Mit der Veröffentlichung von zehn Thesen macht sich ein starkes Bündnis von insgesamt 39 Organisationen auf den Weg, die Herausforderungen unserer Zeit ganzheitlich anzugehen. Dahinter steht die Überzeugung, dass sozial, paritätisch und ökologisch engagierte Organisationen mehr erreichen können, wenn sie in ihrem gemeinsamen Anliegen Kräfte bündeln.

Auf Initiative von Vertreter*innen vom Forum Ökologie & Papier, der Gemeinwohl-Ökonomie Deutschland e.V., Greenpeace Deutschland, SoVD und der Diakonie haben sich aktuell 39 Organisation zusammengeschlossen und auf die angehängten „Zehn Thesen für einen sozialen und ökologischen Neustart“ verständigt. Im Herbst dieses Jahres sollen im Rahmen einer großen Gründungsveranstaltung weitere Unterstützer*innen aufgenommen und konkrete Ziele abgesteckt werden.

 

Zehn Thesen für einen sozialen und ökologischen Neustart

1. Ökologie und Soziales gehören zusammen
Ökologische und soziale Fragen lassen sich nicht trennen, sie sind Überlebens- und Gerechtigkeitsfragen. Die Überwindung der Umwelt- und Klimakrise verlangt immense politische, gesellschaftliche, soziale und wirtschaftliche Anstrengungen auf der ganzen Welt. Das Pariser Klimaabkommen muss umgesetzt und der globale Temperaturanstieg auf maximal 1,5 Grad begrenzt, die Naturzerstörung muss beendet und Artenvielfalt erhalten werden. Politik, Wirtschaft, Produktion und Konsum müssen eine zukunftsfähige Umgestaltung erfahren und die planetaren Belastungsgrenzen anerkannt sein. Der Ressourcenverbrauch reicher Länder und Personen ist weit überzogen. Auf der anderen Seite sind Armut und fehlender Zugang zu Ressourcen bittere Realität. Klimakrise, Naturzerstörung und soziale Ungerechtigkeit sind eng verbunden. Der Ressourcenverbrauch muss zugleich begrenzt und sozial gerecht gestaltet werden.

2. Klimawandel, Naturzerstörung und Verlust der Biodiversität sind Existenzkrisen für die Menschheit
Der Klimawandel sowie der rasante und irreversible Verlust an natürlichen Lebensräumen und Arten gefährden das Überleben der Menschen. Technologien allein können diese Krisen nicht lösen. Ein achtsamer Umgang mit der Natur ist notwendig und reduziert diese nicht auf die Rolle eines Ressourcenlagers. Sie hat einen eigenen Wert. Der umfassende Erhalt und Schutz von vielfältigen Landschaften, Wäldern, Böden, Grundwasser, Gebirgen, Feuchtgebieten, Flüssen, Meeren und ihrer nicht-menschlichen Bewohner sind Voraussetzung für wirksamen Klimaschutz und den Schutz der Lebensgrundlagen. Dies ist zugleich Grundvoraussetzung für nachhaltiges Wirtschaften und das Einhalten der planetaren Grenzen. Die 17 Ziele der Vereinten Nationen für eine nachhaltige Entwicklung (SDGs) sind dabei ein wichtiger Kompass.

3. Wirtschaft ökologisch gestalten
Der ordnungspolitische Rahmen muss Anreize für soziale und ökologische Innovationen und Finanzmärkte setzen, Fehlanreize abschaffen und die Überwindung klima- wie umweltschädlicher Produkte oder Verhaltensweisen gewährleisten. Ein Umsteuern auf allen Ebenen initiiert und unterstützt wirksam die nötige Veränderung der Produktion, Dienstleistungen und Waren in der Wirtschaft sowie der Konsumgewohnheiten der öffentlichen Hand und der Privathaushalte. Investitionsströme sind von grauer Infrastruktur (u. a. Straßen, Schienen, Energieversorgung, Abfallentsorgung) in grüne Infrastruktur (vernetzte Ökosysteme und ihre Leistungen) umzulenken und klima- und umweltschädliche Subventionen abzubauen.

