Daniela Gschweng für die Online-Zeitung INFOsperber
Plastik zersetzt sich in der Umwelt normalerweise kaum. Das weiss jeder, der schon einmal eine uralte Plastikverpackung in der Natur gefunden hat. Ausnahmen bestätigen allerdings die Regel. Einige Mikroorganismen schaffen es, sich anzupassen und die haltbaren menschengemachten Polymere zu zerlegen.
Ein Forschenden-Team aus Leipzig fand vor einem knappen Jahr ein eindrucksvolles Beispiel für eine solche Ausnahme. Das von ihm entdeckte mikrobielle Enzym PHL7 schaffe es, «eine komplette PET-Verpackung aus dem Supermarkt in einem Tag vollständig abzubauen», erklärt der Biochemiker Christian Sonnendecker in einem Gespräch mit dem SWR. Im Vergleich zu bisherigen Funden ist das rasend schnell.
Das Super-Enzym vom Südfriedhof
Von der Geschwindigkeit der Zersetzung seien die Forschenden selbst überrascht gewesen, sagt der Leipziger Wissenschaftler. Und das Super-Enzym könne noch mehr: Es zersetze den Kunststoff nicht nur, sondern zerlege ihn in Grundbausteine, aus denen man wieder neues PET (Polyethylenterephthalat) herstellen könne.
Fündig wurde das Forschenden-Team der Universität Leipzig in einem Komposthaufen auf einem Leipziger Friedhof. Bei genauerer Betrachtung ist das nicht so abwegig. Enzyme sind natürliche Katalysatoren. Sie beschleunigen einen chemischen Prozess oder machen ihn weniger energieaufwendig, was in der Natur ein grosser Vorteil ist.
Die Suche nach dem Enzym im Komposthaufen
Komposthaufen sind dabei eine biologische Fundgrube. Sie enthalten eine Vielzahl an Organismen, die fortwährend damit beschäftigt sind, Organisches für ihre Zwecke verfügbar zu machen. Dabei produzieren sie auch Enzyme, die Pflanzenpolymere spalten. Diese sind Plastikpolymeren ähnlich. Besonders viele erfolgversprechende Kandidaten für den Plastikabbau finden sich laut Christian Sonnendecker in Kompost, der viele Blätter enthält.
Das klingt einfach, ist aber viel Arbeit mit ungewissem Ausgang. Für eine Probennahme graben die Forschenden im Kompost 60 bis 70 Zentimeter tief. In dieser Tiefe kann es 50 bis 60 Grad warm werden. Die Enzyme, die sie suchen, sind sehr hitzestabil.
Nach der Probennahme müssen die Bestandteile isoliert und aufgereinigt werden. Erst im Anschluss testen die Forschenden dann, ob die gewonnenen Enzyme Plastik zersetzen können. In Leipzig hatten sie Glück.
Es ist auch möglich, die Funde im Labor noch weiter zu verbessern. Inzwischen konnte das Team in Leipzig aus dem ersten isolierten Speed-Enzym noch weitere und «deutlich leistungsfähigere» Enzyme entwickeln, so Sonnendecker zum SWR.
Doppelt so schnell wie die Enzym-Konkurrenz
In einem Vergleich schaffte es PHL7, innerhalb von 16 Stunden doppelt so viel PET zu zerlegen wie der bisher schnellste bekannte Verwandte namens LCC. Eine Plastikschale, wie sie im Supermarkt für Weintrauben verwendet wird, sei in 24 Stunden weg, sagen die Forschenden. Ein eindrucksvolles Bild davon findet sich auf der Homepage der Universität Leipzig. Etwas komplizierter sei es mit PET-Flaschen und Textilien, die aus sogenanntem gestreckten PET (BO-PET) bestehen und eine weniger angreifbare Struktur haben.
Die hohe Geschwindigkeit, mit der das Enzym vom Südfriedhof PET zersetzen kann, macht PHL7 für eine kommerzielle Anwendung interessant. Gegenüber konventionellen thermischen Verfahren, bei denen Plastik durch Hitze gespalten wird, spart Biorecycling zudem sehr viel Energie und produziert keine giftigen Nebenprodukte.
Echte Kreislaufwirtschaft durch Enzym-Power
Wegen der grossen Reinheit der gewonnenen Produkte Terephthalsäure und Ethylenglycol rücke mit PHL7 auch ein echter Kreislaufprozess in greifbare Nähe, sagt Sonnendecker. Es sei ausserdem möglich, sogenanntes amorphes (nicht gestrecktes) PET auch ohne Vorbehandlung in einen Bioreaktor zu geben.
Bisher wird Recycling-Plastik in einer Downcycling-Spirale immer wertloser. Aus Flaschen werden Verpackungen, daraus werden Parkbänke und am Schluss gibt das zunehmend verunreinigte Material nur noch Teppiche oder Dämmstoffe her. Das internationale Team der Uni Leipzig sucht derzeit nach Partnern, um den Prozess grosstechnisch zu erproben und weitere Enzyme zu finden.