Susanne Aigner für die Onlinezeitung Infosperber

ARD-Faktenfinder polemisiert gegen die Aktivistin, weil sie vor den Gefahren von Gentechnik und Agrarkonzernen warnt.

In einem Beitrag vom 13. Dezember 2022 kritisiert der ARD-Faktenfinder Vandana Shiva und deren Verhältnis zur Gentechnik. Dabei verdreht Autor Pascal Siggelkow die Tatsachen und unterstellt ihr Aussagen, die sie gar nicht gemacht hat. Es handelt sich um einen sonderbaren Faktencheck, weil die «Faktenchecker» keine wörtliche Tatsachen-Darstellungen von Shiva zitieren und dann widerlegen, sondern weil sie ihre Aussagen einfach pauschal in Frage stellen.
Der Neue-Erde-Verlag, der Bücher der Öko-Aktivistin veröffentlichte, verfasste eine Gegendarstellung. Im Folgenden werden die wichtigsten Argumente diskutiert.

  • Natur wird kommerzialisiert

Zitat Vandana Shiva: «Die global operierende Unternehmen stehlen nicht nur die Ernte der Bauern, sie stehlen auch die Ernte der Natur – durch Genmanipulation und Patentierung von Lebewesen […] Wer mehr konsumiert als er braucht, wer die Natur aus Habgier ausbeutet, begeht ökologisch gesehen Diebstahl».1

Faktenfinder: Shiva wird oft als Widerstandskämpferin dargestellt – schliesslich legt sie sich seit Jahrzehnten mit den Grosskonzernen wie Monsanto (Bayer) in der Landwirtschaft an und propagiert einen Systemwechsel in der globalen Agrarökonomie. In ihren Augen ist grüne Gentechnik die «Totenglocke für Biodiversität und Landwirtschaft».

Richtig ist: Agrarkonzerne verkaufen den Bauern Gen-Saatgut, das die Bauern jedes Jahr neu kaufen müssen, und Pestizide. Finanzgiganten wie Black Rock und die Wall Street spekulieren mit Nahrung. Die Kleinbauern müssen die Kontrolle über das Saatgut wiedererlangen und auf ihren Feldern ihr eigenes Saatgut aussäen und vermehren können, wenn sie sich auch künftig selbst ernähren wollen.

  • Genetik ist nicht dasselbe wie Gentechnik

Zitat Vandana Shiva: «Das Wissen, das wir für die Züchtung, Selektion und Entwicklung von Saatgut und den Anbau von Nahrungsmitteln benötigen, ist das Wissen der biologischen Vielfalt und des lebendigen Saatguts, vom lebendigen Boden und Boden-Nahrungsnetz. […] Dieses komplexe Wissen über interagierende, sich selbst organisierende, sich selbst erhaltende, sich selbst erneuernde und sich selbst entwickelnde Systeme, das die Bauern innerhalb von 10’000 Jahren landwirtschaftlicher Entwicklung zusammengetragen haben, wird nun durch die Agrarökologie bestätigt […]».2

Faktenfinder: Während 10’000 Jahre Menschheitsgeschichte haben wir bei der Züchtung die grössten, besten oder wohlschmeckendsten Samen selektiert. Mit der Zeit kamen neue Methoden dazu, um die genetischen Veränderungen des Saatguts zu beschleunigen. Dabei werden die Pflanzen Stress ausgesetzt, um Mutationen auszulösen: über Chemikalien, Wasserentzug, hohe Salzkonzentration oder auch radioaktiver Strahlung. Die grüne Gentechnik ist die neuste Entwicklung, um neues Saatgut zu züchten. Die Faktenfinder zitieren Jochen Kumlehn, Leiter der Arbeitsgruppe Pflanzliche Reproduktionsbiologie am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung: «Die Annahme, genetische Veränderungen wären etwas Unnatürliches, sei daher grundlegend falsch.»

Richtig ist: Shiva hat nie gesagt, genetische Veränderungen seien unnatürlich. Die Faktenfinder bestreiten die zitierte Aussage von Shiva nicht. Es sind nicht Wissenschaftler, sondern es waren und sind Kleinbauern in aller Welt, die seit Generationen mit traditionellen Methoden eigene Sorten züchten. Seit einigen Jahrzehnten jedoch wird die Saatgutvielfalt von Monokulturen verdrängt. Die Genetik verändert sich über lange Zeiträume . Im Gegensatz dazu verändert der Mensch gentechnisch direkt das Erbgut von Lebewesen. Es werden artfremde Gene in Pflanzen eingefügt, wie zum Beispiel bei der Bt-Baumwolle oder dem Bt-Mais, in den Gene des Bodenbakteriums Bacillus thuringiensis übertragen wurden. Die Pflanzen sollten ein bestimmtes Protein produzieren, das sich im Darm der Schadinsekten in ein Gift umwandelt und diese tötet. Das Protein tötet jedoch auch unzählige nützliche Insekten.

