Erdgasimporte aus Russland und den USA werden reduziert – wegen sanktionsbedingter Reparaturprobleme und einer Explosion in einem US-Terminal. Speicherfüllung gerät in Gefahr.

Sanktionsbedingte Reparaturprobleme bei der Gaspipeline Nord Stream 1 führen zu erheblichen Lieferausfällen und treiben den Gaspreis weiter in die Höhe. Zudem muss die Bundesregierung Milliardensummen bereitstellen, um einen sanktionsbedingten Kollaps in der deutschen Gasbranche zu verhindern. Russland hingegen steigert seine Einnahmen aus dem Export fossiler Energieträger erneut. Dies ist das jüngste Zwischenergebnis der westlichen Sanktions- und Embargopolitik gegenüber Moskau. Nord Stream 1 muss den Betrieb reduzieren, da ein Pipelinebauteil nach seiner in Montreal durchgeführten Reparatur wegen der Sanktionen nicht mehr nach Russland exportiert werden darf. Zusätzlich in Frage gestellt wird die Erdgasversorgung Europas durch eine Explosion im US-Flüssiggasexportterminal Freeport LNG, das gut zehn Prozent des europäischen Flüssiggasimports deckte. Das Terminal stellt für mindestens drei Monate seinen Betrieb ein. Weil Gazprom Germania wegen russischer Gegensanktionen kein günstiges russisches Gas mehr erhält, muss Berlin ein KfW-Darlehen in Höhe von bis zu zehn Milliarden Euro bereitstellen. Die Kosten der Sanktionen für den Westen steigen.

Leitungen stillgelegt

Die Verfügbarkeit russischen Erdgases ist in Europa in den vergangenen Wochen spürbar reduziert worden. Dabei stehen den Bemühungen europäischer Staaten und Unternehmen, aus eigenem Antrieb neue Lieferanten zu gewinnen, unfreiwillige Importeinbußen gegenüber. So hat Gazprom die Ausfuhr nach Polen, Bulgarien, Finnland, Dänemark und in die Niederlande sowie die Belieferung von Shell Energy Europe eingestellt, weil diese jeweils nicht bereit waren, den von Moskau geforderten neuen Zahlungsmodalitäten zu entsprechen. Außerdem hat Russland Gegensanktionen gegen diverse Unternehmen in der EU verhängt, die nun nicht mehr mit russischem Erdgas versorgt werden dürfen; dazu zählen Gazprom Germania – Berlin hatte das Unternehmen unter Zwangsverwaltung gestellt – und die Gaspipeline Jamal-Europa, die russisches Erdgas über Belarus nach Polen leitet. Jamal-Europa ist betroffen, da Polen Gazprom mit Zwangsmaßnahmen belegt und damit dessen Rechte als Mitbetreiber von Jamal-Europa außer Kraft gesetzt hat.[1] Die Ukraine wiederum hat im Mai eine Teilleitung stillgelegt und damit den gesamten Erdgastransit über ihr Territorium um rund ein Drittel verringert.[2] Bislang ist es dank Einsparungen und neuen Lieferanten gelungen, Versorgungsengpässe in Europa zu vermeiden.

Lieferungen verzögert

Nun kommen allerdings weitere Lieferausfälle hinzu. Bereits am Montag wurde bekannt, dass die Pipeline Nord Stream 1 wegen Wartungsarbeiten vom 11. bis zum 21. Juli stillgelegt werden muss. Derlei Wartungsarbeiten werden regelmäßig durchgeführt; sie sorgten schon in den vergangenen Jahren dafür, dass jeweils mehrere Tage lang kein Erdgas floss.[3] Damit fällt im Juli ein Drittel der monatlichen Liefermenge aus. Am gestrigen Dienstag teilte Gazprom zudem mit, dass die Erdgasmenge, die täglich durch Nord Stream 1 geleitet wird, zumindest vorläufig von zuletzt gut 167 Millionen Kubikmetern auf rund 100 Millionen Kubikmeter reduziert werden muss. Ursache sind Verzögerungen bei Reparaturarbeiten.[4] Demnach hat Siemens ein Gasverdichteraggregat nicht pünktlich instandgesetzt. Zudem wird von Pannen bei Motoren in einer Kompressorenstation bei Sankt Petersburg berichtet, die dazu führen, dass der Betrieb ein Stück weit zurückgefahren werden muss. Siemens Energy teilt mit, die Reparaturverzögerungen beruhten darauf, dass das fragliche Aggregat nach der inzwischen erledigten Instandsetzung in einem Werk in Montreal aufgrund der kanadischen Sanktionen nicht mehr ausgeliefert werden dürfe.[5] Der Erdgaspreis in Europa schnellte gestern zeitweise um mehr als 15 Prozent in die Höhe.

