Für weitere fünf Jahre wurde Emmanuel Macron mit 58,54% der Stimmen gegenüber 41,46% für Marine Le Pen von der extremen Rechten zum Präsidenten der Republik gewählt. Ein Präsident ohne wirklichen Sieg, trotz des scheinbaren Jubels, den wir am Abend des 25. April auf unseren Bildschirmen betrachten konnten.

Eine Wiederwahl wie ein Versagen, denn sie basierte nicht auf einem Entwurf für die Gesellschaft, sondern geschah aus Furcht vor der extremen Rechten, vor einem möglichen Sieg von Marine Le Pen. Eine Furcht, die die gesamte Wahlkampagne prägte und darüber hinaus bereits seit Jahrzehnten alle traditionellen Parteien vom rechten bis zum linken Spektrum umtreibt. Diese zweite Runde der Präsidentschaftswahl war also, um es noch einmal zu betonen, nichts als eine administrative Formalität.

Wir marschieren an der Spitze mit einem Sieg des amtierenden Präsidenten, der sich stark wie eine Schlappe anfühlt und mit der Niederlage seiner Konkurrentin, die man eher als einen Sieg bezeichnen könnte.

Tatsächlich konnte der Rassemblement National (RN), die frühere Front National, seine Wahlergebnisse nach der fünfjährigen Amtszeit Macrons noch ausbauen. In der Stichwahl von 2017 hatte Macron 66,10% der Stimmen gegenüber 33,90% für Marine Le Pen erzielt. 2022 verliert Emmanuel Macron Stimmen für „das Bollwerk gegen die extreme Rechte“ und Marine Le Pen, die Kandidatin der extremen Rechten, gewinnt hinzu. Ganz zu schweigen von der Präsidentschaftswahl 2002, wo die extreme Rechte im zweiten Wahlgang 17,79% der Stimmen erhielt.

Innerhalb von zwanzig Jahren und dank des Abbaus öffentlicher Leistungen sowie dank der Lügen der Regierenden, die auf ihrem Weg eine Spur von Not und sozialer Ungerechtigkeit hinterlassen haben, konnte die extreme Rechte 23,67% der Stimmen im ersten Wahlgang erzielen – so viele wie nie zuvor. Das bedeutet nicht, dass die Menschen, die diese Partei wählen, mehrheitlich „das Fremde hassen“, den Ausländer als potenziellen Schuldigen der Misere, sondern sie tun es vor allem, weil sie „die Nase voll“ davon haben, für dumm verkauft zu werden und nicht über die Runden kommen zu können. Marine Le Pen könnte sich also ohne Weiteres bei Emmanuel Macron und allen Politikern der traditionellen Parteien bedanken, dass sie ihr in die Hände gespielt haben.

Die Zahl derer, die 2017 während der Stichwahl Macron-Le Pen der Abstimmung ferngeblieben sind, lag bei 25,44% gegenüber 28,01% in diesem Jahr. Die abgegebenen leeren Stimmzettel lagen 2017 bei 8,52%, die ungültigen Stimmen bei 3%. Bei dieser Wahl 2022 betrug der Anteil der leeren Stimmzettel 6,35% und der der ungültigen Stimmen ebenfalls 3% wie 2017. Sicher, es gab bei dieser Wahl weniger leere Stimmzettel, jedoch einen Rückgang der Wahlbeteiligung. Ein Teil derer, die noch bei der letzten Wahl einen leeren Stimmzettel abgegeben hat, hat bei dieser Wahl noch nicht einmal das getan.

Bevor 2014 ein neues Gesetz in Kraft trat, wurden die leeren Stimmzettel (ein leerer Umschlag oder ein Stimmzettel ohne den Namen eines Kandidaten) zusammen mit den ungültigen Stimmen gezählt (zerrissener oder mit Kommentaren versehener Stimmzettel). Wir wissen also nicht, wie viele leere Stimmzettel es vor dieser Zeit gegeben hat. Infolge des Gesetzes werden seither die leeren Stimmzettel separat von den ungültigen gezählt und dem Protokoll hinzugefügt, allerdings ohne beim Wahlergebnis mit erfasst zu werden. Eine französische Anomalie: Ich bringe etwas zum Ausdruck, meine Wahl wird jedoch nicht registriert.

Gestern Abend konnten wir Emmanuel Macron mit Stolz „Danke“ sagen hören. „Eine Mehrheit von Ihnen hat mir ihr Vertrauen geschenkt“, „Niemand wird am Wegesrand zurückgelassen“. Wie kann man es wagen, eine Niederlage in einen Sieg umzuwandeln? Emmanuel Macron möchte nichts davon hören, dass die Menschen gegen ihr Herz gewählt haben, gegen die extreme Rechte, aber nicht für ihn. Und von wegen niemanden am Wegesrand zurücklassen – auf die Menschen in Frankreich trifft das schon zu und einige von ihnen haben dort alles verloren. Es war keinesfalls ein Sieg, wir sind vielmehr Zeuge der Niederlage der Republik.

Wir befinden uns nicht in einer Demokratie, sondern in einer Republik – einer Republik, die ihre Exekutivmacht während der Gründung der fünften Republik 1958 zum Nachteil der Legislative (Senat und Nationalversammlung) gestärkt hat. In einer Republik besteht die Exekutive aus dem Präsidenten der Republik und dem Premierminister als Regierungschef. Der wahre Knackpunkt der Präsidentschaftswahl wird der 12. bis 19. Juni dieses Jahres sein, wenn die Parlamentswahl zur Konstituierung der Nationalversammlung, also die Wahl der 577 Abgeordneten stattfinden wird. Denn diese Abgeordneten beschließen die Gesetze und können die Maßnahmen der Regierung kontrollieren. Für eine absolute Mehrheit sind dabei 289 Abgeordnete nötig.

Die Registrierung für die Parlamentswahl ist noch bis zum 4. Mai 2022 für eine Online-Registrierung und bis zum 6. Mai für eine Registrierung in den Rathäusern oder per Post möglich.

Die Union Populaire, mit ihrem Sprachrohr Jean-Luc Mélenchon von France Insoumise und ebenfalls Kandidat für diese Präsidentschaftswahl, hat während des ersten Wahlgangs unterstrichen, dass sie die einzige linke Kraft ist, die eine mögliche Veränderung hin zu einer gerechteren Gesellschaft vertritt. Sie hat die Hand zu den anderen Parteien des linken Spektrums (Parti Communiste, Europe Écologie les Verts, Nouveau Parti Anticapitaliste) ausgestreckt, um gemeinsam in der Nationalversammlung eine linke Mehrheit erringen zu können. „Der Zusammenschluss um ein Programm zeigt, dass die Union Populaire keinerlei Hegemoniebestreben hatte, sondern dass es sich vielmehr um eine Frage der Effektivität beim Führen der Wahlkampagne handelt“, „dass man diese Wahl nutzen musste, um sie durch die Schaffung eines sozialen Blocks zu gewinnen. Ein sozialer Block, begründet aus den Reihen des Bloc Populaire, den es zu stärken galt.“

Allein diese Vereinigung wird Chancen auf eine mögliche Mehrheit bei der Nationalversammlung haben und damit den Präsidenten der Republik zur Zusammenarbeit verpflichten. Das würde einen Ministerpräsidenten aus dieser neuen Parlamentsmehrheit, aus der Union Populaire bedeuten.

Die Übersetzung aus dem Französischen wurde von Silvia Sander vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige!