Zum 50-jährigen Jubiläum des Debut-Albums von Nazareth. Der November 1971 hatte es in sich. Binnen weniger Tage erschienen drei Langspielplatten, die Rock-Geschichte schreiben sollten: Das legendäre „unbetitelte“ vierte Album von Led Zeppelin, Look at Yourself von Uriah Heep (womit ihnen den endgültigen Durchbruch gelang) und das Debut-Album von Nazareth, die zu diesem Zeitpunkt bereits drei Jahre existierten.
Von Leo K.
Vielleicht liegt es an ihrer Herkunft aus dem schottischen Dunfermline oder eben dem Erscheinungsdatum des Debuts, dass der Nazareth-Sound irgendwie an neblige Tage denken lässt, ihre Version des Hard-Rock nie so richtig leichtfüßig daherkam und ihre Version des Glam-Rock nie so richtig glitzerte.
Dass die Band heute noch besteht, aber nur noch Bassist Pete Agnew vom Original-Line-up dabei ist – geschenkt!
Dass sie vor allem für die All-time-Schnulze Love Hurts geliebt und gehasst werden – geschenkt!
Wir wollen uns mit dem Gesamtkunstwerk beschäftigen und einem anderen Aspekt, der da wäre:
Nazareth waren und sind eine working-class-band, die häufig Songs mit einschlägigen Inhalten gecovert aber auch selbst solche verfasst hat. Eine kleine Auswahl sei hier genannt.
Der Klassiker schlechthin ist Morning Dew vom Debut-Album, ein Folk-Song der kanadischen Singer-Songwriterin Bonnie Dobson aus den frühen Sechziger Jahren, der die Welt nach einer nuklearen Katastrophe beschreibt. Das Lied wurde vielfach gecovert, richtig Gestalt angenommen hat es in der Version der Jeff Beck Group (1968), doch mit der Nazareth-Version ist es endgültig zur unsterblichen Hymne geworden. Auf dem ersten Nazareth-Album befindet sich mit I Had a Dream auch ein Lied, bei dem Bassist Pete Agnew die Lead-Stimme übernimmt und das von dunklen Vorahnungen handelt und letztlich eine Parabel auf die Sinnlosigkeit des Krieges ist.
Auf dem zweiten Album Exercises machen Nazareth nicht nur Anleihen bei traditionellen schottischen Klängen sondern erinnern mit 1692 an das Glencoe Massacre in den Highlands – allein dieser Song rechtfertigt den Kauf der Platte…
Den internationalen Durchbruch erlangen Nazareth 1973 mit dem Album Razamanaz. Darauf findet sich neben dem Furiosen Titelsong unter anderem Vigilante Man, eine Woodie Guthrie Komposition, wenn auch sehr angelehnt an das Arrangement von Ry Cooder, dem das Verdienst zukommt, dieses Lied ins Rock-Zeitalter transferiert zu haben.
Im selben Jahr erscheint auf dem Album Loud’n’Proud eine neunminütige Version des Bob Dylan Songs The Ballad of Hollis Brown, eine Abrechnung mit dem Mythos des Landes der unbegrenzten Möglichkeiten, getragen von einer brutal verzerrten Bass-Gitarre.
Viel bekannter wurde natürlich This Flight Tonight, die Nazareth-Bearbeitung einer Joni Mitchell Komposition und einer ihrer größten Hits.
1974 erscheint Rampant mit einer Bearbeitung eines Yardbirds-Songs: das Anti-Kriegs-Lied Shapes of Things to come lässt das Album mit einer ausufernden Space Safari ausklingen. Produzent Roger Glover (Ex-Deep Purple) hat hier wahrlich ganze Arbeit geleistet!
Auch das 75er-Album Hair of the dog hat seine großen Momente, nicht zuletzt mit einer Bearbeitung des Nils Lofgren-Songs Beggars Day und der zehnminütigen Eigenkomposition Please Don’t Judas Me.
Nazareth sind Mitte der Siebziger Jahre auf der Höhe ihrer Zeit und on top, sowohl in Europa als auch den USA, ihre Karriere ist in der Folge ein ständiges Auf und Ab, gezeichnet auch von Besetzungswechseln. Mal werden sie kommerzieller, dann kehren sie zum Hardrock und oft auch ernsteren Themen zurück, etwa mit We are the people vom Album The Fool Circle 1981 oder beispielsweise The Gathering aus dem Jahr 2006 (The Newz).
Diese Liste ließe sich beliebig fortsetzen, und natürlich könnte man im umfangreichen Back-Katalog von Nazareth auch die eine oder andere Macho-Entgleisung monieren, galten sie doch in ihrer Blütezeit vor allem bei männlichen Jugendlichen als Idole – als Beispiel sei hier das ziemlich überflüssige Covermotiv des 1984er Albums The Catch genannt, welches aber andererseits mit This Months Messiah einen Song hervorgebracht hat, der sich – zu Recht! – heute noch in der Setlist findet.
Nazareth gehen auch im Jahr 53 ihres Bestehens noch auf Tournee, spielen im Gegensatz zu anderen „Classic-Rock“-Bands jedoch nicht nur das Greatest-Hits-Programm, sondern streuen gerne auch neue Songs ein (wie zuletzt vom aktuellen Album Tattooed on my Brain) oder graben immer wieder mal gerne die eine oder andere beinahe vergessene Songperle aus fünf Jahrzehnten aus.
Der Vergleich mit dem Schottischen Whiskey wurde in diesem Zusammenhang schon zu oft zitiert, doch bleibt zu wünschen, dass Nazareth noch möglichst lange weiterbestehen und vielleicht dieser Text auch manchen eine Anregung ist, hinter die Fassade der einstigen Hit-Lieferanten zu blicken und bis dato ungeahnte Schätze zu entdecken.