenrechtsgerechtigkeit in seinem eigenen Land ignoriert und stattdessen auf die Forderungen reicher und mächtiger Beamter der reichen und mächtigen Länder Amerika und Japan eingeht.
Während des G7-Gipfels werden sich Millionen von Menschen in Ostasien der Geschichte des japanischen Kaiserreichs und der westlichen Imperien sehr bewusst sein. Die oben erwähnte gemeinsame Erklärung erinnert uns daran, wofür die G7 steht:
Historisch gesehen waren die G7 (USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan und Kanada sowie die Europäische Union mit Ausnahme Kanadas) die sechs Länder mit dem stärksten Militär bis zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Fünf dieser Länder (die USA, das Vereinigte Königreich, Deutschland, Frankreich und Japan) stehen immer noch an der Spitze der zehn größten jährlichen Militärausgaben der Welt, wobei Japan an neunter Stelle liegt. Außerdem sind die USA, Großbritannien und Frankreich Atomwaffenstaaten, und sechs Länder (außer Japan) sind Mitglieder der NATO. Die G7 und die NATO überschneiden sich also stark, und es ist unnötig zu erwähnen, dass die USA in beiden Gremien das Sagen haben. Mit anderen Worten: Die Hauptaufgabe der G7 und der NATO besteht darin, die Pax Americana zu unterstützen und zu fördern, d. h. „den Frieden unter der globalen Vorherrschaft der USA zu erhalten“.
In der Erklärung wird darauf hingewiesen, dass sich Japan jetzt an einem kritischen Punkt seiner Geschichte befindet, dass es dabei ist, eine militärische Großmacht zu werden, dass plötzlich erhöhte Investitionen in eine japanische Kriegsmaschinerie „zu einer weiteren Verarmung der allgemeinen Bevölkerung, zu mehr Druck auf eine Verfassungsänderung, zu weiterer Instabilität in der ostasiatischen Region und zum Ausbruch militärischer Konflikte führen werden.“ (Die Frage der „Verfassungsänderung“ bezieht sich auf den Versuch der japanischen Regierungspartei, die japanische Verfassung vom Pazifismus des vergangenen Dreivierteljahrhunderts abzubringen).
Angesichts der Tatsache, dass in Japan und international so viel auf dem Spiel steht, und mit Blick auf das Vermächtnis der Stadt Hiroshima – als Stadt des Krieges und des Friedens, als Stadt der Täter und der Opfer – plant die japanische Sektion von World BEYOND War derzeit für den 20. Mai Straßenproteste unter unserem neuen Banner; die Menschen über die Geschichte der Kriegsführung der Stadt und Japans aufzuklären; darüber, dass eine andere Welt, eine friedliche Welt, möglich ist; dass ein katastrophaler Krieg mit China nicht vorherbestimmt und unvermeidlich ist; und dass gewöhnliche Bürgerinnen und Bürger Möglichkeiten haben, wie z.B. Aktionen an der Basis, und dass sie die Verantwortung haben, diese Möglichkeiten zu nutzen. Reisen nach Japan und Reisen innerhalb Japans sind jetzt relativ einfach und gesellschaftlich akzeptabel, daher laden wir Menschen, die in Japan leben, sowie Menschen aus Übersee ein, sich unseren Protesten anzuschließen, wenn wir demonstrieren werden, dass sich einige Menschen an den Wert des Friedens erinnern und von den G7-Regierungen eine Politik fordern, die Frieden und Gerechtigkeit fördert.
In der Vergangenheit haben sich die G7 mit Fragen des Krieges und der internationalen Sicherheit befasst – sie haben Russland nach der Annexion der Krim im Jahr 2014 aus der G8 ausgeschlossen, 2018 das Minsker Abkommen erörtert und 2019 eine Vereinbarung getroffen, die angeblich sicherstellen soll, „dass der Iran niemals in den Besitz von Atomwaffen gelangt“. Da Armut und andere Ungleichheiten eine Ursache für Gewalt sind, müssen wir ein Auge darauf haben, was diese Regierungen zu wirtschaftlichen und menschenrechtlichen Fragen sagen.
Wie ich bereits letztes Jahr in einem Aufsatz forderte, lassen Sie nicht zu, dass sie uns alle umbringen. Diejenigen unter Ihnen, die daran interessiert sind, während der drei Tage des Gipfels (d.h. vom 19. bis 21. Mai) persönlich an der Konferenz teilzunehmen, oder die uns möglicherweise auf andere Weise von ihrem Wohnort in Japan oder im Ausland aus unterstützen können, schicken mir bitte eine E-Mail an japan@worldbeyondwar.org.
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Alina Kulik vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!
Joseph Essertier ist Organisator des Japan-Chapters von World BEYOND War