Der Umgang mit der Letzten Generation zeigt, was der Staat für die kommenden Massenproteste gegen die Klimapolitik plant – Kriminalisierung und Repression.
Vorbeugende Aufstandsbekämpfung – auf diesen etwas in Vergessenheit geratenen Begriff brachten Kritiker in den vergangenen, neoliberalen Dekaden all die Strafrechtsverschärfungen und Polizeigesetze, die derzeit gegen Klimaschützer Anwendung finden. Mehrere Wochen Knast mussten etwa Aktivisten der Protestgruppe „Letzte Generation“ im sogenannten Präventivgewahrsam erdulden, da laut richterlichem Beschluss Gefahr bestehe, dass sie sich erneut an Blockadeaktionen in München beteiligen könnten.
Dass Menschen „vorbeugend“ im Gefängnis landen können, ist eine relativ neue Strafrechtsverschärfung, die 2018 im Rahmen des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes im Eilverfahren von der CSU durchgepeitscht wurde. Damals regte sich noch Protest gegen diese polizeistaatlichen Gesetzesverschärfungen, die den bürgerlich-rechtsstaatlichen Grundsatz aushöhlen, wonach Bürger nur für nachweislich begangene Straftaten mit Gefängnisstrafen belegt werden dürfen. Etliche zivilgesellschaftliche Organisationen reichten damals Verfassungsbeschwerde ein – vergebens. Diese Regelung zum Präventivgewahrsam, die vorher aus gutem Grund im bundesdeutschen Strafrecht nicht vorkam, weckt nämlich Erinnerungen an die Schutzhaft der Nazis.
In den vergangenen Jahren haben die meisten Bundesländer ähnliche Regelungen eingeführt, die in der geschichtsvergessenen öffentlichen Debatte längst zur „Normalität“ geronnen sind. An der aktuellen Repression und Medienkampagne gegen die Blockierer der Letzten Generation kann somit das Ineinandergreifen von Strafrechtsverschärfungen, polizeistaatlichen Tendenzen, schleichendem Demokratieabbau und der sozioökologischen Krisendynamik des Spätkapitalismus studiert werden. Deswegen ist der Begriff „vorbeugende Aufstandsbekämpfung“ so passend. Die kapitalistischen Funktionseliten trauten schon vor einer halben Dekade ihrem eigenen System nicht; sie hatten ein schärferes Krisenbewusstsein als weite Teile der krisenblinden deutschen Linken. Der Staatsapparat bildete schon in der neoliberalen Ära ein instrumentelles, autoritäres und repressives „Krisenbewusstsein“ aus, das ganz auf die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung in der Dauerkrise ausgerichtet ist.
Längst werden weitere Strafrechtsverschärfungen diskutiert. Wirtschaftslobbyisten und Politiker der CDU und FDP fordern, Klima-Aktivisten generell für 30 Tage in Gewahrsam nehmen zu können. Die CSU fabuliert von einer „Klima-RAF“, während Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) laut über Gefängnisstrafen für Klimademonstranten nachdenkt. Eingebettet sind diese repressiven Vorstösse in eine rechte Medienkampagne, bei der Klimaaktivisten für Verkehrsunfälle verantwortlich gemacht werden, die bei den Blockadeaktionen passieren. Hinzu kommen lautstark in den Medien verbreitete Umfragen, denen zufolge ein Grossteil der Bevölkerung die Protestformen der „Letzte Generation“ ablehne.
Es handelt sich offensichtlich um eine Kampagne der üblichen rechten Verdächtigen von Springer („Klima-Chaoten!“), über CDU/CSU („Fünf Jahre Haft!“) bis zur AfD („Klimaextremisten“) gegen die Klimaschützer, die auch schlicht die Gunst der Stunde nutzen, um die Klimabewegung dauerhaft zu schwächen und möglichst rasch neue Repressionsinstrumente zu etablieren. Während die Justizminister von Bund und Ländern Anfang Dezember darüber diskutierten, ob die in Bayern praktizierte Präventivhaft gegenüber den „Klimaklebern“ bundesweit zur Anwendung gelangen solle, ging die Justiz Mitte des Monats in einer bundesweiten Razzia gegen die Letzte Generation vor. Der Vorwurf: Bildung einer kriminellen Vereinigung laut Paragraf 129 Strafgesetzbuch. Die Aktionen zivilen Ungehorsams, die von der Letzten Generation praktiziert werden, könnten somit tatsächlich in die Nähe terroristischer Akte und des berüchtigten Paragrafen 129a („Bildung terroristischer Vereinigungen“) gerückt werden.
