Ein Thema, das unbedingt enttabuisiert werden muss und im Speziellen muslimische Frauen und Mütter betrifft, ist zweifelsohne das der noch praktizierten Tradition der Zwangsehe der vergewaltigten Frau mit ihrem Vergewaltiger.

Sicherlich ist der Falle der sechzehnjährigen Mädchens Amina al-Filali aus Larache in Marokko (Selbstmord von Amina Filali erschüttert Marokko) noch nicht in Vergessenheit geraten. 2012 nahm sich Amina im Alter von nur 16 Jahren das Leben, indem sie sich mit Rattengift vergiftete, nachdem sie mit ihrem Vergewaltiger zwangsverheiratet wurde, der auf diese Weise dank dem marokkanischen Gesetz für seine Schuld als Vergewaltiger nicht mehr büßen musste.

Ein ähnlicher Fall ereignete sich 2013 auch in Malaysia. Auch dieser Fall gelangte an die Öffentlichkeit, und es gab zahlreiche Proteste. Wiederum wurde ein Vergewaltiger nicht strafrechtlich verfolgt, weil er durch die Heirat mit dem vergewaltigten Mädchen davonkam. Das Mädchen war 12, als es vergewaltigt und dann zwangsverheiratet wurde. Anbei finden Sie einen Artikel hierzu, in dem auch die Verzweiflung der Familie des Mädchens zur Sprache kommt, die nicht weiß, was sie anderes tun soll, außer die Tochter mit dem Vergewaltiger zwangszuverheiraten.

Eine Schande? Auf jeden Fall ja.

Aber die Tatsache, dass es eine Schande ist, soll auch von den Musliminnen und Muslimen klar ausgesprochen werden. Denn diese Tradition widerspricht den Grundsätzen des Islam in vielfacher Hinsicht: einerseits der Konzeption der Ehe im Islam und andererseits auch der Anschauung der Barmherzigkeit und der Rechte der Opfer auf Verteidigung der eigenen Rechte und Menschenwürde.

In den traditionellen muslimischen Gesellschaften werden die Menschenrechtler aus dem Westen manchmal mit Skepsis wahrgenommen. Die Menschen möchten keine Rechte von außen aufgedrängt bekommen. Daher finde ich muss die Ansage von den islamischen Menschenrechtlerinnen und Menschenrechtler kommen, die dem Volk erklären, dass diese Praxis nicht nur für den Westen als Menschenrechtsverletzung gilt, sondern im Islam gegen die Grundprinzipien des Korans verstößt.

Im Koran heißt es beispielsweise über Liebe und Ehe:

„Und es gehört zu seinen Zeichen, dass Er aus euch selber Gattinnen erschuf, auf dass ihr Frieden bei Ihnen findet; und Er hat Zuneigung und Barmherzigkeit zwischen euch gesetzt.“ (30:21)

„Sie (eure Frauen) sind wie ein Gewand für euch und ihr seid (wie) ein Gewand für sie.“ (2:187)

Ehe bedeutet im Islam Frieden, Zuneigung, Barmherzigkeit, Schutz, Wärme und gegenseitige Unterstützung. Und damit hat eine voreheliche Vergewaltigung, die durch eine Zwangsehe gesühnt wird, wirklich nichts zu tun.

Und nach der Scharia wird die Vergewaltigung bestraft wie der Ehebruch. Die vergewaltigte Frau gilt in der Scharia als Opfer. Denn der Islam steht hinter den Frauen, gegen die Gewalt ergeht.

Zum Thema der Vergewaltigung der Frau in den muslimischen Gesellschaften und der Zwangsehe, die dann diesen Opfern aus sogenannten folkloristischen Gründen der Ehre aufgedrängt wird, die vorher ihrer Freiheit beraubt und brutal missbraucht wurden, finde ich die folgenden Überlegungen des amerikanischen Konvertiten Musa Furber von 2013 anlässlich der Vergewaltigung in Malaysia und auch in Erinnerung an den Fall von Amina al-Filali aus dem Jahre 2012 ein wahres Manifest eines muslimischen Mannes für die Würde der Frau[1].