  • Monsanto ist für steigende Suizidraten indischer Bauern verantwortlich

Zitat Vandana Shiva: «Seit Monsanto mit seiner gentechnisch veränderten Bt-Baumwolle nach Indien kam, hat das Unternehmen Bauern durch unwissenschaftliche und betrügerische Behauptungen getäuscht und riesige Gewinne durch illegale Lizenzgebühren erzielt. Es hat gegen die indischen Patent- und Urheberrechtsgesetze verstossen und viele Bauern tief in die Verschuldung getrieben, was schliesslich zu Selbstmorden führte. […] Monsanto wusste, dass seine Aktionen zu einer massiven Verschuldung der Bauern führen würden, aber selbst als die Epidemie der Bauernselbstmorde in Maharashtra begann – fast 85 Prozent der mehr als 300`000 Bauernselbstmorde geschahen in der Baumwollanbauregion, in der Monsanto ein 99-prozentiges Saatgutmonopol errichtet hat – fuhr das Unternehmen mit seiner Ausbeutungspolitik fort».3

Faktenfinder: Shiva machte die Bt-Baumwolle und Monsanto für den Suizid Hunderttausender Bauern verantwortlich. Dabei gibt es keine empirischen Belege für diesen Vorwurf. Die Suizidrate unter Kleinbauern blieb nach Einführung der Bt-Baumwolle konstant.

Richtig ist: Die Bio-economics of Indian hybrid Bt cotton and farmer suicides von 2020 sieht in der Bt-Baumwolle eine unmittelbare Ursache für die Selbstmorde der indischen Baumwollbauern. Zwei weitere Studien aus den Jahren 2015 sowie 2017 belegen ebenfalls einen Zusammenhang zwischen wachsenden Selbstmordraten und der Bt-Baumwolle. Dies bestätigten auch betroffene Bauern in einem Interview mit der ARD von 2014. Das von den Faktencheckern zitierte Papier aus dem Jahr 2008 ist von einer Organisation herausgegeben, die auch Gelder der indischen Regierung erhält.

  • Bill Gates als Feindbild

Zitat Vandana Shiva: «Gates hat globale Allianzen geschaffen, um Top-Down-Analysen und vorgefasste Konzepte für Gesundheitsanalysen zu diktieren. Er gibt Geld, um Probleme zu definieren und nutzt dann seinen Einfluss und sein Geld, um vermeintliche Lösungen durchzusetzen. Währenddessen wird er immer reicher. Seine Finanzierung führt zu einer Auslöschung von Demokratie und Biodiversität, von Natur und Kultur».4

Faktenfinder: Einer von Shivas grössten Feindbildern ist der US-Milliardär Bill Gates. Shiva werfe ihm vor, Teil von einer Art Verschwörung der reichsten ein Prozent der Menschen zu sein, welche die «Wirtschaft mit falschem Essen zerstören möchte». Gates habe zudem die WHO unter Kontrolle.

Richtig ist: Bill Gates investierte in die so genannte Grüne Revolution, später in die Grüne Gentechnik. Heute fördert die Bill- und Melinda-Gates-Stiftung mit wachsendem Einfluss die Gentechnik-Forschung in Afrika. Das brachte dem Milliardär den Vorwurf des Philantrokapitalisten ein. Wie sich die neuen Gen-Konstrukte auf die Biodiversität auswirken, ist nicht erforscht. Zudem ist die Stiftung einer der grössten Geldgeber der WHO. Ein Problem ist, dass die Gates-Stiftung vor allem in Impfkampagnen und die Verteilung von Medikamenten investiert, kritisiert ein Mitarbeiter von Medico International. Zweckgebundene Spenden jedoch führen meist dazu, dass der Kampf gegen die Ursachen von Krankheit und soziale Ungleichheit sowie der Aufbau funktionierender Gesundheitssysteme auf der Strecke bleiben.

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Quellen der Zitate:
1 V. Shiva: Geraubte Ernte, Rotpunktverlag Zürich, 2004, S. 31 – 33
2 V. Shiva: Eine Erde für alle! Verlag Neue Erde; 2021; S. 21
3 V. Shiva: Eine Erde für alle! Verlag Neue Erde; 2021; S. 70 – 71
4 V. Shiva: Eine Erde für alle! Verlag Neue Erde; 2021; S. 169

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