Eine kürzlich vom Haftpflichtverband der Deutschen Industrie (HDI) in Auftrag gegebene Umfrage kam zu erstaunlichen Ergebnissen: 63 Prozent der Bevölkerung sprechen sich für die Einführung der 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich aus und weitere 14 Prozent unterstützen dies auch dann, wenn es dabei zu Einkommenseinbußen kommt.
Bei den erwerbstätigen Menschen, die jünger als 40 Jahre sind, möchten 83 Prozent eine 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich, wobei 17 Prozent sich so eine Arbeitszeitverkürzung auch dann wünschen, wenn dies mit einer Einkommensminderung verbunden ist. Auch stellt fast jeder zweite seine Vollzeit-Arbeitsstelle in Frage, ganze 48 Prozent würden in Teilzeit wechseln, wenn der Betrieb dies ermöglichen würde und bei den Beschäftigten unter 40 Jahren liegt dieser Anteil sogar bei 51 Prozent.
Dass diese Wünsche umgesetzt und in der realen Arbeitswelt funktionieren können, zeigt das Beispiel der Verkürzung der Arbeitszeit in Island. Dort haben vier Jahre lang 2.500 Beschäftigte aus über 100 Unternehmen statt 40 im Schnitt nur 35 oder 36 Stunden in der Woche gearbeitet und das bei vollem Lohn. Mehr noch, der Versuch einer Arbeitszeitverkürzung im Öffentlichen Dienst war dort ein überwältigender Erfolg und zeigte deutlich, dass der Öffentliche Sektor ein Vorreiter bei kürzeren Arbeitswochen sein kann.
Die HDI-Untersuchung beruht auf einer repräsentativen Umfrage des Markt- und Meinungsforschungsinstituts YouGov Deutschland, bei der insgesamt 3.891 erwerbstätige Menschen ab 15 Jahren befragt wurden. Darunter befanden sich 368 Selbstständige/ Freiberufler und 3.523 Angestellte.
Wie die Befragung ergab, streben besonders junge Berufstätige in Deutschland zunehmend nach mehr Freiräumen im Beruf und wollen mitbestimmen, wo, wann und wie lange sie arbeiten. Dabei weichen ihre Vorstellungen deutlich von den tradierten Arbeitsmodellen ab.
Hier ist der Wunsch nach der Vier-Tage-Woche mit vollem Lohnausgleich die erste Wahl. Besonders ausgeprägt ist dies mit 86 Prozent in der Industrie, dort würde jeder Vierte dafür auch Einbußen beim Lohn in Kauf nehmen.
Auffällig ist, dass die Bindung der Beschäftigten zu ihrem Job und zum Unternehmen signifikant sinkt. Im Vordergrund steht besonders unter den Jüngeren der Wunsch nach einer verbesserten Work-Life-Balance. War noch im Jahr 2020 „ein Leben ohne Beruf“ für 69 Prozent der Berufstätigen unter 25 Jahren „nicht vorstellbar“, so sind es jetzt 58 Prozent. Im Umkehrschluss heißt das, vier von zehn könnten sich sehr wohl vorstellen, ohne einen Beruf zu leben. Aber auch altersunabhängig würden 56 Prozent der Befragten „so schnell wie möglich“ mit dem Arbeiten aufhören, wenn sie „es finanziell nicht mehr nötig“ hätten. Das sind über ein Drittel mehr als in einer früheren HDI-Studie von 2019.
Erfüllung im Job finden dabei offenbar immer weniger Beschäftigte. Die Aussage „mein derzeitiger Beruf bedeutet mir sehr viel“ fand 2019 noch Zuspruch von 61 Prozent. Drei Jahre später sind es im Durchschnitt noch 58 Prozent – und 55 Prozent bei Berufstätigen unter 25 Jahren.
Gesunken ist auch die Identifizierung mit den Traumberufen, nur etwa jeder dritte Beschäftigte gibt an, sich seinen Beruf immer gewünscht zu haben. Lehrer und Ausbilder definieren sich am stärksten über ihren Beruf (59 Prozent), ebenso die Mediziner und IT-Kräfte (je 44 Prozent). Das Schlusslicht bei den „Traumjobs“ bilden das Sicherheits- und Reinigungsgewerbe (20 Prozent).