4. Energiewende: sozial gerecht und naturverträglich
Die drastische Reduzierung des Energieverbrauchs, der schnellstmögliche Ausstieg aus den fossilen Energieträgern Kohle, Öl und Gas sowie der massive naturverträgliche Ausbau der erneuerbaren Energien sind das Herzstück der Energiewende. Die CO2-Bepreisung muss mit einer sozialen Umverteilung verbunden sein, wie mit dem Klimageld diskutiert. Zukunftsfähiges Konsumieren und Wohnen muss für alle Menschen möglich sein. So sind Förderprogramme nötig, beispielsweise für energiesparende Geräte, ökologisch wirksame Reparaturen sowie eine bessere Energie- und Wärmeeffizienz von Wohnraum, die besonders Haushalten und Personen mit geringem Einkommen zugutekommen. Hilfen für Familien und Sozialleistungen müssen bedarfsdeckend sein und die Kosten des Klimaschutzes berücksichtigen.

5. Teilhabe für alle an umweltschonender Mobilität
Die Verkehrswende bietet die Chance, soziale und ökologische Ziele zu verbinden. Mobilität muss allen zugänglich und zugleich klima- und umweltschonend gestaltet sein. Staus, hohe CO2-Emissionen und Flächenversiegelung sollen der Vergangenheit angehören. In Städten, aber auch auf dem Land braucht es weniger Autos, mehr ÖPNV und mehr Sharing-Angebote: zugänglich, barrierefrei und ohne finanzielle Hürden. Dazu kommt ein umfangreiches und sicheres Netz von Rad- und Fußwegen.

6. Ernährungs- und Landwirtschaftswende
Die Art, wie Lebensmittel überwiegend erzeugt, gehandelt und konsumiert werden, ist nicht zukunftsfähig. Der Wandel hin zu einer ökologischen, umweltfreundlichen und klimaschonenden Landwirtschaft mit artgerechter Tierhaltung und vielfältigen bäuerlichen Strukturen ist notwendig. Sie muss für die Produzent:innen auskömmlich sein. Fischereien und Fischzuchten sind umweltverträglich zu gestalten. Lebensmittel, deren Erzeugung mit Naturschädigung wie Wasserverschwendung und Entwaldung sowie mit Menschenrechtsverletzungen verbunden ist, gehören aus Handel und Konsum verdrängt. Hochwertige, nachhaltig, wassersparend und regional erzeugte gesunde Lebensmittel müssen ihren angemessenen Preis haben und zugleich allen Menschen zugänglich sein. Ziel der staatlichen Steuerung und von Subventionen ist naturverträgliche Ernährungssicherheit und -souveränität.

7. Soziale Gerechtigkeit erfordert Umverteilung
Eine sozial-ökologische Transformation erfordert eine faire Aufteilung der Lasten. Umweltschäden werden insbesondere durch Personen mit hohem Einkommen und Ressourcenverbrauch verursacht. Dem muss steuer- und ordnungspolitisch entgegengewirkt werden. Menschen mit sozialen Benachteiligungen und in strukturschwachen Regionen benötigen bedarfsgerechte Unterstützungsleistungen bei den anstehenden Veränderungen. Das Existenzminimum für Kinder, Jugendliche und Erwachsene muss so gestaltet sein, dass es ökologisch nachhaltige Teilhabe ermöglicht.

8. Nachhaltige Arbeitsformen
Die Interessen von Beschäftigten an guten Arbeitsbedingungen, ausreichendem Einkommen, beruflichen Perspektiven und Sicherheit im Wandel müssen berücksichtigt werden. Erwerbsarbeit soll durch private wie öffentliche Investitionen in ökologisch nachhaltige Produkte, Prozesse und Dienstleistungen langfristig und mit aktiver Beteiligung der Beschäftigten gesichert werden. Erwerbsarbeitsformen müssen vielfältig weiterentwickelt und die Arbeitszeit neu verteilt werden. Arbeitsformen wie Familienarbeit, Care- und Sorgearbeit oder zivilgesellschaftliches Engagement sowie gemeinwohlorientierte Arbeit müssen gesellschaftlich anerkannt und wertgeschätzt sein. Die Arbeitsförderung der Bundesagentur für Arbeit soll Nachhaltigkeitskriterien einbeziehen.

9. Globale Verantwortung
Viele soziale, ökologische und ökonomische Probleme in anderen Teilen der Welt werden durch die Wirtschaftsweise, Produktionsformen und Konsumgewohnheiten in Ländern mit hoher Wirtschaftskraft verursacht oder verstärkt. Es ist eine Frage der globalen Gerechtigkeit, dass alle Menschen ein gesundes und selbstbestimmtes Leben führen können, ihre Lebensgrundlagen erhalten bleiben und ihre Menschenrechte sowie die Rechte und Territorien indigener Bevölkerung geachtet werden. Dazu gehören eine faire Handelspolitik sowie die Erweiterung und Einhaltung internationaler Umwelt- und Sozialverträge.

