Der Krieg in der Ukraine und das 100 Milliarden Euro schwere Aufrüstungsprogramm der rot-grün-gelben Bundesregierung verschaffen deutschen Waffenschmieden einen beispiellosen Höhenflug. Aktienkurse einer ganzen Reihe deutscher Rüstungskonzerne schnellten zu Wochenbeginn um weit mehr als 50 Prozent in die Höhe; nach einem „Dringlichkeitsgespräch“ am Montag im Verteidigungsministerium werden bald erste Aufträge erwartet. Rheinmetall, Deutschlands größter Rüstungskonzern, hat ein Angebot für Lieferungen im Wert von 42 Milliarden Euro binnen zwei Jahren vorgelegt. Der Umsatz der Rheinmetall-Rüstungssparte hatte 2020 noch bei 3,7 Milliarden Euro gelegen; nun wird eine Umstellung auf Schichtbetrieb in Aussicht gestellt. Beobachter sagen voraus, das Aufrüstungsprogramm werde die gesamte deutsche Unternehmenslandschaft „dramatisch umgestalten“ und die Bedeutung der Rüstungsbranche massiv stärken. Finanzminister Christian Lindner erklärt, Deutschland solle eine der „schlagkräftigsten Armeen in Europa“ erhalten. Ergänzt wird der Militarisierungsplan durch Forderungen, die Wehr- oder eine allgemeine Dienstpflicht einzuführen.
Im Höhenflug
Nach der Ankündigung von Bundeskanzler Olaf Scholz am Sonntag, nicht nur das deutsche Militärbudget auf mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen, sondern auch ein 100 Milliarden Euro schweres Sondervermögen für die Aufrüstung der Bundeswehr bereitzustellen, schnellten die Börsenkurse diverser deutscher Rüstungskonzerne in die Höhe. So stiegen die Aktien der Düsseldorfer Waffenschmiede Rheinmetall am Montag zeitweise um über 50 Prozent und liegen aktuell noch um mehr als die Hälfte über ihrem Wert zu Jahresbeginn.[1] Rheinmetall, der größte deutsche Waffenproduzent, konnte auf der SIPRI-Rangliste der größten Rüstungskonzerne weltweit bereits im Jahr 2020 von Platz 32 auf Platz 27 aufsteigen und wird nun aller Voraussicht nach noch weiter nach vorne rücken. Hensoldt, viertgrößter deutscher Rüstungskonzern und auf der SIPRI-Rangliste zuletzt von Platz 86 auf Platz 78 (2020) aufgestiegen, konnte ebenfalls einen gewaltigen Kurssprung verzeichnen: Seine Aktien stiegen seit Ende Februar um annähernd 100 Prozent. Auch Rüstungskonzerne im europäischen Ausland – etwa BAE Systems oder Thales – verzeichneten starke Gewinne, allerdings nicht ganz so hohe wie deutsche Produzenten von Kriegsgerät.
Beschleunigte Beschaffungsverfahren
Berichten zufolge hat die Bundesregierung bereits erste Schritte eingeleitet, um die Vergabe neuer Rüstungsaufträge in die Wege zu leiten. Demnach hatte das Verteidigungsministerium am Montag Vertreter der größten deutschen Rüstungsunternehmen zu einem sogenannten Dringlichkeitsgespräch geladen. Konkrete Aufträge „kommen bald“, hieß es anschließend – in einem beschleunigten Beschaffungsverfahren.[2] Im Gespräch ist unter anderem der Kauf neuer Militärhubschrauber bei Airbus, neuer Kriegsschiffe bei ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) und neuer Radarsysteme bei Hensoldt. Hensoldt befindet sich ohnehin auf Wachstumskurs; der Konzern, der zum Beispiel an der Herstellung von Flugabwehrsystemen beteiligt ist, konnte den Umsatz im Jahr 2021 um rund 22 Prozent auf rund 1,5 Milliarden Euro steigern und hat bereits angekündigt, nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Staaten Europas und „zunehmend auch außerhalb Europas wachsen“ zu wollen.[3] Neue Mittel könnten, wie es heißt, auch für mehr als 200 neue Schützenpanzer Puma und für den Kampfjet der nächsten Generation (Future Combat Air System, FCAS) bereitgestellt werden, dessen Gesamtkosten inzwischen mit 350 bis 400 Milliarden Euro beziffert werden und der ab 2040 einsatzreif sein soll.[4]
Leopard 2 gegen T-14 Armata
Als potenzieller Hauptprofiteur gilt die Düsseldorfer Waffenschmiede Rheinmetall. Deren Vorstandsvorsitzender Armin Papperger wird mit der Äußerung zitiert, er habe Berlin schon ein Rüstungspaket vorgeschlagen, das sich über zwei Jahre erstrecken und 42 Milliarden Euro kosten soll. Das ist ein Vielfaches des Umsatzes von rund 3,7 Milliarden Euro, den die Rheinmetall-Militärsparte im Jahr 2020 erzielte. Papperger kündigte bereits an: „In vielen Werken arbeiten wir im Einschichtbetrieb, wir können auch rund um die Uhr arbeiten“.[5] So lasse sich unter anderem die Herstellung von Panzermunition von gegenwärtig 40.000 Stück pro Jahr auf 240.000 Stück ausweiten. Große Mengen an Munition könne man schon in sechs bis zwölf Monaten liefern, Radpanzer in 15 bis 18 Monaten, Kettenfahrzeuge in 24 bis 28 Monaten; dies sei möglich, obwohl man auch Anfragen aus anderen NATO-Staaten erhalten habe, insbesondere aus Osteuropa. Papperger habe geäußert, heißt es, es gebe unter anderem auch die Option, den Traditions-Kampfpanzer Leopard 2 zu „ertüchtigen“; damit werde er sogar in der Lage sein, es mit dem laut Branchenexperten gegenwärtig modernsten und kampfstärksten Kampfpanzer der Welt aufzunehmen: mit Russlands T-14 Armata.
