Die Sklaverei ist eine Realität, die ernst genommen werden muss, weil es sich in zahlreichen Fällen auch um eine versteckte Unterdrückung handelt. In diesem Zusammenhang denke ich hauptsächlich an die Haussklaven in der mauretanischen Gesellschaft. In ihrem Interview zeigt uns Sarah Mathewson wichtige Strategien auf, um die Sklaverei in Mauretanien effektiv zu bekämpfen. Für ProMosaik e.V. stellt auch die Religion einen wichtigen Aspekt dar, denn die Religion wird von den Sklavenhaltern manipuliert, um ihre Macht über die Sklaven in Mauretanien beizubehalten, während der Islam hingegen eine Religion der Gleichheit aller Menschen vor Allah ist und von Anfang an die Sklaverei durch eine Reform abschaffen wollte.
ProMosaik e.V.: Wie würden Sie unseren Leserinnen und Lesern die moderne Sklaverei erklären?
Sarah Mathewson: Die Organisation Anti-Slavery International wurde 1839 gegründet, um sich dem transatlantischen Sklavenhandel zu widersetzen. Sie ist die älteste internationale Menschenrechtsorganisation der Welt. Seit 1839 arbeitet Anti-Slavery auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene, um die zahlreichen Formen der modernen Sklaverei zu bekämpfen, die bis heute noch andauern. Denn die Sklaverei besteht bis heute in vielen Erscheinungsformen in allen Ländern der Welt. Von den Zwangsprostituierten, den landwirtschaftlichen Zwangsarbeitern (Kindern und Erwachsenen), den Haussklaven, den Industriesklaven und den Ausbeuterbetrieben, die Güter für die globalen Lieferantenketten herstellen, bis hin zu ganzen Familien von kostengünstigen oder kostenlosen Zwangsarbeitern, die die Schulden von Generationen abzahlen; oder zu den Mädchen, die mit alten Männern zwangsverheiratet werden; diese illegale Praxis verschandelt noch heute unsere Welt.
Laut Angaben der Internationalen Arbeitsorganisation leben ungefähr 21 Millionen Männer, Frauen und Kinder weltweit in einer Form der Sklaverei.
Es gibt verschiedene Eigenschaften, welche die Sklaverei von anderen Menschenrechtsverletzungen unterscheiden. Aber es reicht nur eine dieser Eigenschaften, um von Sklaverei sprechen zu können. Eine Person ist versklavt, wenn Eigentumsrechte auf sie ausgeübt werden. Es kann sich bei Sklaverei daher um Folgendes handeln:
- Zwangsarbeit, durch psychische oder körperliche Drohung;
- Besitz oder Kontrolle durch einen Arbeitgeber, normalerweise durch psychischen oder körperlichen Missbrauch oder durch Androhung eines Missbrauchs;
- Entmenschlichung, Behandlung einer Person wie eine Sache oder Kauf und Verkauf von Menschen als „Eigentum“;
- Körperlicher Zwang oder Einschränkung der Bewegungsfreiheit.
In seinen Büchern gegen die Sklaverei in den muslimischen Ländern verfolgt ProMosaik e.V. das Ziel, die Mentalität der Sklaverei zu bekämpfen. Welche Strategien setzt Ihre Organisation um, um die Sklaverei in Mauretanien zu bekämpfen?
Um die Sklaverei in Mauretanien zu beenden und vorzubeugen, muss Folgendes passieren:
- Die Entwicklung und Umsetzung eines fundierten, gesetzlichen Rahmens, um den Sklavenhaltern eine klare Botschaft zu senden, und zwar dass ihre Praxis absolut unakzeptabel ist und die Täter zur Rechenschaft gezogen werden;
- Notfallfunds und Unterstützung (Zuflucht, Schutz, Ausbildungsprogramme, usw.) für die geflohenen Sklavinnen und Sklaven;
- Die Entwicklung und Umsetzung von politischen Richtlinien und Programmen, welche die Rechte der von der Sklaverei gefährdeten Gruppen unterstützen (z.B. durch die Erleichterung des Zugangs zur Bildung, zum Landbesitz, zu den Ressourcen, zur Arbeit und zum Gesundheitswesen). Dies überwindet die Diskriminierung dieser Gruppen; man muss ihnen Alternativen zur Sklaverei, Ausbeutung und Armut bieten und Menschen die Chance geben, sich zu gleichwertigen Bürgern zu emanzipieren.
