LNG “Leider Nicht Geil” dichten die Rügener. Das Projekt der Bundesregierung geht vielen an ihre Lebensgrundlagen. Nicht wenige fragen sich, wozu das eigentlich?
In ihrem Aufruf fassen sie zusammen:
“Direkt vor der Küste der Insel Rügen soll Europas größtes LNG-Infrastrukturprojekt gebaut und für ca. 20 Jahre betrieben werden. Zwei gigantische Terminals und knapp 40 km Pipeline sollen entstehen. Damit wird die Bundesregierung das Ökosystem der Insel Rügen irreparabel zerstören!”
“Die einzigartige Natur der Insel ist die Grundlage dafür, dass Rügen als Erholungs- und Sehnsuchtsort bei den Menschen im gesamten Bundesgebiet so beliebt ist.”
“Das Vorhaben der Bundesregierung ist im höchsten Maße umwelt- bzw. klimaschädigend, kostspielig für den Steuerzahler und wird laut führenden Energieexperten nicht mehr benötigt. Die LNG-Terminalinfrastruktur in Europa ist bereits ausreichend für unsere Versorgung und der Gaspreis wird sich für die Deutschen durch das Projekt nicht verbessern.”
Wenn du den Widerstand der Menschen vor Ort unterstützen willst, solltest Du hier ihre Petition unterschreiben!
Wird Rügen zu einer Art Lützerath des Nordostens?
Schon möglich, dass sich hier endlich ein Widerstand gegen die unsägliche Renaissance einer neuen fossilen Infrastruktur zu konzentrieren beginnt. Über 200.000 Menschen haben die Petition bereits unterschrieben. Von den Menschen vor Ort und kommunalen Vertretern ins Leben gerufen. Es verbinden sich Umweltprotest und sozialer Protest.
Die neue LNG-Infrastruktur ist ein Prestigeprojekt der AMPEL. Treiber ist wie schon bei Lützerath das “grüne” Wirtschaftsministerium. Begleitet von faustdicken Täuschungen.
- Täuschung Nummer 1: So hieß es, Sanktionen gegen russisches Gas seien eine “historische Chance zur beschleunigten Abkehr” von fossilen Energien. Tatsächlich findet das Umgekehrte statt. Es kam ein “beschleunigtes Verfahren” für den Aufbau einer vollkommen neuen fossilen Infrastruktur zustande, die weit bis in andere Länder reicht. Mit besonders energieintensiven Umwandlungsverfahren und Transportwegen. Mit massiv umweltzerstörerischen Nebenwirkungen. In den USA blühte die dahinsiechende Fracking-Gasindustrie zu nicht gekannter Größe auf. Russlands fossile Energie findet inzwischen in anderen Ländern Absatz. Wo nicht, da wird abgefackelt. Die Globale Klimabilanz ist verheerend.
- Täuschung Nummer 2: Treibendes Argument, um – ausgenommen den Militärhaushalt- keine Kosten zu scheuen, Verfahrens- und Umweltstandards im Stehgreif dem Primat der Politik anzupassen: die Energiesicherheit Deutschlands sei hochgradig gefährdet und müsse gewährleistet werden. Aber man sehe und staune. Die Gasspeicher in Deutschland haben mit 64 Prozent in den letzten 10 Jahren zum Winterende nur noch einmal einen so hohen Füllstand gehabt wie heute [1] [2]. Wer die geplante LNG Infrastruktur zusammenrechnet, wird feststellen, dass damit ein doppelt so hoher Gasbedarf installiert werden soll, als durch den Wegfall der russischen Lieferungen kompensiert werden müsste [3]. Statt Energienotstand also eine vermeintlich gigantische Energieüberversorgung mit entsprechender CO2 Belastung! Selbst dem grünen Wirtschaftsministerium nicht abgeneigte Wissenschaftsjournalisten kommen zu diesen frappierenden Ergebnissen.
- Täuschung Nummer 3: Zur Beruhigung hieß es, es müsse “vorübergehend” (die Russlandsanktionen zwingen eben dazu) eine Brückentechnologie und Kompensation für das weggebrochene Gas eingeführt werden. Tatsächlich ist es so, dass Qatar oder die USA ebenso wie alle anderen ihr Gas nur zu Mindestlaufzeiten von 10 bis 20 Jahren anbieten. Und nur für einen solchen Zeitrahmen lassen sich die gigantischen Investitionen in die neue Infrastruktur rekapitalisieren. “Vorübergehend mehr fossil”, das täuscht zum einen darüber hinweg, dass das hier und jetzt in die Luft geblasene CO2 die Erde bis an den Rand von Kippingeffekten führt, die spätere CO2 Einsparungsanstrengungen konterkarieren werden. Zum anderen, wer mag noch auf die Versprechungen auf “morgen” bauen? Auch bei Lützerath lautete der Deal: “Heute mehr Braunkohle, dafür morgen ein vorgezogener Kohleausstieg”. Der Vorstandsvorsitzende des größten deutschen Energieversorgers EON bekundete aktuell in einem Handelsblatt Interview [4]: “Wenn wir keine Ersatzkraftwerke bauen, wird der Kohleausstieg 2030 nicht passieren. Das ist ganz einfach. Und das werden wir 2025 schon bewerten können.”