Es handelt sich auch um ein Thema, das in die Studien über die Sklaverei und über die Zwangsehe einfließen soll. Anbei ein Ausschnitt hiervon, der das Thema unwidersprüchlich beim Namen nennt und ent-tabuisiert. Das Thema möchte ich hier anführen, weil die Worte des Autors des folgenden Artikels für mich den Weg weisen, um allen muslimischen Frauen ihre Würde wiederzugeben, unabhängig davon, welche Form von Gewalt sie erleiden oder erlitten haben.

„…Wenn ich über solche Fälle lese, bin ich immer wieder verblüfft, wie Muslime es unterstützen können, dass ein Vergewaltiger begnadigt werden darf, indem er sein Opfer heiratet, und häufig, indem dieses und seine Familie unter Druck gesetzt werden, um sich zu fügen. Als islamischer Rechtsexperte weiß ich, dass solche Fälle ungeheuerliche Verletzungen dessen darstellen, was der Islam über die Rechte von Opfern, die Definition von Gerechtigkeit und die Bedeutung der Ehe lehrt.

Die islamische Weltanschauung vertritt einen klaren Standpunkt bezüglich der Rechte und Pflichten der Selbstverteidigung und der Verteidigung anderer vor Angriffen auf die Person und Würde. Dies gilt insbesondere für sexuelle Übergriffe, in denen eine Frau dazu verpflichtet ist, den Angreifer abzuwehren und Umstehende verpflichtet sind, ihr zu Hilfe zu eilen… Einige Gelehrte plädieren außerdem dafür, dass sich die Selbstverteidigung der Frau sogar auf die Nachwirkungen eines Angriffes auswirken sollte, einschließlich der Widerherstellung ihres Sicherheitsgefühls, der Behandlung des emotionalen Traumas und des Schwangerschaftsabbruch nach einer Vergewaltigung. Verfechter dieser Position argumentieren, dass sich dies mit den ehrenwerten Zielen des heiligen Rechtes deckt, welches den Schutz des Lebens und des Geistes der Frau über den Schutz der Abstammung, des Besitzes und der Ehre stellt. Das islamische Gesetz der Scharia ist auch darin eindeutig, dass eine Ehe eine Verbindung darstellt, die auf Zuneigung, gegenseitigem Respekt, Intimität, Vertrauen und Güte basiert und einen Zufluchtsort vor unkontrollierter sexueller Begierde darstellt.

Ein Vergewaltigungsopfer dazu zu zwingen, den (mutmaßlichen oder verurteilten) Vergewaltiger zu heiraten, beraubt es jeglicher Möglichkeit der Selbstverteidigung und setzt es weiteren Angriffen auf seine Person, seinen Geist und seine Würde aus. Auf diese Weise wird es außerdem dazu gezwungen, in einer Beziehung zu leben, die auf Hass, Verfremdung, Gewalt und Missbrauch basiert, und der Täter wird für seine Gewalttaten auch noch belohnt.

Das Verlangen nach Gnade ist im Islam tief verwurzelt. Die Begnadigung von Vergewaltigern, die sich dazu bereit erklären, ihre Opfer zu heiraten und ihre Opfer zwingen, sich dem zu beugen, stehen im Widerspruch zu dieser Gnade.

Es wurde bereits beobachtet, dass es zu Selbstmorden kommen kann, wenn Opfer dazu genötigt werden, ihre Vergewaltiger zu heiraten. Opfer dazu zu zwingen, eine solche Ehe einzugehen, stellt die Ehre der Familie über ihr eigenes Leben, ihren Geist und ihre Würde – was genau die entgegengesetzte Reihenfolge darstellt, wie sie in dem heiligen Recht beschrieben ist. Wie kann jemand die Umkehrung dieser Reihenfolge mit der islamischen Weltanschauung in Einklang bringen, die sowohl die sich ausbreitende Korruption als auch die unrechtmäßige Beendigung eines einzelnen Lebens mit einem Mord an der gesamten Menschheit und das Retten eines einzelnen Lebens mit der Rettung der gesamten Menschheit gleichstellt (Koran 5:32)[2]?

Einige Gelehrte tun dies aus kulturellen Gründen, und da es in den Bereich der Flexibilität des Islam gegenüber lokaler Kultur und örtlicher Bräuche fällt und die lokale Kultur Vergewaltigungsvergehen eine derart große Schande auferlegt (seien sie unterstellt oder bewiesen), dass dem Opfer besser damit gedient sei, eine Ehe mit seinem (angeblichen oder verurteilten) Schänder einzugehen. Während es tatsächlich so ist, dass das heilige Gesetz eine bestimmte Flexibilität bezüglich lokaler Kultur und örtlicher Bräuche beinhaltet, bezieht diese sich nur auf solche, die dem heiligen Gesetz nicht widersprechen und seine ehrenwerten Ziele nicht verzerren. Kurzum befürwortet die Scharia Praktiken, die mit ihr übereinstimmen und lehnt Praktiken ab, die sie bezwingen oder untergraben.