Die Ergebnisse der Untersuchung sollten bei der organisierten Unternehmerschaft die Alarmglocken läuten lassen. Die zunehmende Entfremdung bei den Beschäftigten werden sie mittelfristig durch sinkenden Profit spüren. Dabei sollten sie einen Blick über den Zaun werfen und sich das Modell der Arbeitszeitverkürzung in Island anschauen. Der Versuch war so erfolgreich, dass nun generell die Arbeitszeitregelungen in Island geändert wurden. Jetzt haben 86 Prozent der dortigen Beschäftigten eine Arbeitszeitverkürzung oder die Möglichkeit dazu bekommen.
Verkürzung der Arbeitszeit in Island, mit verblüffendem Erfolg
Auf Druck der Gewerkschaften und zivilgesellschaftlicher Gruppen hatten der Stadtrat von Reykjavík und die isländische Regierung 2015 das weltweit größte Experiment zur Arbeitszeitverkürzung gestartet. Vier Jahre lang haben 2.500 Beschäftigte verkürzt bei vollem Lohn gearbeitet.
Die abschließende Studie zeigt, dass der Versuch einer Arbeitszeitverkürzung im Öffentlichen Dienst ein überwältigender Erfolg war und dass der Öffentliche Sektor ein Vorreiter bei kürzeren Arbeitswochen sein kann.
Der Versuch war so erfolgreich, dass nun generell die Arbeitszeitregelungen in Island geändert wurden, jetzt haben 86 Prozent der dortigen Beschäftigten eine Arbeitszeitverkürzung oder die Möglichkeit dazu bekommen.
Das isländische Beispiel kann dazu dienen, eine gute Vorlage für die Arbeitszeitverkürzung in anderen Ländern zu geben oder den dortigen Bemühungen kräftigen Aufwind zu verschaffen.
In die Wege geleitet wurden die Versuche zur Arbeitszeitverkürzung von der Stadt Reykjavík und der isländischen Regierung, die wissenschaftliche Begleitung übernahmen der britische Thinktank Autonomy und die isländische Gesellschaft für nachhaltige Demokratie.
An dem Experiment, das von 2015 bis 2019 in Island durchgeführt wurde, nahmen insgesamt über 2.500 Beschäftigte teil. Die Wochenarbeitszeit wurde bei den meisten von 40 Wochenstunden auf 35 oder 36 Stunden reduziert. Neben den klassischen „Nine-to-five-Jobs“ (Arbeitsplätze mit der Regelarbeitszeit von 9 bis 17.00 Uhr) wurden auch die Menschen in den Schichtdiensten in das Projekt integriert. Die Arbeitszeitverkürzung wurde nicht nur in Büros, sondern auch in Kindergärten, sozialen Einrichtungen, Krankenhäusern und Servicezentren der Stadtverwaltung durchgeführt. Die Regierung und die Stadtverwaltung mussten auch keine zusätzlichen Gelder aufbringen, da der Versuch kostenneutral war.
Von den Voraussetzungen her war der Versuch in Island gar nicht mal so optimal. Das Land galt als Paradebeispiel für lange Arbeitszeiten, mit all den bekannten Auswirkungen wie Burnout und wenig Zeit für Freizeitaktivitäten oder die Familie. In einer Statistik der OECD gehörte Island noch 2018 zu den 10 Ländern, in denen die Beschäftigten am längsten arbeiteten.
Ergebnisse des Experiments
Die isländische Non-Profit-Organisation Alda (Association for Democracy and Sustainability) hat nun gemeinsam mit dem britischen Thinkthank Autonomy das Experiment ausgewertet und die Ergebnisse vorgestellt. Selbst die Forscher sind von dem Resultat begeistert, sie meinen sogar, „die isländische Reise zur kürzeren Arbeitswoche zeigt uns, dass es nicht nur möglich ist, in der heutigen Zeit weniger zu arbeiten, sondern dass auch ein progressiver Wandel machbar ist.“
Die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn führte in Island dazu, dass
- es eine verbesserte Work-Life-Balance (ausgewogene Gleichheit von Beruf und Privatleben) gab, sich das Wohlbefinden der Beschäftigten dramatisch verbesserte und auch das gesamte Gesundheitssystem entlastet wurde.
- die Beschäftigten glücklicher, gesünder und produktiver waren und sich das Ganze wirtschaftlich rechnete.
