Die politischen Kräfte, die menschliche Solidarität und kritisches Denken schätzen, sind erstaunt zu sehen, dass viele junge Menschen, die a priori als Verfechter der Rebellion und Förderer neuer Vorstellungen gelten, sich in der Öffentlichkeit derart präsentieren, dass sie rückschrittliche oder offen faschistischen Parolen vertreten.
In den hegemonialen Medien tauchen Meinungsbildner auf, die in ihrer Kurzsichtigkeit glauben, dass sich junge Menschen nicht für Politik interessieren und deshalb oberflächlichen Parolen zum Opfer fallen. Umgekehrt hat die Mehrheit der Jugendlichen das Gefühl, dass sich die Politik nicht für sie interessiert und dass diese „Analysten“ mit ihrer Professionalität prahlen, während sie mit ihrem Gesäß denken.
Es gibt auch diejenigen, die sich darüber beschweren, dass die neuen Generationen nichts aus der Geschichte gelernt haben und dass wir Gefahr laufen, ihre schlimmsten Erscheinungsformen zu wiederholen. Sie übersehen dabei, dass es die älteren Generationen und ihre Bildungssysteme waren, die für die Überlieferung verantwortlich waren. Schlimmer noch, diese Klage erhebt den Vorwurf jugendlicher Missachtung für deren Weigerung, eine einzige Darstellung der Geschichte zu akzeptieren – ausgesprochen eurozentrisch mit einem starken Hollywood-Akzent – und für den Verdacht, dass das Gedächtnis jeder Generation in ihrer historischen Betrachtung nur die Inhalte bewahrt, die sie für am relevantesten hält.
Auf der anderen Seite argumentieren die pragmatischeren Ansätze, dass es, um das Interesse junger Menschen zu wecken, notwendig ist, Ästhetik und Design, das aus einer vergangenen Zeit stammt, zu verändern. Einige vereinfachen es sogar maximal, indem sie darauf hinweisen, dass es ausreichen wird, digitale Plattformen mit bunten oder humorvollen Inszenierungen auszustatten, um die neuen Kohorten einzufangen.
Die Externalisierung des Themas erfasst nicht das Wesen der Botschaft. Die Jugendrevolte, die sich manchmal offen und manchmal in heftigem, stillem Widerstand manifestiert, ist im Grunde antisystemisch. Das weist darauf hin, dass die multidimensionale Krise nicht mit den gleichen Rezepten oder den gleichen Vorreitern gelöst werden kann, die sie hervorgebracht haben, und dass die neuen Generationen nicht bereit sind, sich auf die immergleichen alten Wege lenken zu lassen.
Ein demographischer Rückblick
Nach Angaben der ECLAC[1] (2020) sind von insgesamt rund 652 Millionen Einwohnern Lateinamerikas und der Karibik etwa ein Viertel Kinder unter 14 Jahren. Weitere 25 % (160 Millionen) sind junge Menschen zwischen 15 und 29 Jahren. 144 Millionen Menschen sind zwischen 30 und 44 Jahre alt (22%) und 108 Millionen sind zwischen 45 und 59 Jahre alt (17%). Etwas mehr als 62 Millionen (10%) bilden die Alterskohorte der 60- bis 74-Jährigen und 21 Millionen (3,3%) sind jetzt über 75 Jahre alt.
Ein Vergleich mit den 1970er Jahren, als die Gesamtbevölkerung der Region 286,5 Millionen betrug (weniger als die Hälfte der heutigen Bevölkerung), zeigt, dass etwa ein Drittel über 30 (90 Millionen) alt war, verglichen mit 51% heute. Mit anderen Worten, wir sind gealtert. Oder positiv gesehen, mehr Menschen leben länger.
Unter den diese demografische Entwicklung verursachenden Gründen wirken zwei Trends gleichzeitig. Erstens, die Verlängerung der menschlichen Lebensspanne. Infolge einer allgemeinen Verbesserung der sanitären und gesundheitlichen Bedingungen – wenn auch mit enormen Ungleichheiten zwischen Gebieten und sozialen Teilbereichen – beträgt die durchschnittliche Lebenserwartung bei der Geburt in der Region heute 75 Jahre, während sie 1970 neunundfünfzig Jahre betrug[2].
