Die Inflationskrise in der Europäischen Union schreitet voran und gefährdet zunehmend das Funktionieren der Volkswirtschaften der EU-Länder. Eine der Hauptursachen dafür ist der enorme Anstieg der Energiepreise, der sowohl die einfachen Verbraucher als auch die Unternehmen hart trifft. Insbesondere gilt das für den Verbrauch von Erdgas, das für die wirtschaftliche Entwicklung in der EU unerlässlich ist.
Von Alex Männer
Die hohen Gaspreise haben etwa in Deutschland bereits dazu geführt, dass zahlreiche kleine und mittlere Unternehmen in ihrer Existenz bedroht sind und auch große Konzerne vor Schwierigkeiten stehen. Dass vor allem die Bundesrepublik mit dem Preisanstieg für Energie zu kämpfen hat, liegt daran, dass das deutsche Wirtschaftsmodell sich bis vor Kurzem größtenteils auf das billige Pipeline-Gas aus Russland stützte. Die drastische Reduzierung der russischen Gaslieferungen und der voraussichtlich langfristige “Ausfall“ der Nord-Stream-Pipelines können sowohl für Deutschland als auch indirekt für die anderen EU-Länder verheerende Folgen haben.
Eine davon wäre der Verlust von unzähligen Produktionsstandorten und damit die Gefahr der Deindustrialisierung Europas. So ziehen vor allem deutsche Unternehmen und Konzerne die Möglichkeit in Betracht oder haben bereits die Entscheidung getroffen, ihre Produktion teilweise in andere Länder zu verlagern. Der Wunschzielort ist in den meisten Fällen Nordamerika, wo die Energiepreise deutlich niedriger sind, als in Europa. Aber auch Asien ist als Produktionsstandort durchaus lukrativ.
Medienangaben zufolge wollen deutsche Unternehmen auch aufgrund protektionistischer Maßnahmen der US-Regierung verstärkt in die Vereinigten Staaten investieren. Dank neuer US-Gesetze, zu denen der “Chips-Act“ und der “Inflation Reduction Act“ zählen, soll Washington seine Investitionen insbesondere dort planen, wo Clusterstrukturen der Automobilindustrie vorhanden sind. Deshalb können unter anderem die deutschen Automobilhersteller mit hohen Subventionen in den USA rechnen. Generell haben die US-Amerikaner ihr Werben um Unternehmen aus Deutschland in den vergangenen Monaten verstärkt. Zahlreiche US-Bundesstaaten würden neben billiger Energie auch Steuererleichterungen und andere Hilfen anbieten, berichtete das Handelsblatt.
Ukraine-Konflikt und antirussische Sanktionen
Immer mehr Beobachter machen für diese Entwicklung in erster Linie die Folgen des Ukraine-Krieges sowie die von den USA und anderen westlichen Staaten erlassenen Sanktionen gegen Russland verantwortlich. Die EU hatte im September das 8. Sanktionspaket verabschiedet und das neunte Paket soll bereits in Arbeit sein. Die Strategie besteht darin, die russische Wirtschaft durch Beschränkungen zu isolieren und in den Ruin zu treiben. Allerdings ist es gerade die EU, die zunehmend mit wirtschaftlichen Problemen konfrontiert wird. Denn ihre wirtschaftliche Entwicklung hängt in hohem Maße von Deutschland ab, da gerade die Deutschen die Hauptlast der Ausgaben innerhalb der Staatengemeinschaft tragen.
Das Magazin „POLITICO“ verweist in diesem Zusammenhang auf gewisse Spitzenbeamte der EU, die die US-Regierung beschuldigten, mit dem Ukraine-Krieg ein “Vermögen gemacht“ zu haben, während die EU-Länder leiden würden. „Tatsache ist, wenn man es nüchtern betrachtet, dass die USA das Land sind, das am meisten von diesem Krieg profitiert, weil sie mehr Gas und zu höheren Preisen verkaufen und weil sie mehr Waffen verkaufen“, sagte ein hochrangiger Beamter gegenüber POLITICO. Die wachsende Wut von Beamten, Diplomaten und Ministern in Europa richte sich außerdem gegen die Milliarden-Subventionen der Biden-Administration, die die europäische Industrie zu ruinieren drohen, heißt es.
