Die Zahl der Menschen, die vom reinen Beifallsklatschen leben, sinkt. Das ist tragisch, und daher kommt es vermehrt zu gesellschaftlichem Unwohlsein, zu Wahlenthaltungen oder auch zu offensichtlichem Falschwählen, zu Leserbriefen, zu spontanen und unangemeldeten Demonstrationen und zu (leider grundgesetzlich garantierten) Streiks – und die spielen doch vor allem Putin in die Hände!
Neben Pest und Cholera ist ein Streik das Schlimmste, was einer zivilisierten Marktwirtschaft zustoßen kann. Dem Streik folgt in aller Regel der Weltuntergang.
Mit großer Freude erinnert sich hingegen meine Omi Glimbzsch aus Zittau bei solchen Gelegenheiten an den sechsmonatigen (!) wilden Streik der Crimmitschauer Textilarbeiterinnen im Jahr 1903 für den 10-Stunden-Tag. Mensch, das war von 120 Jahren!
Vom 10-Stunden-Tag träumen ja heute auch wieder viele, also ein aktuelles Thema. Leute, meine Omi war auch dabei, als sich am 17. Juni 1953 im Henningsdorfer Stahl- und Walzwerk die 6.000 Arbeiter auf den Weg nach Berlin machten, hunderte in Holzpantinen, um der SED den Marsch zu blasen. Wieder ein wilder Streik! Und die Demonstranten sangen zu allem Überfluss auch noch die „Internationale“ – die konnten sie auswendig.
Wenn die Not am größten, dann ist Gottes Hilfe am nächsten, sagte man sich vor der Aufklärung. Am 28. Oktober 1948 legten aufgeklärte Belegschaften in Stuttgart die Arbeit nieder (wg. Hunger) und demonstrierten auf dem Karlsplatz. 40.000. Ach Gottchen! Ab da ging’s aufwärts. Man kannte keine Nazis mehr, man kannte nur noch Deutsche. Später, Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre kam es wieder und wieder zu wilden Streiks – die Arbeiterinnen hatten verbotenerweise ihre Sache selbst in die Hand genommen.
Inzwischen wissen wir: Ohne Türken ist kein Streik zu machen, ohne Marias aus Polen gibt’s keine Pflege für meine Omi Glimbzsch und ohne Ärzte aus Afrika und Asien können die Krankenhäuser dicht machen. Und nicht zu vergessen: Die Doktors sind in der Fremde ausgebildet worden, kommen uns also günstig.
Allen, die Angst vor Chaos-Tagen und Weltuntergang hatten, sei dringend eine Schluckimpfung in Demokratie empfohlen, frei nach dem Motto: Demokratie ist, wenn Du sagen darfst, dass du nichts mehr sagen darfst. In der Regel wird das dann allerdings weder gedruckt noch gesendet, bleibt also unter uns. Es sei denn, Sie sagen’s weiter.
Peter Grohmann’s „Wettern der Woche“
Peter Grohmann ist Kabarettist und Koordinator des Bürgerprojekts Die AnStifter. Er wettert privat, Mann!