In Anbetracht der Rhetorik der deutschen Führung und insbesondere von Kanzler Olaf Scholz steht Berlin wegen der russischen Intervention in der Ukraine fest an der Seite Kiews. Und obwohl man den Ukrainern sogar eine umfangreiche militär-technische Unterstützung im Kampf gegen Moskau versprochen hat, hält sich die Hilfe der Bundesregierung dennoch in Grenzen. Sind eventuelle Schwierigkeiten bei der Bundeswehr der Grund dafür, oder soll durch ein Hinauszögern der Waffenlieferungen eine weitere Eskalation im ukrainischen Kriegsgebiet verhindert werden?
von Alexander Männer
Angesichts der russischen Intervention in der Ukraine steht die Bundesregierung nach wie vor fest an der Seite Kiews. Kanzler Olaf Scholz hat mehrfach betont, dass man Russland entschieden entgegentreten müsse und dass es den Krieg nicht gewinnen dürfe. Berlin versprach den Ukrainern aus diesem Grund eine umfangreiche militär-technische Unterstützung im Kampf gegen Moskau zu, die die Lieferung von schweren Waffen einschließen soll.
Ungeachtet aller Rhetorik und Ankündigungen aus Berlin hält sich die Hilfe Deutschlands für die Ukraine inzwischen jedoch in Grenzen. Wie das Portal der Zeitung „Die Welt“ in der vergangenen Woche berichtete, soll die Bundesregierung ihre militär-technische Unterstützung in den vergangenen neun Wochen auf ein Minimum reduziert haben. Demnach lieferte Deutschland seit Ende März auch kaum mehr nennenswerte leichte Waffen. „Zwischen dem 30. März und dem 26. Mai trafen nur zwei Waffenlieferungen in der Ukraine ein, die beide lediglich Kleinstgerät beinhalteten“, heißt es.
In diesem Zusammenhang hatte auch des Vizekanzlers Robert Habeck zuvor in einem Interview mit der „Welt am Sonntag“ erklärt, dass Deutschland „nicht alle Wünsche“ der Ukraine erfüllen könne. Wobei es keineswegs so sei, dass man „nichts oder zu wenig“ liefere, sagte Habeck.
Zögert Berlin die Waffenlieferungen hinaus?
Inzwischen besteht die Annahme, dass Berlin die Lieferungen sowohl von leichten als schweren Waffen absichtlich verlangsamt und etwa die Übergabe von Schützen– und Kampfpanzern blockiert. Im Übrigen glauben dies Teile der deutschen Presse, diverse Abgeordnete des Bundestags sowie die gesamte ukrainische Führung.
Es geht unter anderem um eine Partie von 32 Schützenpanzern vom Typ „Marder“, die angeblich hätten nach Angaben der „Bild“ längst einsatzbereit gemacht und an Kiew übergeben werden können. Diese Lieferungen sollen Medien zufolge bereits im März besprochen und von der Regierung genehmigt worden sein. Zumindest hätten Außenministerin Annalena Baerbock und Vizekanzler Habeck grünes Licht gegeben.
Bislang wurde allerdings kein einziger „Marder“ geliefert und dass die ukrainischen Streitkräfte das Kriegsgerät wie geplant im Frühsommer erhalten werden, ist fraglich. Zumal die Angelegenheit dadurch noch verkompliziert wurde, weil die deutsche Führung sich von Anfang an in Bezug auf die Marder-Lieferungen widersprüchlich verhielt.
Denn zuerst gab es offenbar positive Signale, die für eine Lieferung sprachen. Dann aber hatte die Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht Angaben der „Welt“ zufolge der Ukraine Anfang April öffentlich eine Absage erteilt und erklärt, dass die Bundeswehr alle „Marder“ selbst benötige.
Zugleich verwies Lambrecht darauf, dass die Abgabe von Rüstungsgütern grundsätzlich über das Kanzleramt koordiniert werde: „Eine Entscheidung der Verteidigungsministerin ist nicht angezeigt, da die Bundesregierung gesamtheitlich entscheidet“, sagte die Ministerin.
Danach hieß es aus der deutschen Verteidigungsbehörde, dass die NATO-Länder sich informell darauf geeinigt hätten, keine Schützen- und Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern.
Der Oppositionspolitiker Friedrich Merz hat nicht Unrecht, wenn er sagt, dass die gesamte Regierungspolitik gegenüber der Ukraine von Behauptungen, Ausreden und Verhinderungen geprägt sei. Scholz würde „mehr als sonst behaupten“, aber „nichts sagen“, so Merz.
Weitere Eskalation soll womöglich verhindert werden
Es gibt also in der Tat hinreichende Gründe für die Annahme, dass Teile der deutschen Führung, und vor allem das Kanzleramt, die besagten Waffenlieferungen mit Absicht hinausgezögern. Vor dem Hintergrund der schwierigen militärischen Lage für die Ukraine und der im Prinzip wirkungslosen antirussischen Sanktionspolitik des Westens erscheint dies einem auch durchaus plausibel, weil noch mehr Waffen an diesem Punkt die Lage im Kriegsgebiet noch weiter eskalieren und die Kampfhandlungen bloß in die Länge ziehen, nicht aber eine Niederlage Russlands herbeiführen würden.
Laut einer realistischen Einschätzung wird Kiew keinen Sieg über Moskaus Truppen in der Ostukraine erringen können. Stattdessen gerät die ukrainische Armee auf dem Schlachtfeld immer weiter in eine ausweglose Situation. Denn dort vollzieht sich langsam aber sicher das seit Wochen Absehbare – die Niederlage der Ukrainer, die vermutlich auch zusätzliche Waffen aus Deutschland nicht abwenden können. Ein baldiger Zusammenbruch der ukrainische Streitkräfte im Donbass ist sehr wahrscheinlich, was wiederum zum Zusammenbruch von anderen Teilen des ukrainischen Staates führen könnte.
Zudem berichten immer mehr Medien über den katastrophalen Zustand der ukrainischen Truppen und die sinkende Kampfmoral der Soldaten an der Front. Mehrere Einheiten haben inzwischen den Dienst im Kriegsgebiet öffentlich verweigert, einige wurden von der Kiewer Führung dafür strafrechtlich belangt. Darüber hinaus haben sich russischen Angaben zufolge mindestens 8.000 ukrainische Soldaten ergeben und ihre Anzahl nimmt täglich zu.
Außerdem ist wichtig anzumerken, dass Waffenlieferungen von Deutschland und anderen westlichen Staaten immer im Zusammenwirken mit wirtschaftlichen und politischen Sanktionen gegenüber Russland betrachtet wurden, und der Erfolg der einen Strategie sollte am besten mit dem Erfolg der anderen einhergehen.
Nun stellte sich aber heraus, dass der westliche Sanktionsdruck die russische Volkswirtschaft nicht entscheidend schwächen konnte und sich stattdessen zu wirtschaftlichen Problemen für Europa und die USA entwickelt hat, was beispielsweise zu einem starken Anstieg der Treibstoff- und Verbraucherpreise führte.
Da dieser Aspekt auch der Berliner Politik nicht entgangen sein sollte, geht diese nun bestimmt davon aus, dass noch mehr Waffen im Donbass bei Weitem nicht die erhoffte strategische Wirkung auf Russland erzielen würden. Im Gegenteil – man ist gegenwärtig weit davon entfernt, Moskau zum Truppenabzug zu zwingen, insbesondere vor dem Hintergrund eines sich abzeichnenden militärischen Desasters für die Ukraine.