- Täuschung Nummer 4: Man wolle nie wieder in eine solche Energieabhängigkeit geraten wie gegenüber Russland. Tatsache ist, dass Deutschland aktuell mehr denn je am Tropf des internationalen Markgeschehens hängt und LNG deutlich aufwendiger ist. Ganz zu schweigen von der Abhängigkeit von China beim Ausbau Erneuerbarer Energien. “Gute Freunde” scheuen sich nicht, auf dem fossilen Sektor preislich rauszuholen, was der Markt hergibt. Frachter können abdrehen nach Asien, wenn der Preis nicht gezahlt wird. Bei einer Pipeline, die im Land endet, lässt sich die Energie nicht einfach zum Meistbietenden in die Gegenrichtung lenken. Zusammen mit dem Aufbau einer überdimensionierten Flüssiggas-Infrastruktur wird diese Energiepolitik zum Inflationsbeschleuniger, die uns allen, von wenigen Profiteuren abgesehen, sündhaft teuer zu stehen kommt.
- Täuschung Nummer 5: Trotz aller vollmundigen Bekundungen kommt der Ausbau alternativer Energien in Deutschland kaum aus den Startlöchern. Die verbliebenen finanziellen Spielräume des Staates gehen gegen Null. Der Versuch, nicht mehr tragbare Kosten auf die Menschen abzudrücken, zerstört die soziale Akzeptanz für Klimaschutz und arbeitet rechten Hetzern voll in die Hände. Ausbau und Auftragseingang zum Beispiel der Windenergie sind sogar weiter rückläufig. Die geplante Verpflichtung, 2 % der Landfläche für Windenergie auszuweisen, wurde durch den letzten Koalitionsausschuss sogar wieder durchlöchert. Jeder erhält die Möglichkeit, sich von der Verpflichtung freizukaufen.
- Täuschung Nummer 6: FDP mit der SPD im Rücken blockierten die Energiewende in der Ampel. Ganz und gar nicht. Führend bei der Forcierung dieser gewaltigen Renaissance der fossilen Energien nach dem Motto “fossile Taten heute, erneuerbar als Versprechen” – begründet mit den Folgen einer auf Konfrontation ausgerichteten Aussenpolitik – ist das “grün” geführte Wirtschaftsministerium. Natürlich mit wohlfeiler tatkräftiger Unterstützung der Liberalen und “Roten”.
Nicht, dass Regierung und Kapital auch den alternativen Energieausbau zu beschleunigen wünschten und sich in einem “grünen” Technologievorsprung mit weniger Abhängigkeiten ein neues “Wirtschaftswunder” und einen imperialen Konkurrenzvorsprung erhoffen würden. Kanzler Scholz hat diesbezügliche “Träumereien”, wie es einige Wirtschaftsführer im Nachhinein bezeichneten, in seinem letzten Handelsblattinterview kundgetan. Aber “fossil”, das ist der Spatz in der Hand. Der Heisshunger nach mehr Energie für ein entfesseltes kapitalistisches Wirtschaftswachstum lässt sich unter den gegenwärtigen geopolitischen Bedingungen eben nur auf diesem fossilen Weg zuverlässig absichern. US-Präsident Biden bricht dafür jetzt sein Wahlversprechen und gibt “grünes” Licht für die Ausplünderung der fossilen Vorkommen Alaskas. “Erneuerbar”, das ist die Taube auf dem Dach. “Erneuerbar” geht aufgrund der geopolitischen Konfrontation nur mit hohen Risiken behaftet mit China und durch die Erschliessung neuer Rohstoffressourcen in den Ländern des globalen Südens.
Die Rügener gehen vom Status quo des Energiebedarfs aus, wenn sie erklären, dass die auf ihrer Insel geplanten LNG-Terminals überflüssig seien. Die Regierung plant aber einen wachsenden Energiebedarf für Wirtschaft und Militarisierung ein. Für die erneuerbaren Energien bleiben angesichts der Prioritätensetzung und gewaltigen finanziellen Kraftakte für die Zeitenwende nur noch Brosamen. Die Kosten für ihre energiepolitische Doppelstrategie sollen zunehmend die arbeitenden Menschen tragen. Im Zweifel bleibt die “Taube” länger auf dem Dach. Klimapolitisch eine Katastrophe.
LNG “Leider Nicht Geil” muss zum unüberhörbaren Schlachtruf werden!
Die Rügener werden ihre Argumente mit breitem Protest unterstreichen müssen. Es wird Zeit, dass sich die Klimabewegung vehement gegen die fossile LNG-Renaissance bundesweit zur Wehr setzt. Die Zeit für Täuschungen und “grüne” Ampelmärchen muss vorbei sein. Rügen bietet sich als Keimzelle für den notwendigen längst überfälligen Widerstand an!
Quellen:
[1] Malte Kreutzfeldt: “So, der erste Winter ohne russ…” – Mastodon
[2] “Inwieweit sich daraus der Bedarf ableiten lässt, die bisherigen deutschen #LNG-Kapazitäten (die ja zudem nur in einem Teil des Winters zur Verfügung standen) zu vervierfachen, kann jeder selbst entscheiden… ” (Malte Kreutzfeldt: “Inwieweit sich daraus der Beda…” – Mastodon
[3] @ieefa_institute veranschaulicht es noch mal sehr schön: Wenn alle Planungen realisiert werden, ist die Kapazität 2030 mehr als doppelt so hoch wie der Bedarf
[4] Eon-Chef: „Sonst fährt die Energiewende gegen die Wand“ (handelsblatt.com)