Gleichzeitig ist die Geburtenrate in sehr kurzer Zeit stark zurückgegangen. Die Gesamtfruchtbarkeitsrate in Lateinamerika und der Karibik liegt heute bei zwei Lebendgeburten pro Frau, während der Durchschnitt vor fünfzig Jahren bei fünf Kindern lag. Die Befreiung der Frau von der Naturgegebenheit und der patriarchalen Vorherrschaft nimmt somit revolutionäre Züge an.
Dennoch richten Teenagerschwangerschaften, der Mangel an Sexualerziehung und die mittelalterliche Bevormundung der Kirchen bezogen auf den weiblichen Körper, die im Widerspruch steht zur freien Wahl der Mutterschaft, weiterhin verheerende Schäden in der Region an.
Differenzierte und gemeinsame Erinnerungen und Sehnsüchte
Die Annahme, dass Generationen, die im selben Zeitraum koexistieren, die gleichen Erinnerungen haben, ist ein schwerer Fehler. Jede Generation wächst in einer anderen sozialen Landschaft auf, in der ihre Sensibilität geformt wird. Dies zeigt sich in der Fremdheit und Sehnsucht, die die ergrauenden Generationen angesichts des Verlustes oder der Transformation ihrer Umwelt empfinden, die um sie herum verschwunden, aber in ihren Erinnerungen sehr lebendig ist.
Dies beschränkt sich nicht nur auf Objekte, Bauwerke und Berufe, sondern auch auf die damals vorherrschenden Werte und Bräuche. Die Kritik an den Gewohnheiten der neuen Generationen wird für die älteren Menschen dann zur allgemein üblichen Bewertung, ebenso wie die falsche Litanei bezogen auf die Güte vergangener Zeiten im Gegensatz zur Gegenwart.
In gleicher Weise wird die Lebenseinstellung – wenn auch nicht deterministisch – in jeder Generation durch die Sehnsüchte der Zeit sowie durch den Zustand, in dem man geboren wird, geprägt.
So koexistieren verschiedene Generationenerinnerungen und Projekte in derselben historischen Periode, die bei jungen Menschen, die im Gegensatz zu den etablierten aufwachsen, in Spannung stehen und in Reibung geraten.
Auf diese Weise zeigt Silo auf: „Die direkt benachbarten Generationen versuchen, die wichtigsten Handlungsfelder (die gesellschaftliche Gegenwart) für sich zu beanspruchen, und zwar entsprechend ihren besonderen Interessen, und so stellt sich mit der sich an der Macht befindenden Generation eine Dialektik ein, in der die Überwindung des Alten durch das Neue zutage tritt.“[3]
Es ist auch wahr, dass es eine Basis des Alten und des Neuen gibt, und dass es ein Altes gibt und das Neue nicht immer das gleiche ist.
Es ist auch wahr, dass es einen Urgrund der Erinnerung und ein gemeinsames Zukunftsbild gibt, das im Allgemeinen durch überlieferte Geschichte und gemeinsame Kultur gegeben ist, was einen gewissen sozialen Zusammenhalt ermöglicht. Diese Basis wird nun diffuser, aber auch komplexer, aufgrund der historischen Beschleunigung, Fragmentierung und der gegenseitigen Durchdringung von Normen aller Kulturen der Erde durch direkten Kontakt und digitale Kommunikation.
Was bedeutet das alles und welche Implikationen hat es für das gesellschaftliche und politische Leben und seine Zukunft?
Generationendialektik
Die junge Generation, kritisch gegenüber etablierten Modellen und in Wechselbeziehung mit früheren Generationen, ist oft, sei es durch Handeln oder Unterlassen, für den Zustand der Dinge verantwortlich.
Junge Menschen stehen immer an der „Frontlinie“ des Wandels, trotz der Einengung und Unterdrückung, die sie erleiden, aber der transformative Impuls sollte nicht mit Anzeichen von Veränderung verwechselt werden. Es gibt viele historische Beispiele für eine rückschrittliche Positionierung, wie der Nationalsozialismus, die Kulturrevolution in China oder die heutigen religiösen Fundamentalismen zeigen. Selbst radikaler Umweltschutz und Leugnung wissenschaftlicher Erkenntnisse müssen als heutige Varianten von Veränderungstendenzen betrachtet werden.