Die Zeit dafür ist günstig. Denn es ist kalt. Mit der winterlichen Witterung und dem Krieg in der Ukraine verdrängen die Sorgen um die Heizkosten und die strauchelnde Wirtschaft die Angst vor der Klimakatastrophe. Der Horrorsommer 2022 gerät in der Bevölkerung, die dank kulturindustriellen Dauerbombardements ein öffentliches Erinnerungsvermögen von wenigen Wochen hat, schlicht in Vergessenheit. Die Vielfalt der ökologischen, sozialen und politischen Verwerfungen, in denen sich die kapitalistische Systemkrise manifestiert, führt schnell zu Orientierungslosigkeit und einem regelrechten crisis hopping, sobald die systemischen Krisenursachen ausgeblendet bleiben.
Im vergangenen Sommer, als die Flüsse Europas trocken lagen, als die Feuer wüteten und als die Hitze zahlreiche Todesopfer forderte, wäre ein solches Vorgehen gegen die Klimabewegung unmöglich gewesen. Die durch Hetzkampagnen generierten Mehrheiten, die sich nun hinter den Rufen nach härterem Strafen manifestieren, wären schlicht nicht zustande gekommen. Mit einer Repressionskampagne im „Winter“, also in der dunklen Jahreszeit, die angesichts von Temperaturen von knapp 20 Grad zur Jahreswende kaum noch ihren alten Namen verdient, nutzt die Rechte schlicht ein Zeitfenster zur Schaffung neuer, autoritärer Fakten. Die Entdemokratisierung und das Einüben neuer Repressionsmethoden müssen deshalb etabliert werden, bevor das nächste Extremwetterereignis die Menschen mit aller Macht daran erinnert, dass die Klimakatastrophe munter voranschreitet.
Das Wetter ist somit zu einem politischen Faktor geworden – es bringt Vorteile, die Witterung beim politischen Vorgehen zu berücksichtigen. Das liegt vor allem daran, dass die jahrzehntelang geübte Argumentation, wonach Klima und Wetter zwei verschiedene Dinge seien, nicht mehr greift. Zu deutlich manifestiert sich die Klimakrise in den konkreten Wetterphänomenen, als dass diese Halbwahrheit, die von Klimaleugnern gerne instrumentalisiert wurde, noch überzeugen könnte (Kein einziges extremes Wetterereignis weist sich ja selbst als Folge der Klimakrise aus). Die Repression der Klimabewegung muss zu einer Jahreszeit erfolgen, in der die Bevölkerung sich sorgt, wie die Wohnung zu heizen sei, ohne in Privatinsolvenz zu geraten.
Dieser politische Hebel kann aber auch von progressiven Kräften betätigt werden. Die nächste Feuer-, Hitze-, und Dürresaison kommt bestimmt, was auch die inzwischen katastrophale Züge annehmende Klimakrise zwangsläufig ins Zentrum der öffentlichen Debatte rücken wird. Und das werden die Witterungsverhältnisse sein, unter denen die Klimabewegung in die Offensive gehen kann, weil bei unerträglicher Hitze die meisten Menschen, die nicht über eine Klimaanlage verfügen, ganz selbstverständlich viel Verständnis für radikale Protestformen aufbringen werden. Das Wetter ist somit hochpolitisch geworden. Die alte, vom verkürzten Klassenkampfdenken geprägte 68er-Parole, wonach alle vom Wetter reden, nur die Linke nicht, muss somit ins Gegenteil verkehrt werden: Alle werden vom Wetter reden, es in das politische Kalkül und ihre aktivistischen Planungen als wichtigen Faktor aufnehmen.
Deswegen verfehlen die Verweise auf schlechte Umfragewerte der Klimabewegung, mit denen linksliberale Medien oder die Opportunisten und „Bewegungsmanager“ der Linkspartei die Klimablockierer von ihren den kapitalistischen Betriebsablauf störenden Protestformen abbringen wollen, den Kern dieser politischen Wetterdynamik. Das Gerede vom „Bärendienst“, den die Letzte Generation der Klimapolitik erweise, ist hohl. Die Klimakrise wird sich gänzlich unbeeindruckt von der Meinung des deutschen Bürgers weiter entfalten, was dann auch die Stimmung in der Bevölkerung kippen lassen wird – ähnlich den klimatischen Kipppunkten des globalen Klimasystems. Schon die verheerende Flutkatastrophe, die die Bundesrepublik 2021 mitten im Bundestagswahlkampf traf, kann durchaus als ein politischer Faktor, der den Grünen Auftrieb verschaffte, begriffen werden.
