Bei der Frage um gegenseitige Sicherheitsgarantien zwischen Russland und den Vereinigten Staaten sowie der damit zusammenhängenden Verschärfung der Ukraine-Krise wurde inzwischen deutlich, dass es gravierende Meinungsunterschiede innerhalb der “westlichen Wertegemeinschaft“ im Umgang mit Moskau gibt. Während die USA, Großbritannien, Polen und diverse andere NATO- und/oder EU-Mitgliedsländer gegen russische Sicherheitsinteressen vorgehen und Kiew militärisch massiv aufrüsten, treten Deutschland und Frankreich gegen Waffenlieferungen in die Ukraine ein und versuchen, eine diplomatische Lösung in dieser Konfliktsituation zu erreichen.
Von Alexander Männer
Ausgehend davon führen die beiden Länder bereits einen regen Dialog mit Russland, sind dabei jedoch dem Druck ihrer westlichen Partner ausgesetzt. Denn Berlin und Paris, die seit Jahren im Rahmen des sogenannten Normandie-Formats in dem Ostukraine-Konflikt vermitteln und dabei als Garanten des “Minsker Friedensvertrags“ fungieren, sollten entgegen ihrer Haltung in dieser Problematik und entgegen ihren Wirtschaftsinteressen in Bezug auf Russland dazu bewegt werden, die ukrainische Armee mit Angriffswaffen zu versorgen und dadurch die Konfrontation mit Moskau zu forcieren. Es entsteht sogar der Eindruck, dass Washington und Co. das Machtpotential Russlands absichtlich testen wollen, indem sie Kiew bei der Außen- und Sicherheitspolitik für sich instrumentalisieren.
London lanciert Mini-Allianz
Bei der Auseinandersetzung mit Russland handelt vor allem Großbritannien sehr entschlossen, das in Anbetracht der deutsch-französischen Friedensbemühungen nicht nur russische Sicherheitsinteressen treffen will, sondern auch sein Engagement in Ost- und Mitteleuropa zum Nachteil Berlins und Paris‘ ausweiten will. Allerdings sind die Briten weder militär-technisch dazu in der Lage, die Russen zu konfrontieren, noch wollen sie dies allein tun, weshalb man in London einem Bericht der Deutschen Welle zufolge in Betracht zieht, gemeinsam mit Polen und der Ukraine eine Dreierallianz zu bilden.
Die britische Außenministerin Elizabeth Truss hatte Ende Januar erklärt: „Bedrohungen für Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind nicht nur regional – sie sind global. Und deshalb müssen wir gemeinsam reagieren.“ Aus diesem Grund stärke man die Partnerschaft und entwickle neue dreigliedrige Beziehungen zu Polen und der Ukraine, die Ministerin.
Laut dem ukrainischen Außenamtschef Dmytro Kuleba soll dieses neue Bündnis den Sicherheitsgürtel um Russland und die Ostsee-Schwarzmeer-Achse stärken, wobei das neue Format „nicht an die lokale Geographie gebunden“ ist. Demnach gehe es nämlich auch um “die Vereinigung des Atlantiks, der Ostsee und des Schwarzen Meeres, was neue Möglichkeiten für die Staaten der Allianz und die Region als Ganzes schaffen“ würde.
Und abgesehen davon, dass die drei Länder damit eine Strategie hätten, so Kuleba, um den Herausforderungen Russlands entgegenzuwirken, soll die Allianz auch ein großes Kooperationspotenzial in den Bereichen Handel, Investitionen und Energie haben.
Gegengewicht zu Deutschland und Frankreich
Das Mini-Bündnis stellt jedoch offenbar keine Alternative zur NATO, EU oder irgendeiner einer anderen regionalen Vereinigung dar. Es ist eher ein Teil der britischen Strategie , unter anderem die Einflussmöglichkeiten Deutschlands und Frankreichs in Ost- und Mitteleuropa zu begrenzen und und stattdessen den eigenen Einfluss auszuweiten.
Großbritannien hatte bereits im vergangenen Dezember klare Kante bezüglich der russischen Sicherheitsforderungen gezeigt und danach mehrere Waffenlieferungen in die Ukraine durchgeführt. Auf dieser Grundlage unternimmt London nun den Versuch, sich mit anderen Ländern aus dieser Region, die diese Position teilen, zusammenzutun und eine Alternative zur Krisendiplomatie à la Normandie-Format zu schaffen.
Für Polen bietet sich damit eine gute Gelegenheit, nicht nur die engen Beziehungen zu Großbritannien und den USA aufrechtzuerhalten, sondern auch ein Gegengewicht in Europa zu Frankreich und Deutschland in Bezug auf Russland zu schaffen.
Die Ukraine hingegen betrachtet London und Warschau inzwischen als die einzigen zuverlässigsten strategischen Partner im Umgang mit Russland und glaubt, dass eine künftige Allianz sowohl im politischen, diplomatischen und wirtschaftlichen Bereich als auch im Sicherheitsbereich von Vorteil sein könnte. Zumal die Mitgliedschaft Kiews in der NATO auch aufgrund der Haltung der Normandie-Staaten weiterhin nicht zur Debatte steht.
“Weimarer Dreieck“ als Grundlage für europäische Krisendiplomatie?
Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen haben Deutschland und Frankreich gemeinsam mit Polen am 9. Februar im Rahmen ihres trilateralen Kosultationsforums “Weimarer Dreieck“ einen Dreiergipfel zur Ukraine-Krise abgehalten. Dabei konnten sie sich offenbar auf gemeinsame Haltung und den Ansatz der Deeskalation einigen, was die von London lancierte Allianz nun aber in Frage stellt.
So versicherten Berlin, Paris und Warschau in de Abschlusserklärung laut Angaben von ZEIT ONLINE, dass man im Bemühen um eine diplomatische Lösung der Krise weiter für „Sicherheit und Stabilität in der Region und die territoriale Integrität und Souveränität der Ukraine“ eintreten werde. „Unser gemeinsames Ziel ist es, einen Krieg in Europa zu verhindern“, erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Pressekonferenz im Anschluss des Treffens mit den Staatschefs Emmanuel Macron und Andrzej Duda.
Zugleich riefen sie sie Russland dazu auf, „in einen substanziellen Dialog über die Sicherheit auf dem europäischen Kontinent einzutreten“. Scholz bezeichnete den russischen Truppenaufmarschs an der Grenze zur Ukraine als „sehr besorgniserregend“ und sagte, dass man deshalb gemeinsam „für eine Deeskalation der äußerst angespannten Lage sorgen“ wolle und dass man „Verhandlungen und eine Lösung“ brauche.