Derzeit stehen eine Vielzahl an Korruptionsvorwürfen gegen ehemalige Regierungsmitglieder und regierungsnahe Personen im Raum. Viele der Vorwürfe korrupter Handlungen stellen Straftaten dar, aber auch unsere Menschenrechte werden durch eine korrupte Politik gefährdet. Im folgenden Text erfährst du, wie die Korruptionspraktiken, die derzeit die Schlagzeilen füllen, unsere Menschenrechte verletzen. 

Hinweis: Für alle genannten Personen gilt die Unschuldsvermutung.

1. Verwendung von öffentlichen Geldern für private Interessen

In mehreren Fällen sollen Steuergelder über das Finanzministerium für private Interessen von ÖVP-nahen Unternehmer*innen, der ÖVP selbst oder auch des Nationalratspräsidenten verwendet worden sein.  

So sollen z.B. die Unternehmer Siegfried Wolf und René Benko – zum Teil über Bestechungen – versucht (und es auch geschafft) haben, Steuerprüfungen und Steuernachzahlungen zu umgehen. Es handelt sich dabei um große Summen an Geld, die sich die Unternehmer*innen durch Interventionen erspart haben sollen – im Fall von Ex-Magna-Manager Siegfried Wolf um rund 4 Millionen Euro.  

Auch die Meinungsumfragen über das Wahlverhalten in Österreich, die von Sabine Beinschab durchgeführt wurden und sonntags – mit zugunsten der ÖVP angepassten Umfrageergebnissen – in den „Österreich“-Medien publiziert wurde, soll über Inserate des Finanzministeriums in „Österreich“ finanziert worden sein. 

Recht auf Bildung, Recht auf Gesundheit, Recht auf soziale Sicherheit 

Wenn zugunsten privater Interessen öffentliche Gelder umgeleitet werden, fehlen diese in der Staatskasse. Indirekt kann sich dies z.B. auf das Gesundheits- oder Bildungssystem auswirken, wenn nicht mehr genügend Geld für Krankenhäuser und Schulen ausgegeben wird. Korruption wirkt sich indirekt immer stark auf soziale Menschenrechte aus, denn sie fördert Ungleichheit: Reiche Personen, die mit der Politik vernetzt sind und ihre Macht auf Entscheidungsträger*innen ausüben, profitieren und werden immer reicher, während Gelder zum Erhalt eines ausgleichenden Sozialsystems fehlen.

2. Die Vergabe von Inseraten im Gegenzug zu wohlwollender Berichterstattung 

Wie bereits erwähnt, soll das sogenannte „Beinschab-Tool“ über das Finanzministerium finanziert worden sein, so lauten die Vorwürfe. Die Themen der Meinungsumfrage seien vorab mit den involvierten Personen der ÖVP abgesprochen und vor der Veröffentlichung so angepasst worden, dass Sebastian Kurz besonders gute Ergebnisse präsentieren konnte. Die Mediengruppe „Österreich“ hätte diese Umfrage finanziert und veröffentlicht, jedoch gegen Buchungen von Inseraten des Finanzministeriums. Diese sogenannte Inseraten-Affäre führte 2021 zum Rücktritt des Altkanzlers Kurz. 

Recht auf freie Meinungsäußerung, Informations- und Pressefreiheit 

Wenn Regierungsparteien, wie im vorliegenden Vorwurf die ÖVP, Inhalte der Medien kontrollieren, indem sie diese hauptsächlich über Regierungsinserate finanzieren und dafür regierungsfreundlich berichtet wird, stellt das eine grobe Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung, das auch die Informations- und die Pressefreiheit beinhaltet, dar. Um sich frei eine Meinung bilden zu können und diese kundzutun, müssen Menschen Zugang zu Informationen der öffentlichen Hand haben, wie z.B. über Steuerausgaben, Entscheidungsprozesse aber auch Naheverhältnisse von Politik und Unternehmen. Auch die Unabhängigkeit der Medien muss gewahrt sein, damit Medien ihre Rolle als „public watchdog“ wahrnehmen können. Mit der Verbreitung falscher Informationen an die Bevölkerung und der Ausübung von Kontrolle über die Berichterstattung von Medien durch die Bindung an Inseratenfinanzierung, werden Menschen dieses Rechts beraubt.  

3. Postenschacher 

In den letzten Jahren kamen viele Vorwürfe von Postenschacher im politischen Umfeld an die Öffentlichkeit. So gibt es auch jetzt wieder Kritik an den Besetzungen öffentlicher Posten, wie z.B. des ÖBAG-Chefpostens oder auch des Vorstandspostens eines Finanzamts in Oberösterreich, die nach parteipolitischen Gründen anstatt nach Qualifikation besetzt worden sein sollen. 

Recht auf politische Partizipation, Recht auf ein faires Verfahren 

Wenn wichtige Posten des Landes aus parteipolitischen Gründen besetzt werden, schwächt dies das Recht auf politische Partizipation: Denn ohne selbst Teil der jeweiligen Partei zu sein, kann man es trotz Qualifikationen nicht auf diese Posten schaffen. Es führt zu einer Ungleichbehandlung. Besonders schwer wiegt korrupte Postenvergabe im Bereich der Justiz, wie sie u.a. in den Sidelettern der ÖVP und der Grünen vorgesehen war: Dies ist ganz klar ein rechtsstaatliches Problem und widerspricht dem Recht auf ein faires Verfahren. Das hat auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bereits entschieden. (EGMR vom 1. Dezeber 2020, Gudmundur Andri Astradsson gegen Island, Nr. 26374/18). 