Die existenzielle Unsicherheit und die Ausgrenzung vieler junger Menschen ist heute ein struktureller Faktor im Generationenkonflikt. Andererseits ist das durchaus legitim. Aber der aktuelle Aufstand ist auch eine Reaktion auf den anhaltenden Verrat durch die falschen Versprechungen des Systems an die Jugend.
Hinzu kommt ein generationenübergreifender „Trichter“-Effekt. Ein großer Teil der früheren Generationen, die jetzt älter sind, zögern, ihre Bereiche zu räumen, was den Zugang derjenigen verhindert, die erwachsen werden, und die Sinnhaftigkeit der Ablösung blockiert.
Aber am Ende ist es die Ablehnung eines veralteten, heuchlerischen und bedeutungslosen Systems von Überzeugungen und Werten, die bei den neuen Generationen die größte Empörung hervorruft.
Generationenuhr und politische Landkarte
Die aktuelle Generationenuhr in Lateinamerika und der Karibik besteht aus etwa sechs Generationen sehr unterschiedlicher innerer Zeitlichkeit. Die älteren wurden in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg geboren. Dann kam die Generation, die in Lateinamerika und der Karibik unter starker Führung und nationalistischen Projekten aufgewachsen ist, in Zeiten von Zement und großen Infrastrukturprojekten. Diejenigen, die jetzt über 60 sind, tranken in ihrer Jugend von der Guerillarevolution, Rock’n’Roll, Hippie-Psychedelia, orientalischer Mystik oder etwas von allem.
Nach der brutalen Unterdrückung durch das System, mit dem Ziel, alle Spuren der Gegenkultur zu beseitigen, entstand eine durch den Neoliberalismus geprägte Generation, der Ideologie, die das Ende der Geschichte und der Ideologien behauptete. Angesichts der katastrophalen Auswirkungen eines Kapitalismus mit tauben Ohren entstand eine neue Generation des Protests, die dazu beitrug, die Projekte der politischen und kulturellen Selbstbestimmung der Region im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts aufzubauen.
In diesem sozialpolitischen Umfeld ist die heutige Jugend aufgewachsen, und wie frühere Generationen weigert sie sich, ihren Horizont nur von den Träumen der Jugend anderer Epochen formen zu lassen.
Während die politischen Präferenzen der erwachsenen Generationen stärker in Richtung Naturschutz tendieren – ein Aspekt, der sich mit dem demographischen Anstieg der sozialen Schichten mittleren Alters verschärft –, ist die politische Haltung der jüngeren Generation alles andere als eindeutig.
Eine Fraktion bleibt dabei, dass eine Reformpolitik größere Übel vermeidet, und mobilisiert mit der Idee „gemeinsam gegen das Schlimmste“, damit zur Stärkung der Kräfte beitragend, die die Rechten und Ultrarechten zu besiegen trachten. Es gibt diejenigen, die, wie bereits erwähnt, sich für die hochtrabenden und konservativen Proklamationen grotesker Persönlichkeiten entscheiden, die in der Hitze des Zusammenbruchs hervorgetreten sind. Ein wichtiges Kontingent junger Menschen hält sich mit ihrer radikaleren Kritik am etablierten institutionellen Rahmen an die Losung „Lasst alles sausen“, während andere, getrieben von Situationen extremer Entbehrung oder anderer Arten von Gewalt, ihre Unterstützung – vielleicht mit dem Gesicht auf den Schleifstein gepresst – dem Meistbietenden anbieten.
Für die älteren Generationen, die um den sozialen Fortschritt großer Gruppen besorgt sind, stellt sich die Frage, ob es möglich ist, einen Dialog mit den neuen Generationen aufzunehmen, die den Modellen am kritischsten gegenüberstehen, die typisch für die Zukunftsideen des letzten Jahrhunderts sind. Ein Dialog, mit dem Ziel, zu verhindern, dass ihre berechtigte Ablehnung in seiner Funktionalität als Pendel in Richtung der absoluten Vorherrschaft des Kapitals ausschlägt, die heute maskiert als digitale und grüne Innovation daherkommt.