Der industriell-militärische Komplex
Zur Bewertung des beispiellosen neuen Aufrüstungsprogramms sagte Bundesfinanzminister Christian Lindner bereits am Sonntag, es handle sich um „die größten und schnellsten Steigerungen der Verteidigungsausgaben“ in der gesamten „jüngeren Geschichte“ der Bundesrepublik.[6] Der Dammbruch, der die deutschen Waffenschmieden mit bisher nicht vorstellbaren Summen überschwemmt, werde die gesamte Unternehmenslandschaft in der Bundesrepublik „dramatisch umgestalten“, urteilt die britische Financial Times [7]; ganz erheblich zunehmen wird dabei die künftige Bedeutung und damit zugleich der Einfluss der deutschen Rüstungsindustrie. Mit deren Hilfe soll Deutschland laut Lindner „im Laufe dieses Jahrzehnts eine der handlungsfähigsten, schlagkräftigsten Armeen in Europa bekommen“: „eine der am besten ausgerüsteten Armeen in Europa, weil das der Bedeutung Deutschlands … entspricht“.[8] Damit verschieben sich die wirtschaftlichen und politischen Koordinaten in Berlin in erheblichem Ausmaß hin zum Militär.
Allgemeine Dienstpflicht
Über eine begleitende gesellschaftliche Transformation wird bereits diskutiert. Nach einem Vorstoß des Präsidenten des Reservistenverbandes, Patrick Sensburg (CDU), die Wehrpflicht wieder einzuführen [9], hat eine Debatte darum begonnen, die quer durch alle Parteien geht und in der sich jetzt mit Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow auch ein Politiker der Linkspartei für die Rückkehr zum allgemeinen Militärdienst ausgesprochen hat [10]. Der stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende Carsten Linnemann will den Wehrdienst zu einer allgemeinen Dienstpflicht ausweiten, die bei der Bundeswehr, aber auch beim THW, bei der Feuerwehr, in sozialen Diensten und in Hilfsorganisationen abgeleistet werden kann.[11] Dem schließt sich unter anderem Johann Wadephul, stellvertretender Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, an. Kritik kommt ausgerechnet aus der Bundeswehr, und das aus technischen Gründen. So wies Bundeswehr-Generalinspekteur Eberhard Zorn darauf hin, dass das heutige Kriegshandwerk in wachsendem Maß spezialisierte Tätigkeiten erfordert, die nur von erfahrenen Berufssoldaten umgesetzt werden können: „Für den Kampf im Cyberraum“ etwa, erläuterte Zorn, „sind Wehrpflichtige absolut ungeeignet.“
[1] Axel Höpner: Bundeswehr-Aufrüstung: Rheinmetall-Aktie steigt um 50 Prozent. handelsblatt.com 01.03.2022.
[2], [3] Martin Murphy, Axel Höpner: Rüstungsindustrie bereitet höhere Produktion vor – Rheinmetall bietet Milliardenpaket an. handelsblatt.com 28.02.2022.
[4] Gerhard Hegmann: Geldsegen für die Rüstungsindustrie – diese Firmen profitieren von Scholz‘ Sonderbudget. welt.de 28.02.2022.
[5] Martin Murphy, Axel Höpner: Rüstungsindustrie bereitet höhere Produktion vor – Rheinmetall bietet Milliardenpaket an. handelsblatt.com 28.02.2022.
[6] Scholz kündigt Aufrüstung an. Frankfurter Allgemeine Zeitung 28.02.2022.
[7] Joe Miller, Erika Solomon: Scholz’s response to Ukraine crisis reshapes Germany’s corporate landscape. ft.com 01.03.2022.
[8] Bundeswehr soll „schlagkräftigste Armee Europas“ werden. n-tv.de 28.02.2022.
[9] S. dazu Die Zeitenwende.
[10] Ramelow spricht sich für allgemeine Wehrpflicht aus. spiegel.de 02.03.2022.
[11] Politiker fordern allgemeine Dienstpflicht. Frankfurter Allgemeine Zeitung 02.03.2022.