Anlässlich des Internationalen Tags gegen die Straflosigkeit für Verbrechen an Journalist*innen am 2. November zog die Organisation für Pressefreiheit Artículo 19 ein trauriges Resümée. 145 Medienschaffende wurden in Mexiko seit dem Jahr 2000 wegen ihrer Arbeit ermordet. Allein in diesem Jahr seien es bereits sieben gewesen, informierte Artículo 19. Zuletzt traf es den Fotoreporter Alfredo Cardoso Echeverría. Er wurde am 29. Oktober in der Pazifikstadt Acapulco verschleppt und später mit Schusswunden aufgefunden. Am 31. Oktober erlag er in einem Krankenhaus seinen Verletzungen. Am 28. Oktober erschossen Unbekannte den Journalisten Fredy López in San Cristóbal de las Casas im südmexikanischen Bundesstaat Chiapas.
Schikanen der Sicherheitskräfte sind alltäglich
Alle 13 Stunden wird nach Artículo-19-Angaben in Mexiko ein Medienschaffender angegriffen. Auch Schikanen der Sicherheitskräfte sind alltäglich. So stoppten Polizisten Anfang Oktober den Journalisten Jacob Morales in Acapulco. Sie inspizierten sein Auto, fotografierten ihn, den Wagen und die Nummernschilder. Morales, der sich mit Menschenrechten, Korruption und Kriminalität beschäftigt, konnte nach der Kontrolle weiterfahren. Dennoch hat er allen Grund zur Angst: Wo werden die Informationen landen? Mit wem arbeiten die Beamten zusammen? Bereits vor vier Jahren musste er die Touristenstadt vorübergehend verlassen, weil er massiv bedroht worden war.
Schon lange zählt Mexiko mit Syrien, Afghanistan und dem Irak zu den gefährlichsten Ländern für Medienschaffende. Weil die Angriffe auf Journalist*innen selten strafrechtlich verfolgt werden, ist meist nicht bekannt, wer dahinter steckt. Anfang Oktober hat der Menschenrechtsbeauftragte der Regierung, Alejandro Encinas, jedoch einen deutlichen Hinweis gegeben. Es sei „besonders alarmierend“, dass das größte Risiko für Journalist*innen von Sicherheitskräften ausgehe, die auf kommunaler Ebene mit kriminellen Gruppen kooperierten, sagte er bei der Vorstellung eines Berichts über Angriffe auf Menschenrechtsverteidiger*innen und Medienschaffende.
Wer in Sachen Korruption recherchiert, lebt gefährlich
Zwischen 40 und 50 Prozent der Agressionen gegen Journalist*innen gehen demnach von Beamten aus. Fast die Hälfte der Angegriffenen hätten sich mit Themen im Bereich Politik und Kriminalität beschäftigt. „Besonders gefährlich leben jene, die in kleinen Gemeinden die korrupten Verbindungen zwischen Politikern, Polizisten und der organisierten Kriminalität aufdecken“, erklärt Ignacio Rosaslanda vom Journalistennetzwerk Periodistas de a Pie.
Encinas zufolge starben 47 Reporter*innen eines gewaltsamen Todes, seit Präsident Andrés Manuel López Obrador im Dezember 2018 sein Amt übernommen hat. Das würde bedeuten, dass in dieser Zeit durchschnittlich noch mehr Medienleute ums Leben kamen als zuvor, obwohl der als links angesehene Staatschef mehr Sicherheit für Journalist*innen versprochen hatte. Reporter ohne Grenzen und Artículo 19 geben jedoch geringere Zahlen an. „Wir gehen etwa von 22 Todesopfern in diesem Zeitraum aus“, sagte Leopoldo Maldonado von Artículo 19. „Der Unterschied erklärt sich dadurch, dass wir nur die Ermordeten registrieren, von denen definitiv sicher ist, dass sie aufgrund der Ausübung ihres Berufs umgebracht wurden.“
Wie Encinas betont auch Maldonado, dass die anhaltenden Morde dem hohen Maß an Straflosigkeit geschuldet seien. 89,37 Prozent der in dem Bericht erwähnten Todesfälle wurden nicht juristisch verurteilt. Kommt es doch zu einer Strafe, landen meist nur die unmittelbaren Täter, etwa die Todesschützen, hinter Gittern. Die Hintermänner bleiben straffrei.
„Es fehlt noch immer am politischen Willen der lokalen Behörden“
Der Reporter Morales befindet sich seit Jahren in einem staatlichen Schutzprogramm, in das derzeit 136 Journalistinnen und 359 Journalisten eingebunden sind. Überwachungskameras, Nottelefone und Bodyguards sollen gefährdete Journalist*innen schützen. Viele wurden dennoch Opfer von Angriffen. Auch Morales rief umsonst Beamten an, als er in die Kontrolle geriet. Niemand kam. „Es fehlt noch immer am politischen Willen der lokalen Behörden, die oft selbst die Täter sind“, erklärt Maldonado. „Zudem steht für das Schutzprogramm zu wenig Geld und Personal zur Verfügung.“
Manche Journalist*innen gäben angesichts der Gefahren ihre Arbeit auf oder übten Selbstzensur, sagt PdP-Sprecher Rosaslanda. „Andere verlassen ihre Heimat.“ Sein Netzwerk hat eine Mexiko-weite Allianz mit lokalen Kolleg*innen aufgebaut, damit die Reporter*innen woanders und unter sicheren Bedingungen veröffentlichen können. „Aber einen wirklich sicheren Ort gibt es nicht“, betont er.