Die Klimakrise wird bei ihrem Voranschreiten der Klimabewegung weiteren Zulauf bescheren – und das hat seine simple Ursache vor allem darin, dass der Kapitalismus aufgrund seines Wachstums- und Verwertungszwangs schlicht nicht in der Lage ist, die Klimakrise irgendwie zu bewältigen. Kapital ist der sich selbst verwertende Wert. Es ist das Geld, das durch Verfeuerung von Energie und Rohstoffen in der Warenproduktion zu mehr Geld werden muss. Kapital kann sich an nahezu alles anpassen, nur nicht an sich selbst. Deswegen steigen global die CO2-Emissionen weiter an, wobei dieser Emissionsanstieg nur durch Weltwirtschaftskrisen kurzfristig unterbrochen wird.
Das Festkleben auf den Strassen, das die Letzte Generation praktiziert, ist eine aus dem Mut der Verzweiflung geborene Protestform, die instinktiv den alltäglichen kapitalistischen Betriebsablauf stört – Sie steht in scharfem Kontrast der nachgerade entwaffnenden politischen Naivität der Gruppe, die Appelle an die politischen Funktionsträger richtet, die Klimakrise doch bitteschön zu lösen. Sogar der Verfassungsschutz musste trotz der aktuellen rechten Kampagne feststellen, dass diese Gruppe nicht „extremistisch“ ist, da sie schlicht „Funktionsträger zum Handeln auffordert“. Das Problem bei dieser Herangehensweise besteht aber offensichtlich darin, dass die politischen Funktionsträger aufgrund der obig genannten kapitalistischen Systemwidersprüche nicht in der Lage sind, der Klimakrise sinnvoll zu begegnen.
Ohne Systemtransformation, ohne Überwindung des kapitalistischen Wachstumszwangs ist eine Bekämpfung der Klimakrise unmöglich. Der Kapitalismus ist ausserstande, effektive Klimapolitik zu betreiben. Dieser simple, von der Wertkritik seit Jahren thematisierte Zusammenhang hat sich inzwischen, allen Widerständen zum Trotz, auch in der Linken herumgesprochen. Und dies müsste nun auch praktische Konsequenzen nach sich ziehen. Statt der Spaltung der Klimabewegung durch Einteilung in „gute“ und „schlechte“ Protestformen Vorschub zu leisten, käme es somit einerseits darauf an, dieses sich ausformende, radikale Krisenbewusstsein in der Klimabewegung zu verallgemeinern, um die Diskrepanz zwischen den radikalen Protestformen und den naiven Forderungen zu überwinden.
Bislang erfuhren in der Linken die ob ihrer Naivität belächelten „Klimakleber“ vor allem Kritik hinsichtlich der öffentlichen Wahrnehmung ihrer Aktionen, wobei es sich zumeist um „soziale“ Modifikationen der linksliberalen Mahnungen handelte, wonach die Strassenblockaden die Stimmung gegenüber der Bewegung in der Bevölkerung kippen lassen würden. Zumeist griff man dabei – insbesondere im gewerkschaftsnahen Spektrum der Linkspartei – auf das Bild des Arbeiters zurück, der aufgrund einer Strassenblockade zu spät zur Arbeit komme. Tatsächlich illustriert die kapitalistische Klimakrise, dass es kein „revolutionäres Subjekt“ gibt, dass die Lohnabhängigen, die als „variables Kapital“ im Verwertungsprozess fungieren, ein binnenkapitalistisches Interesse daran haben, den Verwertungsprozess des Kapitals, der ihre ökologische Zukunft zerstört, zu prolongieren, um ihre soziale Gegenwart zu sichern. Dieser monströse Widerspruch könnte nur aufgelöst werden, wenn die Lohnabhängigen nicht mehr lohnabhängig sein wollten.
