Bündnis Klinikrettung zieht Bilanz: Notstand in der stationären Versorgung
Im Takt der andauernden Krankenhausschließungen verschlechtert sich die gesundheitliche Versorgungslage in Deutschland weiter. Der finanzielle Druck auf Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung wächst.Auch im Jahr 2021 geht der Kahlschlag der deutschen Kliniklandschaft weiter.
Bis heute sind in diesem Jahr bundesweit insgesamt neun Klinikschließungen zu verzeichnen, hinzu kommen mindestens 22 Fälle von Teilschließungen, die erfahrungsgemäß vielfach eine spätere komplette Schließung einleiten. Es ist wahrscheinlich, dass wie letztes Jahr noch weitere Schließungen bis zum Jahresende hinzukommen.
2021 gehen so 814 Betten für die gesundheitliche Allgemeinversorgung verloren. 1226 Beschäftigte sind von den Schließungen betroffen. Außerdem sind zum jetzigen Zeitpunkt bereits 31 Klinikschließungen beschlossen, die ab 2022 in Kraft treten. Weitere 19 Krankenhäuser sind von einer Schließung bedroht – sei es aufgrund von Gutachten, die eine Schließung empfehlen, Abteilungsschließungen, oder Personalabzug. Dabei ist zu berücksichtigen, dass allein die Ankündigung einer Schließung den Schließungsprozess oft erheblich beschleunigt.
Häufig gehen die Krankenhausschließungen mit der Planung von Zentralkliniken einher. Dabei werden millionenteure Neubauten projektiert, für die hohe Fördersummen vom Bund oder Land eingesetzt werden.
Statt die öffentlichen Gelder für den Erhalt bestehender Häuser und Personalkosten zu verwenden, fließen sie in auch ökologisch fragwürdige Neubauprojekte.
Die Proteste und die Zahl der Initiativen gegen Klinikschließungen haben zugenommen. Bürger*innen nehmen den Abbau ihrer Gesundheitsversorgung nicht weiter hin. Aber die Zivilgesellschaft findet noch immer nicht ausreichend Gehör.
Dabei ist die Lage dramatisch: Schon jetzt herrscht nach jahrelangem Klinikabbau ein bundesweiter Notstand im Krankenhaussystem, der durch die Pandemie noch verschärft wird. Gab es im Jahr 1991 in Deutschland noch 2.411 Kliniken mit insgesamt 666.000 Betten, war diese Zahl im Jahr 2019 auf 1.914 Kliniken mit 494.000 Betten gesunken. Das ist ein Rückgang der Krankenhäuser von 21 und der Klinikbetten von 26 Prozent.
Erst kürzlich enthüllte eine neue Recherche vom Bündnis Klinikrettung, dass weit weniger Kliniken als bisher angenommen für die gesundheitliche Allgemeinversorgung in der Corona-Pandemie zur Verfügung stehen. Nur knapp ca. 1.200 der rund 1.900 Krankenhäuser in Deutschland sind Allgemeinkrankenhäuser, die auch Corona behandeln, da 37% aller Krankenhäuser reine Fachkliniken sind.
Von diesen 1.200 Allgemeinkrankenhäusern sind nur 845 mit einer Geburtshilfe und nur 339 mit einer Kinderstation ausgestattet, denn diese Bereiche werden durch das System der Fallpauschalen finanziell massiv benachteiligt. Vor diesem Hintergrund erscheint die diesjährige Empfehlung des Vorsitzenden des Gemeinsamen Bundesausschusses Prof. Josef Hecken, weitere 700 Krankenhäuser zu schließen, verantwortungslos. Denn die lukrativen Fachkliniken können damit nicht gemeint sein. Die Folge einer solchen Empfehlung wäre, dass bundesweit nur noch knapp 500 Allgemeinkrankenhäuser übrig blieben.
Der bundesweite Klinikabbau wurde von der Bundesregierung durch das 2016 in Kraft getretene Krankenhausstrukturgesetz vorangetrieben.
Eine Ende November veröffentlichte Auswertung des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung belegt, dass der Krankenhausstrukturfonds der Bundesregierung in den Jahren 2016-2018 insgesamt 34 Krankenhausschließungen hauptsächlich kleiner Krankenhäuser finanziell gefördert hat, sowie 36 Abteilungsschließungen in weiteren 24 Krankenhäusern – davon fast die Hälfte Gynäkologien und Geburtshilfen. 3.099 Betten wurden dabei abgebaut.
