Der Genozid in Ruanda jährte sich zum 20. Mal dieses Jahr. In 100 Tagen wurden schätzungsweise 800.000 Menschen umgebracht. In einem kleinen, wunderschönen Land im Herzen Afrikas. Nicht mit der bohrenden Frage der Schuld, des Warum, der schmerzenden Vergangenheit beschäftigt sich ein neuer Film von Sönke Weiss in Koproduktion mit Gerrit Hahn, sondern mit der neuen Generation, geboren während des nationalen Traumas. Wie gehen sie um mit der Vergangenheit, wie sprechen sie darüber, was sind ihre Hoffnungen für die Zukunft?
Zum Gedenken an den Völkermord ist in Ruanda der 7. April Memorial Day. Am 7. Juli feiert man das Ende des Völkermordes. Der Film Ibyiza Birimbere wurde während dieser Zeit gedreht. Der Titel ist ein Satz, den man häufig in Ruanda hört. Es ist Kinyarwanda und bedeutet: Das Beste kommt erst noch. Ein Satz, der die gemeinsame Haltung des Landes reflektiert.
Sehr geduldig, ruhig und einfühlsam erzählt der Film einen Teil des Lebens dreier Davongekommener: Odette, die als zweijährige unter den Leichnamen ihrer Eltern überlebte und heute Psychologie studiert, Gerard, der aus einer Vergewaltigung während der Massaker hervorgegangen war und nun auf der Suche nach seinen leiblichen Verwandten und seiner Biographie ist und Shenge, die mithilfe der Kunst – Tanz, Film, Musik – ihre Sicht Ruandas den Menschen vermitteln möchte. „Wenn Menschen von Ruanda hören, denken sie an den Genozid. Wir sind friedliche Menschen, das möchte ich zeigen.“
Überraschend ist die Versöhnung, die alle drei Hauptakteure zeigen. Odette erklärt es mit den Worten ihrer christlichen Großmutter: Gott sei derjenige, der richte, es sei nicht die Sache der Menschen. Daher sollten sie versuchen, in die Zukunft zu schauen und in Frieden miteinander zu leben. Die 24 jährige Shenge meint, Respekt allen Menschen gegenüber sei das wichtigste. Gerard sagt, er liebe seine Mutter, auch wenn sie ihn verlassen habe. „Ich lebe im Schatten, aber ich strebe ins Licht.“ Er ist zu der Überzeugung gelangt, dass es einen Grund gibt, warum er überlebte, und er werde heraustreten aus dem Schatten ins Licht.
Ob das nicht nur ein sehr limitierter Ausschnitt der Realität des heutigen Ruanda sei, ob nicht viel mehr Menschen immer noch Hass empfänden und Rachegelüste hätten? Dazu sagt Sönke: „Wir haben mit Dutzenden von jungen Leuten gesprochen, auf dem Land wie in der Hauptstadt Kigali, wo wir auch an der dortigen Universität unterrichtet haben. Unsere drei Protagonisten sind in der Tat so etwas wie ein Messwert der ruandischen Gesellschaft, ein repräsentativer Querschnitt. Wir haben in den drei Monaten keinen einzigen Menschen getroffen, der von Hass oder Rache gesprochen hat. Wenn dies der Fall gewesen wäre, hätten wir das mit in unseren Film genommen. Aber das war nicht der Fall. Ich bin der Überzeugung, dass die ruandische Gesellschaft von Anfang an den Genozid aufgearbeitet und nicht erst über Jahre verschwiegen hat, sondern diesen 100 Tagen ehrlich und schmerzhaft begegnet ist.“
Deutlich ist zu merken, dass die beiden Filmemacher nicht nach Ruanda gekommen sind, um eine fertige Story zu erzählen oder ein Ressentiment zu bedienen. „Wir hatten kein Drehbuch im Gepäck, sondern wollten offen bleiben, für das, was uns begegnet.“ sagen sie. Was ihn ärgert, meint Sönke, seien Dokumentarfilme nach der Art: armer Afrikaner, schlauer Weisser oder NGO denkt sich tolle Lösung für ihn aus, armer Afrikaner bleibt arm, weil er nicht die Möglichkeiten hat.
Und so ist vielleicht das schönste an dem Film, dass die Menschen, die auftreten, ihr volles Sein präsentieren dürfen. Sie dürfen reden, haben ihre eigenen Worte, ungeschnitten. Nach kurzer Zeit bereits verschwimmen die Grenzen Afrikaner/Europäer und als Zuschauer erkennt man: schwarz oder weiss, scheißegal, wir sind alle gleich: In unserer Trauer, in unserer Hoffnung, in unseren Freuden.
Hat die junge Generation in Ruanda gelernt? Könnte so etwas im heutige Ruanda wieder passieren? Dazu sagt Sönke: «Die junge Generation denkt nicht mehr in ethnischen Kategorien wie Tutsi, Hutu oder Twa. Für sie gibt es nur noch Ruander. Wir dürfen nicht vergessen, 1994 war Ruanda tot und ist sozusagen wieder auferstanden und hat sich neu erfunden. Das hätte selbstverständlich auch in einem Bürgerkrieg enden können. Dass das neue Ruanda einen friedlichen Weg gefunden hat, grenzt beinahe an einem Wunder. Ich glaube aber, dass kein Land vor nationalistischen Strömungen gefeit ist, in Europa wie in Afrika oder sonstwo auf der Erde. Deswegen ist es auch so wichtig, dass es nie zu einem Machtvakuum kommt, dass also Recht und Ordnung ausgehebelt werden, was dann dazu führt, dass Extremisten die Führung übernehmen. Ich denke, dass Ruandas Form der Demokratie für das Land funktioniert, dass peinlichst genau darauf achtet, dass es eben nicht wieder zu einem Machtvakuum kommt, dass Toleranz und Gemeinwohl respektiert werden, dass die Regeln des friedlichen Zusammenlebens eingehalten werden, vom Strassenverkehr bis zur Gleichberechtigung der Frau. Ich kann wirklich nur jedem raten, sich selbst davon zu überzeugen und nach Ruanda zu reisen.»
Das Deutsche Institut für Entwicklunghilfe in Bonn zeigt den Film am 2. Dezember um 18 Uhr mit anschliessender Podiumsdiskussion, bei welcher neben den Filmemachern die Botschafterin aus Ruanda, Christine Nkulikiyinka, der Afrikabeauftragte der Bundeskanzlerin, Günther Nooke, und der Leiter der Abteilung „Bi- und Multilaterale Entwicklungspolitik“, Stephan Klingebiel, anwesend sein werden. Anmeldung per Email ist erforderlich: Fatia.Elsermann@die-gdi.de