Dieses Dilemma wird wiederum für die weniger konformistischen Geister aller Generationen durch eine weitere, noch kompliziertere Frage ergänzt: Wie kann diese Jugend Revolutionen neuen Typs fördern, die für mehr Menschlichkeit stehen?
Die totale Revolution
In den letzten vier Jahrhunderten wurde der Blick auf die Welt vom Fortschritt der Wissenschaft und ihrer jüngsten Tochter, der Technologie, geprägt. Einer Tochter, die völlig respektlos gegenüber ihrem Stammvater versucht hat, sich von ihrer Basis zu lösen, indem sie – ziemlich erfolgreich – vorgibt, Herr und Herrin des Planeten zu werden.
Parallel zu den enormen Fortschritten, die beide in den letzten Jahrhunderten erzielt haben, hat sich als Gegenstück eine verzerrte Sichtweise entwickelt, in der die gesamte Wirklichkeit durch das Sieb bestimmter, durch wissenschaftliche Methodik festgelegte Parameter gehen muss, um als solche akzeptiert zu werden.
Dieses grundsätzliche Glaubenssystem, das zugleich mit der kolonialen Herrschaft übergestülpt wurde, vernichtete andere Formen des Wissens, die in den unterschiedlichen Kulturen existierten, und pflanzte gleichzeitig eine Sichtweise auf den Menschen ein, die ihn nur als ein weiteres Stück Materie, nur körperlich, den Naturgesetzen unterworfen und mit einer genau bestimmten und unwandelbaren Natur versehen betrachtete.
Dieser Blick auf den Menschen verdeckte die Bedeutung der inneren Welt, der individuellen und kollektiven Subjektivität, oder spielte sie zumindest herunter und verwies sie auf eine untergeordnete Rolle.
Im Widerspruch zu diesem objektivierten und technokratischen Blick tauchte dessen ablehnende idealistische Nemesis auf in Form von einer beträchtlichen Anzahl von Menschen, die den Regeln eines in seinem Wesen immateriellen Reich folgen. Im Wiederaufleben einer Welt, die eigentlich als von der rationalistischen Aufklärung ausgelöscht galt, tauchte die theistische Variante mit Gewalt wieder auf, in starkem Masse beeinflusst von religiösen Interpreten, eine Weltanschauung, die eine politische Strömung mit ausgeprägtem regressivem Inhalt hervorbrachte. In seiner überwiegend atheistischen Form entwickelte sich das Ganze in Richtung eines spiritistischen Absolutismus, der sich grundsätzlich von jedem Hauch kollektiven Handelns im als schmutzig und falsch wahrgenommenen politischen Bereich distanzierte.
Vielleicht haben die notwendigen neuen Revolutionen einen ganzheitlichen Charakter, indem sie das Sozialpolitische nicht in Widerspruch zum Existenziellen stellen, sondern eine kontinuierliche Wechselwirkung zwischen menschlicher Innerlichkeit und einer gewaltfreien Gesellschaft postulieren – begünstigt in ihrer Entwicklung durch bessere Lebensbedingungen für alle und ermöglicht durch eine Veränderung der Werte in der inneren Welt jedes Einzelnen.
Diese Verbindung gegensätzlicher Anschauungen, des Fest- und des Feinstofflichen, des Irdischen und des Ewigen mit einem Gefühl für Aufstieg und menschlicher Entwicklung, kann die kreative und integrative Synthese der Gegensätze bilden.
Wenn die neuen und einige der älteren Generationen die Vorstellung gleichzeitiger Veränderungen sowohl im sozialen als auch im existentiellen Bereich annehmen, wird es möglich sein, die gleichermaßen drängenden Bedürfnisse von Körper und Seele parallel zu befriedigen. Die Revolution wird dann auch zeitlich konsistent und beständig sein.
Diese neue Welt eröffnet uns eine Möglichkeit. Es ist Zeit, die Beschränkung des Bekannten zu überwinden und es auszuprobieren.
Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Ulrich Karthaus vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!
[1] https://statistics.cepal.org/portal/cepalstat/dashboard.html?theme=1&lang=es
[2] https://datos.bancomundial.org/indicador/SP.DYN.LE00.IN?locations=ZJ
[3] Silo. Wörterbuch des Neuen Humanismus. Generationen. Gesammelte Werke Bd. II. Ed. Plaza y Valdés (2002) D.F. Mexico.