Andere Gelehrte behaupten, dass diese Gesetze nur auf Fälle angewendet werden sollten, die sich auf einvernehmlichen Geschlechtsverkehr beziehen, wozu Paare sich zum Beispiel entschließen, wenn sie hoffen, ihre Familien auf diese Weise dazu zwingen zu können, ihrer Hochzeit zuzustimmen und der als Vergewaltigung betrachtet wird, wenn er bekannt wird. Diesen Begriff zu verwenden, um die Gesellschaft irgendwie vor der Schande zu schützen, zugeben zu müssen, dass Frauen sich an einem einvernehmlichen, vorehelichen Geschlechtsverkehr beteiligen, stürzt Frauen, denen bereits Unrecht geschehen ist, in ein noch größeres Unrecht, was manchmal dazu führt, dass sie vor lauter Angst und Verzweiflung Selbstmord begehen.

Irgendetwas läuft grundlegend falsch, wenn eine muslimische Gesellschaft die Schande einer einzelnen Vergewaltigung als Ausgleich für die erleichterte Ausbreitung von Korruption und die unrechtmäßige Beendigung eines Lebens ansieht.

Die erste Generation der Muslime befolgte die Vorschriften des Korans, die Tötung weiblicher Säuglinge abzuschaffen, eine Tat, die häufig begangen wurde, um Schande von der Familie fern zu halten. Dadurch haben die Muslime mit Stolz zu einem steigenden Ansehen der Frauen beigetragen. Doch was für ein Stolz ist es zu verbieten, die kleinen Töchter von jemandem im Sand zu vergraben, nur damit sie erwachsen werden können und sich dann wünschen, dass genau dies mit ihnen geschehen wäre? Diese traurigerweise zahlreichen Geschichten von Frauen, die wieder und wieder verletzt wurden, können nur als Abart des Islam beschrieben werden, und dies leider nur von Muslimen selbst“.

Die Musliminnen und Muslime müssen die Verpflichtung übernehmen, als Ummah konsequent gegen diese Verbrechen vorzugehen. Männer, die Frauen vergewaltigen, dürfen nicht durch eine Zwangsehe gesühnt werden, denn eine Straftat belohnt man nicht mit einer Ehe, die im Islam Frieden, Barmherzigkeit und Schutz bedeutet.

Wie kann ein Mädchen dazu gezwungen werden, seinen Vergewaltiger zu heiraten? Mit dieser rhetorischen Frage möchte ich Sie alle bitten, diesen Artikel zu teilen.

Erheben Sie Ihre Stimme gegen die Vergewaltigung der Frau, die mit einer Zwangsehe gesühnt und unter den Teppich gekehrt wird. Die Frau wird durch die Vergewaltigung nicht entehrt. Die Frau behält ihre Würde, da sie unschuldig ist und bleibt. Wer schuldig ist, ist nur der Mann, der der Frau Gewalt zugefügt hat. Denn der muslimische Mann hört gerade dort auf, wo der Vergewaltiger anfängt. Die Vergewaltigung kennt keine Religion.


[1] Vgl. hierzu: http://www.washingtonpost.com/blogs/guest-voices/post/the-islam-women-were-promised/2013/01/02/447419f6-54e5-11e2-8b9e-dd8773594efc_blog.html

[2] Vgl. hierzu den gesamten Koranvers 5:32: „Aus diesem Grunde haben Wir den Kindern Israels verordnet, dass wenn jemand einen Menschen tötet – es sei denn für (Mord) an einem andern oder für Gewalttat im Land -, so soll es sein, als hatte er die ganze Menschheit getötet; und wenn jemand einem Menschen das Leben erhält, so soll es sein, als hätte er der ganzen Menschheit das Leben erhalten. Und Unsere Gesandten kamen zu ihnen mit deutlichen Zeichen; dennoch, selbst nach diesem, begehen viele von ihnen Ausschreitungen im Land“.

Der Originalartikel kann hier besucht werden