- Die Erziehung und Stärkung der Menschen, die von der Sklaverei gefährdet sind (z.B. durch die Organisation dieser Menschen, um ihre Rechte einzufordern). Ein besonderer Fokus muss in diesem Zusammenhang die Frauenrechte betreffen, um den vielen Zusatzfaktoren vorzubeugen, durch die Frauen versklavt werden.
Diese Ziele sollen wie folgt erreicht werden:
- Gewährleistung der Verantwortung der Regierung gegenüber den versklavten Menschen, durch Massenbewegungen, nationale und internationale Prüfung und durch Druck seitens der Verfechter auf allen Ebenen;
- Bereitstellung gesetzlicher und sozio-ökonomischer Unterstützung der Opfer und Unterstützung verschärfter und konkret umgesetzter Gesetzen gegen die Sklaverei;
- Entwicklung politischer Richtlinien und Modellprogramminterventionen (z.B. Schulen, Ausbildungszentren und Mikrokredit-Projekte), welche die Regierung und die großen Institutionen vervielfältigen können;
- Kompetenzaufbau in den Bewegungen gegen die Sklaverei, durch Funds für die Organisationskosten (damit diese gut ausgestattet sind und über wertvolle Ressourcen verfügen, um ihre Tätigkeit effizient auszuüben), sowie Ausbildung und Weiterbildung für die Mitglieder dieser Organisationen.
Der Journalist und Menschenrechtler Louis Hunkanrin schrieb 1930, dass es keine Religion gibt, welche die Sklaverei rechtfertigt. Wie können wir den Menschen erklären, dass zahlreiche Eliten die Religion manipulieren, um die Sklaverei zu rechtfertigen?
Es stimmt, dass sich viele Apologeten der Sklaverei auf die Religion berufen, um die Sklaverei zu rechtfertigen. Die Religion ist sicher ein wesentlicher Bestandteil der Art und Weise, auf die die Sklavenhalter ihren Einfluss auf die Sklaven ausüben; den Sklaven wird gesagt, dass sie nicht ins Paradies kommen, wenn sie nicht ihren Herren gehorchen. Sich auf die Religion und die Androhung der Hölle zu beziehen gelten offensichtlich als ein machtvolles Mittel, um Menschen in Angst zu versetzen, damit sie ihr Schicksal als Sklaven akzeptieren.
Da es so viele verschiedene Interpretationen der religiösen Quellen gibt, tendieren wir dazu, uns nicht in theologische Debatten über die Sklaverei verwickeln zu lassen. Wir bevorzugen es, uns auf die internationalen Menschenrechtsstandards und die nationalen Gesetze zu beziehen, welche die Sklaverei kategorisch verbieten und bestrafen.
Unsere muslimischen Partnerorganisationen lehren, dass der Islam die Sklaverei nicht begrüßt und der Islam eine starke Botschaft im Sinne der Emanzipation und der Gleichberechtigung verkündet. Sie beziehen sich sehr stark auf die muslimischen Gelehrten, um den Kampf gegen die Sklaverei zu unterstützen.
Welche Hauptprobleme gibt es in Mauretanien? Warum ist die Sklaverei heute noch so stark in der Gesellschaft verankert?