Der reaktionären, pseudolinken Kritik an der Letzte Generation, wie sie insbesondere vom Krisenopportunismus der Linkspartei praktiziert wird, müsste eine radikale Kritik gegenübergestellt werden, die gerade auf die Herausbildung eines radikalen Krisenbewusstseins als conditio sine qua non emanzipatorischer Praxis abzielt: dass die Systemtransformation eine Voraussetzung ist, um die Klimakatastrophe abzuwenden. Bei der Verteidigung der disruptiven Praxis der „Letzte Generation“ gilt es, ihre politische Naivität zu kritisieren. Gerade da es leider kein Revolutionäres Subjekt gibt, ist die Frage des Krisenbewustseins entscheidend: Ohne Bewusstsein darüber, dass das Kapital in seinem Verwertungszwang die Ursache der Klimakrise ist, ist ein emanzipatorischer Verlauf der anstehenden gesellschaftlichen Umbrüche nicht möglich. Der disruptiven Aktion muss die Einsicht in die Überlebensnotwendigkeit der Systemtransformation folgen.
Auch wenn es angesichts der Realitäten im Land, angesichts der allgemeinen Regression und Apathie in der Linken illusorisch erscheinen mag, so hat eine solch radikale Transformation der Klimabewegung durchaus Erfolgsaussichten. Die spätkapitalistische Ideologieproduktion befindet sich in einer strategischen Defensive, da sie letztendlich darauf hinausläuft, die Bevölkerung mit dem Verlust ihrer ökologischen Lebensgrundlagen zu versöhnen. Und ob dies dem Medienbetrieb samt Kulturindustrie gelingt, ist doch sehr die Frage. Die Einsicht der „Letzte Generation“, bei ihren Protesten ums kollektive Überleben zu kämpfen, muss somit nur auf die systemische Ebene gehoben werden, anstatt die Proteste als solche zu kritisieren. Immer deutlicher wird es sich in den kommenden Jahren abzeichnen, dass gerade ein Festhalten am Kapitalismus extremistisch ist – und nicht dessen Überwindung.
Dieser sich offen abzeichnende Abgrund, in den der Spätkapitalismus in seiner Agonie taumelt, lässt perspektivisch Ideologie überflüssig werden. Irgendwann wird das zerrüttete System sich Ideologie auch in den Zentren nicht mehr leisten können. Die Gefahr blanker Repression, nackter Gewaltherrschaft, mit der das System selbst in seinem Kollaps jedwede emanzipatorische Alternative erstickte, nimmt gerade aufgrund der Unmöglichkeit eines kapitalistischen Klimaschutzes rasch zu. Und es dürften gerade die kommenden extremen Wetterereignisse sein, die den Kampf um den Verlauf der Transformation, die sowohl emanzipatorischen Schüben wie auch staatlichen Repressionsmassnahmen Auftrieb verschaffen dürften. Es sind nicht nur die absurd anmutenden Bemühungen des Apparats, aus den brav-bürgerlichen „Klimaklebern“, die sich bei ihren Aktionen schlicht auf das Grundgesetz berufen, eine kriminelle Vereinigung zu konstruieren, die in diese Richtung deuten.
Somit müsste andererseits der Fokus progressiver und emanzipatorischer Kräfte auf dem Kampf gegen repressive, postdemokratische Tendenzen in Staat und Politik liegen. Nahezu zeitgleich mit dem Vorgehen gegen die Letzte Generation ist eine bizarr anmutende Verschwörung von Reichsbürgern, Adligen und ehemaligen Spezialkräfte-Kommandeuren der Bundeswehr ausgehoben worden, die nichts weniger als einen Staatsstreich in Deutschland plante. Diese Verhaftungen dürften einen (vorläufigen?) Warnschuss an all die rechten Seilschaften und Netzwerke im tiefen, braunen Staat der BRD darstellen, die angesichts der sich entfaltenden Krise ihre Chance wittern werden, mittels Faschismus ihr „Deutschland“ zu retten. Schon die Flüchtlingskrise liess entsprechende Putsch-Planungen in Staat und Justizapparat der BRD aufkommen – und die Klimakrise dürfte diese faschistischen Tendenzen zur Etablierung einer offen terroristischen Krisenform kapitalistischer Herrschaft verstärken. Der Kampf um die Aufrechterhaltung der krisenbedingt schrumpfenden demokratischen Manövrierräume ist somit allein schon deswegen notwendig, damit nicht irgendwann die blosse Suche nach Systemalternativen zur kapitalistischen Dauerkrise als „extremistisch“ eingestuft und mit „Präventivhaft“ – oder dem blossen Verschwindenlassen – bedacht wird.
Tomasz Konicz
Zuerst erschienen in Konkret 02/2023