- die Produktivität und Leistungserbringung der Teilnehmer des Versuchs bei verkürzter Arbeitszeit und gleichbleibender Bezahlung stabil blieb oder sich sogar erhöht hatte.
- die Arbeiten effizienter und konzentrierter ausgeführt wurden.
- es weniger Stress und ein geringeres Risiko für Burnout gab und psychische Störungen und lange Krankenstände sich verringerten.
- dort mehr Arbeitsplätze entstanden und auch die Arbeitszeit langfristig betrachtet reduziert wurde.
- durch optimierte Arbeitsabläufe und effizienter genutzte Arbeitszeiten neue Strategien entstanden, um in besserer Kooperation die Arbeit zu bewältigen.
- auch das Privatleben positiv von der verringerten Arbeitszeit beeinflusst wurde.
- den Studienteilnehmern mehr Zeit für private Verpflichtungen blieb, für sich selbst und ihre Familien. Sie fühlten sich glücklicher, hatten mehr Zeit für Erholung, Familie, Haushalt, Hobbys, freiwilliges Engagement oder Sport.
und
sogar die Unternehmen sich mit dem Modell anfreunden konnten. Das zeigte sich auch darin, dass Dienstverträge mit den isländischen Gewerkschaften neu ausgehandelt wurden.
Aufwind für die Arbeitszeitverkürzung in anderen Ländern
Immer mehr Länder werden offener für das Testen und Experimentieren mit kürzeren Arbeitszeiten. Spanien kündigte vor kurzem einen landesweiten Versuch, ähnlich wie in Island, mit einer 4-Tage-Woche an. Bis zu 6.000 Beschäftigte werden über einen Zeitraum von drei Jahren daran teilnehmen. In einigen Unternehmen erfolgt jetzt schon die Umstellung auf eine kürzere Arbeitswoche.
Betriebe in Neuseeland und Ost-Tirol haben ihre erfolgreichen Versuche öffentlich gemacht. Selbst im überfleißigen Japan werden Unternehmen neuerdings aufgerufen, eine Viertagewoche anzudenken. Auch Irland sympathisiert mit einer sechsmonatigen Testphase. In dieser Zeit soll die Umsetzbarkeit einer generellen 4-Tage-Woche überprüft werden.
In Österreich, dort hat es seit 47 Jahren keine Arbeitszeitverkürzung mehr gegeben, will die SPÖ auf den Zug der 4-Tage-Woche aufspringen, wenn auch nur aus Sorge, dass sich sonst die Arbeitslosigkeit und der Fachkräftemangel verschärfen.
Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich als Einstieg in eine Umorganisation der gesellschaftlichen Arbeit
Die Ergebnisse des Versuchs in Island bestätigen auch wieder, dass es sich bei der Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich um den Einstieg in eine Umorganisation der gesellschaftlichen Arbeit handelt – mit weitreichenden Folgen für die Organisation der sozialen und stofflichen Reproduktion der Gesellschaften.
Ein solches Projekt möchte sich die Ergebnisse der Produktivitätssteigerung der Arbeit, nicht durch zusätzlichen Konsum, sondern in Form von mehr frei verfügbarer Zeit aneignen. Es verbindet damit die Beseitigung von Arbeitslosigkeit und der begleitenden Armut, sowie der aus beiden folgende Desorientierung und Ohnmacht der Beschäftigten. Eine Verkürzung der Arbeitszeit sollte auch an dem Eigentumsmonopol der Unternehmerseite kratzen, das auch Voraussetzung für die Konkurrenz der Beschäftigten untereinander und für die unbegrenzte Verfügung über deren Arbeitszeit und Mehrarbeit ist.
Notwendig wäre zunächst ein neuer Standard eines Normalarbeitsverhältnisses mit 7,5-Stundentag, mit 30-Stundenwoche, bei einer 4-Tage-Woche.
Wie die Geschichte zeigt, kann man so etwas nur dann durchsetzen, wenn das Wirtschaftssystem von einer gut organisierten Arbeiterbewegung grundsätzlich in Frage gestellt wird.
Das isländische Beispiel kann eine gute Vorlage für die Arbeitszeitverkürzung in anderen Ländern geben oder den dortigen Bemühungen kräftigen Aufwind verschaffen.
Zur Studie (englisch): ICELAND_4DW.pdf (autonomy.work)