Wie in vielen Gesellschaften gibt es auch in der mauretanischen ethnische und soziale Kasten. Es gibt eine tief verankerte Tradition des Rassismus unter den weißen Mauren gegen die schwarzen Mauretanier, sowie eine Tradition von Sklavenhaltern in verschiedenen ethnischen Gruppierungen des Landes. Das Erbe der Sklaverei und die rassistischen politischen Richtlinien der Regierung haben dazu geführt, dass sich die Macht in der Hand einer Elite-Minderheit befindet, während die Mehrheit der Bevölkerung politisch unzureichend vertreten und wirtschaftlich marginalisiert ist. Die Mächtigen wollen ihre Privilegien nicht gefährdet oder angegriffen sehen. Sie tun alles, was in ihrer Macht steht, um die derzeitige Hierarchie aufrechtzuerhalten. Dies bedeutet die Aufrechterhaltung einer „Sklavenkaste“ innerhalb der Bevölkerung, die kostengünstige oder kostenlose Arbeitskraft und politische Unterstützung bereitstellt. Aufgrund der engen Beziehungen der Regierungseliten (inklusive der Sicherheitskräfte und der richterlichen Gewalt) zu den Sklavenhaltern ist es somit nicht überraschend, dass es am politischen Willen fehlt, das Gesetz zu verschärfen und politische Richtlinien einzuführen, die eine Gleichberechtigung vorantreiben.
Saidou Kane sprach von der Wichtigkeit, die Sklaverei durch engagierte Menschen in der Gesellschaft zu bekämpfen. Wie ist dies heute in Mauretanien möglich?
Es ist wesentlich, zu gewährleisten, dass die mauretanische Regierung und die Eliten der Sklavenhalter zur Rechenschaft gezogen werden. Eine Strategie, um dies zu erreichen, besteht darin, die Mehrheit der Gesellschaft über die Gleichheit, ihre Rechte und die Illegalität der Sklaverei aufzuklären. Dadurch erzeugt man eine starke, politische Opposition, die sich für die Veränderung einsetzt. Die reichen Eliten der Sklavenhalter haben zwar ihre Macht, aber es gibt auch eine Macht der Massen. Eine aufgeklärte und engagierte Bevölkerung ist von wesentlicher Bedeutung für die Umwälzung der dominanten Ideologien und der vorherrschenden Politik, welche die Sklaverei zulassen. Dies würde auch eine größere politische Vertretung für die einzelnen Menschen bedeuten, die sich gegen die Sklaverei auflehnen. Daraus würde auch ein Klima der wachsenden Unterstützung und gleichzeitig stärkerer sozialer und gesetzlicher Strafmaßnahmen gegen die Sklavenhalter hervorgehen.
Die Organisation Anti-Slavery International arbeitet mit ihrer Partnerorganisation SOS-Esclaves zusammen, um sie dabei zu unterstützen, das Bewusstsein und die Teilnahme der Menschen an der Bewegung gegen die Sklaverei zu stärken. Wir arbeiten vor Ort und auf nationaler und internationaler Ebene, leiten örtliche Beratungsstellen und Treffen, äußern uns in Fernsehdiskussionen und Radioprogrammen und fördern politische Empfehlungen im Rahmen der internationalen Gemeinschaft und über die Menschenrechtsmechanismen der Vereinten Nationen.
Frauen und Kinder sind die schwächsten Opfer der Sklaverei. Wie können wir ihnen heute in Mauretanien helfen?
Dies entspricht mit Sicherheit der Wahrheit. Denn die Männer besitzen in allen Ländern dieser Welt die meiste politische und wirtschaftliche Macht; Amnesty International geht von einer Schätzung aus, nach der nur 1% des weltweiten Reichtums den Frauen gehört und dass 70% der Armen dieser Welt Frauen sind. In vielen gesetzlichen und kulturellen Institutionen herrscht eine implizite oder explizite Diskriminierung zu Gunsten der Männer vor, welche die Macht der Frauen einschränkt. Eine strenge Kontrolle der Geschlechterrollen kann auch zu einer Verstärkung der Dynamiken der Sklaverei führen. Denn Unterwerfung und Fügsamkeit werden mit der Weiblichkeit in Verbindung gebracht, während Autorität und Aggressivität von Natur aus eher als männlich gelten. Hausarbeit und Kinderpflege wurden lange Zeit als die natürliche Funktion der Frauen (mehr als als Arbeit an sich) angesehen. Diese Ungleichheiten erzeugen eine Kultur, die zur Ausübung von Eigentumsrechten über Frauen führt.