10. In Krisenzeiten Veränderungen umsetzen
Die Bewältigung der großen ökologischen Krisen unserer Zeit – Klimawandel, Verlust von Arten und Lebensräumen und die Verschmutzung der Umwelt – muss dafür genutzt werden, eine neue, nachhaltige und sozial gerechte Wirtschaft und Gesellschaft zu schaffen. Die Folgen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine zeigen einmal mehr, wie problematisch die Abhängigkeit von fossilen Energien ist. Der Schutz des Klimas, der Biodiversität, aber auch von Frieden, Demokratie und sozialem Zusammenhalt erfordert die schnellstmögliche Abkehr von Kohle, Öl und Gas sowie der naturschädigenden Gewinnung und Nutzung anderer Rohstoffe.

 

Zu den Unterzeichner*innen gehören bisher:

1. Diakonie Deutschland
2. Zukunftsforum Familie e.V.
3. Institut für Kirche und Gesellschaft
4. Forum Ökologie & Papier
5. BUND Naturschutz in Bayern e.V.
6. Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen
7. AWO Bundesverband e.V.
8. Internationaler Bund
9. 350.org
10. Slow Food Deutschland e.V.
11. Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e.V. (BUND)
– Friends of the Earth Germany
12. Brot für die Welt
13. Diakonisches Werk Rheinland-Westfalen-Lippe
14. Evangelische Akademie im Rheinland
15. Dachverband der Migrant*innenorganisationen in Ostdeutschland – DaMOst e.V.
16. Deutscher Caritasverband
17. AGU – Arbeitsgemeinschaft der Umweltbeauftragten in den Gliedkirchen der EKD
18. Heinz-Sielmann-Stiftung
19. Klima-Allianz Deutschland
20. Deutscher Naturschutz-Ring
21. Evangelische Kirche im Rheinland
22. Evangelische Kirche von Westfalen
23. Konzeptwerk Neue Ökonomie
24. SoVD Sozialverband Deutschland
25. WWF
26. NABU
27. BAG Soziale Stadtentwicklung und Gemeinwesenarbeit
28. Armutsnetzwerk e.V.
29. Arbeiter-Samariter-Bund Deutschland e. V. (ASB)
30. Gemeinwohl-Ökonomie Deutschland e.V.
31. Diakonisches Werk Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz e.V.
32. Lippische Landeskirche
33. Nationale Armutskonferenz
34. Greenpeace
35. Werkstatt Ökonomie
36. Forum Umwelt und Entwicklung
37. Netzwerk Grundeinkommen
38. German Zero e.V.
39. Diakonie Hessen

 

Über die Gemeinwohl-Ökonomie

Die weltweit agierende Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung nahm 2010 in Wien ihren Ausgang und basiert auf den Ideen des österreichischen Publizisten Christian Felber. Die GWÖ versteht sich als Wegbereiterin für eine gesellschaftliche Veränderung in Richtung eines verantwortungsbewussten, kooperativen Miteinanders im Rahmen eines ethischen Wirtschaftens. Erfolg wird nicht primär an finanziellen Kennzahlen gemessen, sondern mit dem Gemeinwohl-Produkt für eine Volkswirtschaft, mit der Gemeinwohl-Bilanz für Unternehmen und mit der Gemeinwohl-Prüfung für Investitionen.

Aktuell umfasst die GWÖ weltweit rund 11.000 Unterstützer*innen, 5.000 Aktive in 200 Regionalgruppen, etwa 800 bilanzierte Unternehmen und andere Organisationen, über 60 Gemeinden und Städte sowie 200 Hochschulen weltweit, die die Vision der Gemeinwohl-Ökonomie verbreiten, umsetzen und weiterentwickeln.

An der Universität Valencia wurde 2017 ein GWÖ-Lehrstuhl eingerichtet, in Österreich brachte die Genossenschaft für Gemeinwohl 2019 ein Gemeinwohlkonto auf den Markt, und im Herbst 2020 wurden im Kreis Höxter (DE) die drei ersten Städte gemeinwohlbilanziert. Seit Ende 2018 gibt es den Internationalen GWÖ-Verband mit Sitz in Hamburg. Der EU Wirtschafts- und Sozialausschuss nahm 2015 eine eigeninitiierte Stellungnahme zur GWÖ mit 86 Prozent Stimmenmehrheit an und empfahl ihre Umsetzung in der EU.  ecogood.org/de

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