Terminal außer Betrieb

Zwar erklärt die Bundesregierung, die laufende Erdgasversorgung der Bundesrepublik sei durch die neuen Ausfälle nicht gefährdet. Diese beeinträchtigen allerdings die Befüllung der deutschen Erdgasspeicher, die Berlin zur Zeit mit Hochdruck vorantreibt, um die Versorgung für den kommenden Winter sicherzustellen. Bis gestern war es immerhin gelungen, den durchschnittlichen Füllstand der deutschen Erdgasspeicher auf 55,19 Prozent zu erhöhen; am 1. Oktober soll ein Niveau von 80 Prozent, am 1. November eines von 90 Prozent erreicht sein. Der größte deutsche Ergasspeicher im niedersächsischen Rehden, der alleine knapp 20 Prozent des deutschen Speichervolumens ausmacht, lag allerdings nur bei mageren 7,95 Prozent. Branchenkenner wurden gestern mit der Einschätzung zitiert, es könne gelingen, die Speicher bis zum Herbst wie gewünscht zu füllen – allerdings nur dann, wenn die Einfuhr von Gas auf dem gewohnten Niveau verharre.[6] Dies freilich steht nicht nur wegen der Unwägbarkeiten beim Import aus Russland in Frage. In der vergangenen Woche kam es im Flüssiggasexportterminal Freeport LNG bei Houston (Texas) zu einer Explosion, die, wie gestern bekannt wurde, zur Stilllegung des Betriebs für mindestens drei Monate und zu größeren Einschränkungen bis Jahresende führen wird. Freeport LNG leistete 17 Prozent des US-Flüssiggasexports und bediente zehn Prozent des europäischen Imports.[7]

Milliardenkredit gegen Insolvenz

Jenseits der Lieferprobleme führt der Umstieg vom günstigen russischen Pipeline- auf das erheblich teurere, zu einem größeren Teil aus den USA importierte Flüssiggas inzwischen zu strukturellen Schwierigkeiten. Im Mittelpunkt steht dabei Gazprom Germania, die deutsche Tochterfirma des russischen Gazprom-Konzerns, die im April durch die Bundesregierung unter Zwangsverwaltung gestellt und deswegen im Mai von Russland mit Gegensanktionen belegt wurde; seither erhält sie kein russisches Erdgas mehr.[8] Durch die Umstellung auf teurere Importe ist das Unternehmen, das Erdgasspeicher kontrolliert sowie im Erdgashandel tätig ist, in eine finanzielle Schieflage geraten. Um eine Insolvenz zu verhindern, springt nun die Bundesregierung mit einem Darlehen der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ein. Zudem soll Gazprom Germania in „Securing Energy for Europe“ umbenannt warden. Der KfW-Kredit beläuft sich nach Angaben aus Regierungskreisen auf neun bis zehn Milliarden Euro.[9] Die Bundesregierung prüft gegenwärtig zudem „Möglichkeiten, das Darlehen in Eigenkapital umzuwandeln“.[10] Mit der Maßnahme steigen die Kosten, zu denen die Sanktions- und Embargopolitik im Westen selbst führt, ein weiteres Stück an.[11]

Russischer Boom

Die Sanktions- und Embargopolitik der westlichen Mächte gegen Russland hat bislang zwar die Energiepreise in Rekordhöhen getrieben, die russischen Exporteinnahmen jedoch nicht, wie eigentlich gewünscht, verringert, sondern sie gesteigert. Dies belegt eine am Montag vorgestellte Studie des in Helsinki ansässigen Centre for Research on Energy and Clean Air. Demnach ist die Ausfuhr russischer Energieträger mittlerweile zwar ein wenig geschrumpft. Die russischen Einnahmen aber sind wegen der hohen Preise, die um 60 Prozent über den Vorjahreswerten liegen, ebenfalls gestiegen. In den ersten 100 Tagen seit Kriegsbeginn erreichten sie laut dem Think Tank aus Helsinki einen Gesamtbetrag von rund 93 Milliarden Euro – dies, obwohl Russland inzwischen einer ganzen Reihe seiner Kunden satte Rabatte von gut 30 Prozent gewährt.[12] Der Exportumsatz liegt damit weit über dem Wert für 2021, der sich bei Erdöl und Erdgas – ohne Kohle – für das Gesamtjahr nach Berechnungen der Nachrichtenagentur Bloomberg auf 235,6 Milliarden US-Dollar summierte. Bloomberg ging in einer Anfang des Monats vorgelegten Untersuchung davon aus, die russischen Öl- und Gasexporte könnten im Gesamtjahr 2022 rund 285 Milliarden US-Dollar einbringen, gut ein Fünftel mehr als im Jahr zuvor.[13]


[1] Gazprom liefert kein Gas mehr über Jamal-Europa. de.euronews.com 13.05.2022.

[2] S. dazu Der Erdgaspoker der EU (III).

[3] Mehrere Tage kein Gas via Nord Stream 1 wegen Wartung. faz.net 13.06.2022.

[4] Russland drosselt Gaslieferungen nach Deutschland. faz.net 14.06.2022.

[5] David Sheppard, Derek Brower, Joe Miller: Double blow to Europe’s gas supplies sparks price surge. ft.com 14.06.2022.

[6] Klaus Wedekind: Werden die Gasspeicher im Herbst voll sein? n-tv.de 14.06.2022.

[7] David Sheppard, Derek Brower, Joe Miller: Double blow to Europe’s gas supplies sparks price surge. ft.com 14.06.2022.

[8] S. dazu Der Erdgaspoker der EU (III).

[9] Milliardenhilfe für Gazprom Germania. tagesschau.de 14.06.2022.

[10] Bundesregierung sichert Treuhandverwaltung der Gazprom Germania längerfristig ab und gewährt KfW-Darlehen, um Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, 14.06.2022.

[11] S. dazu Die Sanktionen schlagen zurück.

[12] Centre for Research on Energy and Clean Air: Financing Putin’s war: Fossil fuel imports from Russia in the first 100 days of the invasion. Helsinki, 13.06.2022.

[13] Huileng Tan: Russia is on track to make more money off oil and gas exports this year than it did in 2021, and it’s got the EU to thank. news.yahoo.com 02.06.2022.

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