Obwohl sei es Frauen als auch Männer (üblicherweise für Hirten-, landwirtschaftliche und Hausarbeit) versklavt werden, sind ihre Erfahrung sehr unterschiedlich. Mädchen und Frauen werden von den Herren sexuell missbraucht und vergewaltigt. Und die Kinder, die sie zur Welt bringen, gelten auch als Sklaven; somit stellen die Frauen eine wichtige Ressource zwecks Erzeugung neuer Sklaven dar. Demzufolge werden den Frauen normalerweise Pflichten im Haushalt auferlegt. Dadurch werden ihre Bewegungsfreiheit und ihre sozialen Interaktionen begrenzt, um ihre Flucht oder andere Gefahren zu vermeiden, welche die sexuelle und reproduktive Kontrolle von Seiten der Herren einschränken könnten. Die Tatsache, dass die Frauen möglicherweise Kinder haben, gestaltet ihre konkrete Flucht unmöglich oder sehr schwierig. Die Frauen, denen die Flucht gelingt, laufen eine größere Gefahr der Entbehrung; eine weit verbreitete Ungleichheit und Diskriminierung führen dazu, dass alleinstehende Frauen über sehr begrenzte wirtschaftliche Möglichkeiten und sehr wenig gesellschaftliche Unterstützung verfügen. Des Weiteren müssen sie sich auch um die Kinder kümmern.
Mit unserer Arbeit engagieren wir uns die ehemaligen Sklavinnen, um ihnen zu ihren Rechten für die von ihnen erlittenen Straftaten zu verhelfen, um die Strafverfolgung der Herren (durch die Sendung einer abschreckenden Botschaft an die Sklavenhalter) zu gewährleisten und die weibliche Emanzipation zu fördern (um der Gefahr entgegenzuwirken, dass die ehemaligen Sklavinnen wieder in eine Situation der Sklaverei oder Ausbeutung gelangen).
Wir arbeiten mit dem Team und den Mitgliedern von SOS-Esclaves in zwei Regionen mit hohem Sklavenanteil zusammen und fokussieren im Besonderen auf die Mobilisierung weiblicher Mitglieder, um ihre Beratungs-, Identifikations- und seelsorgerische Unterstützung zu fördern und die Situation der ehemaligen Sklavinnen und Kindersklaven zu überwachen. Dies unterstützt unsere Bemühung, mehr versklavten Frauen und Kindern zu helfen und für sie jenseits der gesetzlichen Arbeit ein offenes Ohr für ihre Erfahrung und ihrer Bedürfnisse zu haben, die mit der Sklaverei und der Gewalt der Männer gegen die Frauen zusammenhängt.
Wir hoffen, den Druck auf die Regierung zu erhöhen, damit sie sich gezielt um die Abschaffung der Sklaverei bemüht. Wir hoffen, dass uns dies sei es direkt (indem wir mit einer Gruppe von Regierungsakteuren und wichtigen Institutionen kooperieren) als auch durch einflussreiche, internationale Akteure gelingen wird. Die Regierung macht sich Sorgen um den internationalen Ruf Mauretaniens. Dasselbe gilt auch für die Interessengruppen, die mit der Regierung zusammenarbeiten. Wir möchten die Misere der versklavten Frauen international bekannt machen, um die mauretanische Regierung zu zwingen, verschiedene hilfreiche soziale und gesetzliche Reformen einzuleiten, welche die Beendigung der Sklaverei und die Überwindung der Ungleichheit zwischen Männern und Frauen unterstützen können.