4. Drohung und Entzug von Förderungen gegenüber der römisch-katholischen Kirche 

Aufgrund der Kritik, die die römisch-katholische Kirche an der türkis-grünen Asylpolitik geäußert hat, soll laut Aussagen des damaligen Generalssekretärs im Finanzministerium Thomas Schmid dieser von Ex-Kanzler Sebastian Kurz beauftragt worden sein, die Kirche mit dem Streichen von Förderungen und dem Vernichten ihrer wirtschaftlichen Existenz zu bedrohen. Die Kirche hatte zuvor die Idee der Einführung einer – menschenrechtsverletzenden – Sicherungshaft für Asylwerber*innen kritisiert. 

Recht auf freie Meinungsäußerung 

Wenn Entscheidungsträger*innen durch die angedrohte Streichung von Geldern darauf abzielen, eine kritische Stimme einzuschüchern und zum Schweigen zu bringen, ist das aus menschenrechtlicher Sicht äußerst problematisch. Beiträge zu aktuellen politischen Debatten durch gesellschaftliche Institutionen wie die Kirche, Vereine oder zivilgesellschaftliche Organisationen können für viele Menschen einen wichtigen Beitrag zur Meinungsbildung darstellen. Der Versuch, Kritik auszuschalten, wirkt sich – wie bereits das Beeinflussen von Medien – auf die Meinungsbildung der Menschen aus. Außerdem kann ein solches Vorgehen gegen kritische Stimmen einen abschreckenden Effekt auf weitere Kritiker*innen haben, besonders wenn diese ebenfalls von öffentlichen Fördergeldern abhängig sind. Ein solches Vorgehen ist ein massiver Eingriff in das Recht auf freie Meinungsäußerung. 

Was fordert Amnesty International, um unsere Menschenrechte vor Korruption zu schützen? 

Damit in Zukunft Korruption verhindert und effektiv bekämpft werden kann, fordern wir: 

TRANSPARENZ DER VERWALTUNG

  • Umsetzung eines Informationsfreiheitsgesetzes (siehe Amnesty-Stellungnahme) inkl. Abschaffung des Amtsgeheimnisses sowie eine transparente Verwaltung: Es müssen Mechanismen wie eine Rechenschaftspflicht innerhalb der Verwaltung etabliert werden, um Transparenz in der Verwaltung und über alle öffentlichen Finanzen zu fördern.
    Ziel muss eine saubere Verwaltung sein, die alle Menschen gleich behandelt. Bewerbungsverfahren müssen transparent sein und die Ausschreibungen objektive Kriterien aufweisen, die auf den Prinzipen von Effizienz, Transparenz und Eignung vergeben werden. Informationen über Ausgaben der öffentlichen Verwaltung inkl. Parteienfinanzierung müssen öffentlich zugänglich sein und einer unabhängigen Kontrolle unterliegen.  
  • Menschenrechtskonforme Implementierung der EU-Whistleblower*innen-Richtlinie:  Personen, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit erhaltene Informationen über Menschenrechtsverletzungen in einer verantwortungsvollen Weise offenlegen, dürfen nicht strafrechtlich verfolgt werden. Die EU-Whistleblower*innen-Richtlinie schützt aktuell nur die Offenlegung von EU-Rechtsverstößen. Amnesty International fordert, dass bei der Umsetzung der EU- Whistleblower*innen-Richtlinie auch die Aufdeckung von Informationen über Verstöße gegen nationales Recht geschützt wird.   

UNABHÄNGIGE MEDIENLANDSCHAFT UND SCHUTZ VON JOURNALIST*INNEN

  • Inserate sowie Medienförderung müssen nach klaren und objektiven Kriterien vergeben  werden, die öffentlich nachvollziehbar sind. Die Ausgaben für Inserate und Medienförderung müssen öffentlich einsehbar sein und eventuelle Naheverhältnisse der Regierung zu bestimmten Medien offengelegt werden.  

STÄRKUNG DER RECHTSSTAATLICHKEIT UND UNABHÄNGIGKEIT DER JUSTIZ: GLEICHHEIT VOR DEM GESETZ

  • Stärkung der Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaften: Für unabhängige Staatsanwaltschaften müssen sowohl das Weisungsrecht der*des Justizministers*in an die Staatsanwaltschaften als auch die Berichtspflicht der Staatsanwaltschaften abgeschafft werden. Berichtspflichten (insbesondere Vorhabensberichte) an Oberstaatsanwaltschaft bzw. Bundesminister*in für Justiz können zu einer 2-Klassen Justiz führen. Eine unterschiedliche Behandlung von Personen anhand ihres gesellschaftlichen bzw. ökonomischen Status widerspricht dem Diskriminierungsverbot. Aktuell müssen die ermittelnden Staatsanwält*innen grundsätzlich vor einer angedachten Maßnahme wie einer Hausdurchsuchung oder einer Festnahme sogenannte Vorhabensberichte verfassen. Das Verfassen solcher Berichte ist äußerst aufwendig und führt streng genommen wohl auch zu einer höheren Hemmschwelle in Verfahren gegen Personen des öffentlichen Interesses. Zudem beeinträchtigt das Verfassen aufwendiger Berichte generell die eigentliche Ermittlungstätigkeit zur Korruptionsbekämpfung.
  • Stärkung der Korruptionsbehörden: Die staatsanwaltschaftlichen und polizeilichen Behörden zur Korruptionsbekämpfung (WKStA/BAK) müssen mit angemessenen finanziellen und personellen Mitteln ausgestattet werden und ihre Unabhängigkeit muss gestärkt werden, um eine wirksame Untersuchung von Korruption zu ermöglichen. Für die Unabhängigkeit der Staatsanwält*innen der WKStA muss eine Unvereinbarkeitsklausel mit politischen Ämtern gesetzlich verankert werden.  

Der Originalartikel kann hier besucht werden