Daniela Gschweng für die Onlinezeitung Infosperber

Öl- und Gasproduzenten berichten Emissionen nicht vollständig, fand eine Organisation, die Satellitendaten ausgewertet hat.

Unser Wissen darüber, wie viel Treibhausgas wo produziert wird, hängt derzeit grösstenteils davon ab, was Länder und deren Industrien freiwillig berichten. Viele geben ihre Emissionen aber zu niedrig an, fand Climate Trace, eine Organisation, die Klimagase überwacht und zuordnet.

In einer jüngst veröffentlichten Analyse kommt die Nichtregierungsorganisation zum Schluss, dass vor allem die Öl- und Gasproduzenten dreimal mehr Treibhausgas produzieren, als sie selbst angegeben.

Das Missverhältnis liegt im Design

Nach den Regeln der Vereinten Nationen sind die Länder selbst dafür verantwortlich, ihre Emissionen zu melden. Lücken können beispielsweise dadurch zustande kommen, dass Produzenten Gaslecks nicht erfassen.

Oder auch, wenn ein Produzent oder ein Land absichtlich nicht berichtet. Wenn ein Akteur Klimagase nicht angeben wolle, seien den UN die Hände gebunden, sagt der ehemalige US-Vizepräsident Al Gore, ein prominentes Mitglied von Climate Trace. «Ein Akteur, der nicht berichten will, oder ein Unternehmen, das seine stark emittierenden Anlagen über eine fragwürdige Private-Equity-Gruppe verkauft, verschwindet aus der Selbstberichterstattung», sagt er.

Karte macht das Entweichen von Klimagasen auf der ganzen Erde sichtbar

Für unsichtbares CO2 gibt es nur Länderstatistiken. Jetzt kann man den Ausstoss fast in Echtzeit an rund 80‘000 Standorten feststellen. Möglich macht es eine interaktive Weltkarte «Climate Trace». Sie gibt Auskuft über Emissionen von Stahl- und Zementfabriken, Kraftwerken, Öl- und Gasfeldern, Frachtschiffen oder Mastbetrieben.

 ZUR KARTE

Auffallende Konzentration auf wenige Industrien

Auffallend im Climate Trace-Ranking ist die Konzentration der Produzenten, die besonders viel Klimagas in die Luft blasen: Von den 500 grössten Emittern gingen 14 Prozent der globalen Emissionen aus. Weniger als ein Prozent der gelisteten Produzenten verursachten damit mehr Treibhausgase, als die USA in einem ganzen Jahr produzieren, stellt Climate Trace fest.

50 der grössten Treibhausgasquellen weltweit seien dabei Öl- und Gasanlagen. Viele geben ihre Emissionen nicht oder nicht vollständig an, zeigen die Daten.

Erfassung von Satellitendaten mit Hilfe von KI

Climate Trace verarbeitet nach eigenen Angaben Daten aus Satellitenbeobachtungen von mehr als 300 Satelliten, mehr als 11’100 luft-, land- und seegestützten Sensoren sowie «Unmengen zusätzlicher öffentlicher und kommerzieller Informationen». Die Organisation nutzt künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen, um die Daten zusammenzufügen.

«Durch künstliche Intelligenz lassen sich kleinste Unterschiede in Satellitenbildern und Datenmustern erkennen. So kann Climate Trace auch Emissionen aus einzelnen Quellen, die dem menschlichen Auge und herkömmlichen Überwachungsmethoden entgehen könnten, unabhängig analysieren und berechnen», schreibt Climate Trace auf seiner Website.

Emissionen aus Waldbränden, Lecks und Gasfackeln, die sonst womöglich nicht erfasst werden, gehen so in die Berechnung ein. Mit Hilfe von Satellitenbeobachtungen lassen sich zum Beispiel Lecks genau eingrenzen, bis hin zu einzelnen Gebäuden.

Klimaschummelei wird mit exakten Daten schwierig

Die Climate Trace-Datenbank ist öffentlich einsehbar und nach Sektoren oder Ländern aufgeteilt. Sie umfasst Emissionsdaten aller Länder, die das Klimaabkommen von Paris unterzeichnet haben, von 2015 bis 2021. Dort ist beispielsweise der Fussabdruck der Schweiz im vergangenen Jahr nach Sektoren.

Die Auswertung enthält einige interessante Erkenntnisse, zum Beispiel, dass Waldbrände in den USA und Russland zusammen mehr Klimagase freisetzen als Feuer in Brasilien. Oder dass die Emissionen, die mit dem Anbau von Reis verbunden sind, grösser sind als bisher angenommen.

Auf einer Karte sind fast 80’000 individuelle Emittenten von Treibhausgasen dargestellt. Das Tracking ist so genau, dass es einzelne Einrichtungen erfassen kann, wie die Flughäfen Zürich und Basel.

Der Datensatz sei ein wichtiges Instrument, um die Entwicklung des weltweiten Fussabdrucks zu verfolgen, sagt Al Gore. Und natürlich auch, um tatsächliche mit den angegebenen Emissionen abzugleichen. Damit können Erfassungslücken geschlossen werden. Auch Schummeln wird schwerer.

Die Lücken in der Berichterstattung der Länder sind auffallend. Keine der am Pariser Klimaabkommen beteiligen Nationen habe den UN ihre Treibhausgasemissionen für 2021 in vollem Umfang angegeben, 52 Länder hätten für die vergangenen 10 Jahre gar keine Angaben gemacht, stellt Climate Trace fest.

Zum Beispiel Saudi-Arabien

Die gemessenen Emissionen von Saudi-Arabien seien beispielsweise viel höher als die Angaben des Landes zur Öl- und Gasproduktion, führt Al Gore an. Bei genauerer Betrachtung fiele auf, dass die Lücke genau den Emissionen einer bestimmten Raffinerie entspreche. Ein Fehler? «Das kann ich nicht sagen», sagt Gore gegenüber dem «Guardian».

Der ehemalige US-Vizepräsident verweist auf ExxonMobil, bei dem aufgedeckt wurde, dass es sein Wissen über die globale Erwärmung verschleiert und die Öffentlichkeit jahrelang hinters Licht geführt hatte. Gore hält das für «das moralische Äquivalent zu Kriegsverbrechen».

Besonders problematisch: untererfasse Methanemissionen

Besonders problematisch: Vor allem Methan, das kurzfristig um ein Vielfaches klimaschädlicher ist als Kohlendioxid, wird nicht vollständig erfasst. Die atmosphärischen Werte des Gases sind in den letzten Jahren stark angestiegen, die von den Länder gemeldeten Emissionen liegen weit darunter.

Der Originalartikel kann hier besucht werden