Diesbezüglich ist erneut die Kritik des Wirtschaftsprofessors Christian Kreiß von der Hochschule Aalen heranzuführen, der sowohl die Sanktionen als auch die Notwendigkeit der Weiterführung des Ukraine-Krieges in Frage stellt. In einem bereits im September für das Portal „Deutsche Wirtschaftsnachrichten“ veröffentlichten Gastartikel vertritt er die Meinung, dass mit der Ausweitung der Kampfhandlungen in der Ukraine das wirtschaftliche Potenzial Europas geschwächt und zugleich die internen Probleme der USA, wie etwa die Krise der Überproduktion und die enormen Staatsschulden, gelöst werden könnten. Insbesondere das Ende der Zusammenarbeit zwischen Russland und Deutschland (im Energiebereich) würde die deutsche Wirtschaft hart treffen.
Inzwischen ist definitiv nicht von der Hand zu weisen, dass die Folgen der Sanktionspolitik die Europäer selbst vor enorme Herausforderungen stellen. Manche Experten gehen da noch weiter und behaupten, die USA würden in Wirklichkeit mit Absicht gegen die Interessen der EU respektive Deutschlands handeln, um einen Konkurrenten auf der globalen Bühne auszuschalten und daraus ökonomische Vorteile zu ziehen.
Wappnet sich die US-Wirtschaft für die kommenden Herausforderungen?
Davon ist auch Mikhail Khazin, ein bekannter russischer Finanzexperte, überzeugt. Er geht bereits seit Monaten davon aus, dass die USA vor schwerwiegenden wirtschaftlichen Herausforderungen stehen und sich davor wappnen wollen. Der globale Zweikampf mit China ist als eine davon zu nennen.
Khazin zufolge ist die US-Wirtschaft generell an einem Punkt angelangt, an dem sie ohne finanzielle Unterstützung von außen nicht mehr funktionieren kann. Dazu geführt haben vor allem die Finanzpolitik der US-Regierung sowie das Vorgehen der Federal Reserve Bank, der Zentralbank der USA. Diese hätten während der Coronakrise 2020 und 2021, so der Experte, enorme Geldmengen – damals auch als “helicopter money“ bezeichnet und von vielen Analysten als die “Rettung in der Not“ für die angeschlagenen Unternehmen angepriesen – der Wirtschaft zugeführt und damit allerdings auch die Inflation im Land befeuert. (Die Auslandsverschuldung der USA erreichte im Oktober einen neuen Rekordwert und beträgt inzwischen mehr als 31 Billionen Dollar.)
Daher sei es für die US-Amerikaner dringend notwendig, meint Khazin, dass zusätzliche Ressourcen in ihre Wirtschaft fließen. Und da das Kapital von irgendwoher kommen muss, sei ein zunehmender Ressourcenfluss von Europa in die USA angesichts einer schwerwiegenden wirtschaftlichen Krise auf dem alten Kontinent zu erwarten. Denn die europäischen Länder verfügen noch über genügend Ressourcen, im Gegensatz zu Entwicklungsländern oder Ländern der “Dritten Welt“, die aufgrund der Coronakrise finanzielle Schwierigkeiten erlitten und für Washington daher nicht mehr in Frage kämen.
Dass Deutschland dafür in Frage kommt, hatte Kazin bereits im Sommer betont. Denn das Land gerate wegen der rasanten Inflation und der hohen Produktionskosten in eine Krise und seine Unternehmen würden alles daran setzen, um ihre Vorteile gegenüber der Konkurrenz nicht einzubüßen. Die Folgen wären Schließungen von Betrieben und Verlagerungen von Produktionsstandorten ins Ausland, so der Experte.