Olaf Scholz ist coronabedingt der erste Staatsgast aus der EU, der seit 2019 in China empfangen wurde. Ungeachtet einer umfangreichen deutschen Wirtschaftsdelegation ging es für den Bundeskanzler auch darum, erfolgreiche Außenpolitik zu betreiben.
Von Alexander Männer
Die kürzliche China-Reise von Bundeskanzler Olaf Scholz war zweifellos groß angelegt und sollte angesichts der innenpolitischen Probleme in Deutschland zumindest dessen Stellung auf der Weltbühne stärken. Begleitet von einer Delegation mit mehr als 60 Mitarbeitern, Unternehmern und Journalisten hat der deutsche Regierungschef am vergangenen Freitag Gespräche mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping und dem Premierminister Li Keqiang geführt.
Im Vorfeld des eintägigen Besuchs von Scholz hat die chinesische Führung die positiven Aspekte der Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern hervorgehoben, die seit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen vor 50 Jahren geführt wird. Der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Zhao Lijian, teilte dem Handelsblatt zufolge mit, dass China und Deutschland strategische Partner und nicht Rivalen seien. „Unsere Kooperation und der Austausch in dem vergangenen halben Jahrhundert hat gezeigt, dass das gegenseitige Verständnis bei weitem die Differenzen übersteigt und die Kooperation bei weitem den Wettbewerb aufwiegt“, sagte Zhao.
Im Hinblick auf die deutschen Wirtschaftsinteressen war es deshalb wichtig, dass Scholz mehrere Top-Manager und andere Vertreter der deutschen Wirtschaft zu dem Kurztrip nach Peking mitnahm. Zu den Delegierten zählten zum Beispiel Vertreter von Siemens, BASF, BMW und Volkswagen.
Ukraine-Krieg und Beziehungen zu Russland
Neben den bilateralen Wirtschaftsbeziehungen ging es bei dem Treffen auch um den Krieg in der Ukraine und die Beziehungen zu Russland. Die Verhandlungsergebnisse in diesen Fragen werden von diversen Medien und Beobachtern als Berlins Erfolg verkauft, da der Standpunkt Chinas im Hinblick auf die russische Intervention in der Ukraine sich geändert haben könnte.
Das Portal von RTL etwa schreibt, dass die Volksrepublik „sehr deutliche Kritik“ an Russland geübt habe, und zwar „sehr viel deutlicher als sonst“. Dabei verweist man auf den scheidenden Regierungschef Li Keqiang, der erklärt hat, dass „wir uns keine weitere Eskalation leisten können“ und dass Moskau und Kiew zu Friedensgesprächen bewegt werden sollten. Zudem wird Kanzler Scholz zitiert: „Staatspräsident Xi und ich sind uns einig: Atomare Drohgebärden sind unverantwortlich und brandgefährlich. Mit dem Einsatz von Atomwaffen würde Russland eine Linie überschreiten, die die Staatengemeinschaft gemeinsam gezogen hat“.
Allerdings ist zumindest von einer direkten Kritik seitens Xi gegen die russische Führung bislang nichts bekannt. Laut übereinstimmenden Medienberichten warnte der chinesische Präsident lediglich vor dem Einsatz von Atomwaffen oder Drohungen damit, und sagte diesbezüglich auch, dass die internationale Gemeinschaft sich dafür einsetzen solle, „dass Atomwaffen nicht eingesetzt werden können und nukleare Kriege nicht gekämpft werden dürfen“.
Entgegen den zahlreichen Aufrufen von europäischen und US-amerikanischen Spitzenpolitikern zur Weiterführung des Ukraine-Krieges forderte Xi Zurückhaltung und die Schaffung von Bedingungen für eine Wiederaufnahme von Verhandlungen zwischen den beiden Konfliktparteien. Sein Land unterstütze Deutschland und Europa dabei, Friedensgespräche zu ermöglichen und eine nachhaltige Sicherheitsarchitektur in Europa aufzubauen, so das chinesische Staatsoberhaupt.
Xi übt indirekt Kritik an der EU
Ausgehend von der aktuellen Russland-Politik der westlichen Staaten sind Pekings Forderungen nach Friedensverhandlungen und einer europäischen „Sicherheitsarchitektur“ nicht unbedingt als Erfolg von Scholz’ China-Reise zu werten. Insofern ist es verständlich, dass viele Medien deutlich hart mit ihm in Gericht gingen. Das Portal der Bild-Zeitung etwa titelte: „23 Flugstunden für 2 Stunden mit dem China-Diktator“. Und in einem Artikel des Handelsblatts ist von einer „ernüchternden Reise“ die Rede, und davon, dass sich das Verhältnis zu China verändert haben soll.
Hinsichtlich der Erfolgsaussichten der deutschen Diplomatie sowie grundsätzlich der europäisch-chinesischen Beziehungen sollte man sich aber vor allem mit der offiziellen Stellungnahme der Volksrepublik auseinandersetzen, die nach den Gesprächen mit der deutschen Delegation veröffentlicht wurde. Darin heißt es unter anderem: „Präsident Xi wies darauf hin, dass die Beziehungen zwischen China und Europa die globale Stabilität und den Wohlstand in Eurasien beeinflussen und mit Anstrengungen von beiden Seiten aufrechterhalten und weiterentwickelt werden sollten. China betrachtet Europa stets als einen umfassenden strategischen Partner. Es unterstützt die strategische Autonomie der Europäischen Union und wünscht Europa Stabilität und Wohlstand. China beteuert, dass seine Beziehungen zu Europa nicht auf Dritte ausgerichtet, von ihnen abhängig oder ihnen unterworfen sind. Je komplexer und schwieriger die Situation wird, desto wichtiger ist es für China und Europa, gegenseitigen Respekt, gegenseitigen Nutzen, Dialog und Zusammenarbeit aufrechtzuerhalten.“
Was die chineische Diplomatie angeht, so sollte man sich darüber im Klaren sein, dass jeder Satz in jeder Stellungnahme (des chinesischen Staatschefs) sorgfältig gewählt ist und dass das Geschriebene darum auch sorgfältig gelesen und im dazugehörigen Kontext verstanden werden muss. Bei der angeführten Textpassage ist es wohl so, dass Xi die Wahrung der Handlungsfreiheit Europas und zugleich die Einflussnahme „Dritter“ in einem Satz hervorhebt und dadurch miteinander in Verbindung bringt. Damit könnte der Druck der Vereinigten Staaten auf die EU gemeint sein, die unlängst die Einführung von harten Sanktionen seitens der Europäer gegen die Chinesen verlangen.
Sehr subtil, in traditioneller chinesischer Art hat Peking Berlin und die anderen EU-Mitglieder damit aufgefordert, sich nicht den Interessen Washingtons unterzuordnen. Angesichts der Tatsache, dass die Bundesregierung bereits sehr viele fragwürdige Entscheidungen getroffen hat, obwohl sie enorme Probleme für die eigene Wirtschaft und Vorteile für Amerika bedeuten, erscheint die chinesisch Haltung durchaus logisch. Ob Deutschland und die EU in Bezug auf China eigenständig agieren werden, oder ob sie die gleichen Fehler wiederholen, wie zuvor bereits bei ihrer Russland-Politik, wird sich zeigen.