Die Europäische Aussengrenze abreissen. Diesen Koloss aus sechs Meter hohem Metall-Stacheldraht mit Scheinwerfern bestrahlt und Kameras überwacht. Und das am Jahrestag des Mauerfalles. Der Mauer, die ein ganz ähnliches Erscheinungsbild hatte und ebenfalls Tote forderte. Diesen Akt politischer Schönheit möchte das Zentrum für selbige begehen.
Nach ihren vorherigen spektakulären und provokativen Aktionen, wie der Steckbriefsuche nach Panzerproduzenten oder der Vermittlungsagentur des Bundes für syrische Kinder in deutsche Pflegefamilien, ist dies eine weitere aufrüttelnde und nicht bei allen willkommene Aktion.
In einer ersten Handlung haben die Künstler Gedenkkreuze entfernt, die in der Nähe des Reichtages an die Mauertoten gedenken sollen. Laut den Künstlern sollen sie dorthin gebracht werden, wo die aktuellen Mauertoten sind. Nicht die Vergangenheit, sondern die Gegenwart soll man beklagen. Kurios, dass ihnen die Abmontage ohne Aufsehen gelungen ist und auch der Verlust erst bemerkt wurde, als sie selbst sich an die Presse wandten. „Das nächste Mal nehmen wir den Bundestag mit.“
Als nächstes ist geplant, mit Bussen loszufahren an die Aussengrenzen. Das Geld für einen Bus voller Aktivistinnen haben sie bereits an einem Tag zusammenbekommen. Am 7.11. geht es vor dem Maxim Gorki Theater los, in welchem an diesem und an folgenden Tagen ein Programm zum Thema Flucht und zur Aktion stattfindet.
Pressenza hat sich mit Rainer Süssmuth vom Zentrum für Politische Schönheit unterhalten.
Angenommen, Ihr bekommt genug Geld zusammen: wieviele Menschen würden mit Euch kommen, die bei dem Versuch, die EU Aussengrenze abzumontieren, damit rechnen müssen, verhaftet zu werden? Und wie seid Ihr darauf vorbereitet? Das heisst, wie weit geht Ihr?
Wir gehen, soweit wir können. Jeder ist eingeladen, mit uns zu kommen und uns dabei zu helfen, die europäischen Mauern für immer unmöglich zu machen!
Es gibt Kritik von Opferverbänden gegen die Entführung der Gedenkkreuze. Dies habe mit den aktuellen Flüchtlingsproblematiken nichts zu tun und sei geschmacklos. Bei der Aktion für syrische Flüchtlinge hattet Ihr Opferorganisationen eher auf Eurer Seite. Wie geht Ihr mit der Kritik um?
Wir reden hier über Menschenleben, über die größte Flüchtlingskatastrophe seit dem 2. Weltkrieg. Die Aufregung ist heuchlerisch, zumal die Kreuze schon seit längerem geflüchtet sind und das keiner bemerkt hat. Wir respektieren und ehren die deutschen Mauertoten, wir erweitern das Gedenken um einen entscheidenden Gedanken: die Gegenwart. Der Skandal liegt in dem Gedenken an die Mauertoten bei gleichzeitigem Nichtgedenken an die über 30.000 Mauertoten. Wir müssen von einem Gedenken in ein Denken und vom Denken in ein Handeln kommen. Am 9. November, bei der Abschlussveranstaltung werden die Kreuze sich dann auch dazu äußern.
Hat sich die Polizei schon bei Euch gemeldet?
Ja, die Staatsanwaltschaft ermittelt bereits wegen besonders gefährlichem Diebstahls. Wenn tausende Menschen, durch Gesetze, die unter anderem durch unseren Innenminister initiiert wurden, an den europäischen Außengrenzen ums Leben kommen, ermittelt hingegen Keiner. Wir würden uns stattdessen freuen, wenn die Polizei uns ein zwei ihrer Kastenwagen zur Verfügung stellt, damit wir am 7. November mit denen an die EU-Außengrenze fahren können.
Was für eine Flüchtlingspolitik fordert Ihr? Wie sollte Europa mit großen Flüchtlingsströmen umgehen, die eventuell, bei quasi offenen Grenzen, eine wirkliche Belastung für unsere Wirtschafts- und Sozialpolitik werden könnten?
Die Frage, was Deutschland will, stellt sich nicht. Deutschland muss viel mehr Flüchtlinge aufnehmen! Wer Unrecht duldet, ohne sich dagegen zu wehren, macht sich selbst schuldig. Deutschland schrumpft jährlich um 300 000 Menschen, wieso geben wir den syrischen, den irakische Flüchtlingen, den Ärzten und Krankenpflegern keine Einreisegenehmigung, damit sie uns hier unterstützen können? Die Arbeitgeberverbände beklagen sich seit Jahren über fehlende Lehrlinge und finden keine. Wieso gibt Europa in sieben Jahren 2 Milliarden Euro für den Bau neuer Grenzanlagen aus und schottet sich ab, anstatt das Geld in die Strukturen zu investieren, die Deutschland, die Europa braucht, um die Flüchtlinge so zu behandeln, wie es angemessen ist: als Menschen, die sie sind, genau wie wir?