Tendenziell wurden mehr Krankenhäuser in Regionen mit ohnehin geringerer Krankenhausdichte geschlossen. Für 61.000 Menschen wurde die Fahrzeit zum nächsten Krankenhaus auf über 30 Minuten erhöht. Zu berücksichtigen ist, dass diese Zahlen nicht einmal alle erfolgten Schließungen erfassen, da nicht für alle Schließungsfälle eine Förderung beantragt oder bewilligt wurde. Die Gelder für den Krankenhausstrukturfonds werden vom Bund und von den Ländern bereitgestellt. 2016-2018 wurden 1 Milliarde Euro bereitgestellt und ausgegeben. 2019- 2024 sind 2 Milliarden Euro vorgesehen. Insgesamt schätzen die Gutachter vom RWI, dass 11 Milliarden Euro für die Erreichung der „Sollstruktur“ einer Krankenhauslandschaft mit deutlich weniger Häusern erforderlich sind.
Alle Bürger*innen in Deutschland haben durch die Regelung des Sicherstellungszuschlags einen gesetzlichen Anspruch auf ein Krankenhaus, das in maximal 30 Fahrminuten erreichbar ist und mindestens Innere Medizin, Chirurgie und Notfallversorgung anbietet. Allein in Bayern wird dieses Kriterium bereits jetzt in 115 Postleitzahlregionen verletzt.
Zugleich ist ein Anstieg der Krankenhäuser in privater Regie zu verzeichnen, die wenig Interesse am Betrieb regionaler Allgemeinversorger haben. Die desaströsen Folgen der Schließungen haben bei der Bundesregierung bisher kein Umdenken erwirkt.
Weiterhin werden über den Krankenhausstrukturfonds öffentliche Mittel zur Verminderung der Krankenhausanzahl in Deutschland bereitgestellt.
Trotz des erwiesenen eklatanten Mangelzustands gehen die Teilschließungen und kompletten Schließungen vor allem von Allgemeinkrankenhäusern sowie der Bettenabbau weiter.
In den nächsten Jahren ist daher eine massive Zuspitzung der Versorgungsengpässe im Gesundheitssystem zu erwarten. Das Bündnis Klinikrettung fordert einen grundsätzlichen Richtungswechsel in der Krankenhauspolitik. Die Schließung von Krankenhäusern muss sofort gestoppt werden. Insolvente und akut von Insolvenz bedrohte Kliniken müssen vom Staat aufgefangen, ihr Weiterbetrieb öffentlich abgesichert, notwendige Investitionen bezahlt werden.
Die Schließungsförderung muss beendet werden.
Die jetzige Politik favorisiert eine finanzstarke Lobby, die Anlagemöglichkeiten braucht und aus dem Gesundheitssystem sehr viel Geld abziehen kann. Deswegen muss die stationäre klinische Versorgung reformiert werden. Denn Krankenhäuser sind vor allem ein Bereich der Daseinsvorsorge, die weder unterfinanziert sein dürfen, noch Rendite erwirtschaften müssen sollen.
Die neue Bundesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt, dass sie „für eine bedarfsgerechte auskömmliche Finanzierung für die Pädiatrie, Notfallversorgung und Geburtshilfe“ sorgen möchte. Ähnlich wie die Koalition fordert auch der Bundesrat in seinem Beschluss vom 17. Dezember 2021 die Weiterentwicklung der DRG-Fallpauschalen in bestimmten Bereichen. Das ist zwar ein Schritt in die richtige Richtung, aber nicht genug.
Die Regierung muss weiter gehen und die Fallpauschalenfinanzierung für alle Krankenhäuser der Allgemeinversorgung abschaffen.
So könnten die meisten Schließungen gestoppt werden. Wir brauchen flächendeckende stationäre Versorgung. Die Rosinenpickerei von gewinnbringenden Fachkliniken entzieht den wohnortnahen Allgemeinkrankenhäusern das Geld. Die neue Koalition hat in ihrem Vertrag eine Regierungskommission angekündigt, die Empfehlungen für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung vorlegen soll.
Wir fordern die Regierung auf, Vertreter*innen vom Bündnis Klinikrettung in diese Expertenkommission einzuberufen. Denn die Reform der stationären Versorgung wird nur mit der Beteiligung der Bevölkerung vor Ort gelingen.
Weitere Informationen und Petition auf der Website des Bündnis Klinikrettung www.gemeingut.org
Auf Anfrage wird Kontakt zu Bürgerinitiativen, die sich vor Ort gegen Krankenhausschließungen einsetzen, vermittelt.