Es ist wichtig, genauer zu analysieren, welche Absichten und Prozesse der Einführung des derzeitigen techno-digitalen Modells zugrunde liegen, welche Auswirkungen es hat und wie seine Zukunft aussehen könnte.

Es besteht kein Zweifel daran, dass wir uns in einem Zeitalter der technologischen Revolution befinden, in dem die Digitalisierung in fast alle gesellschaftlichen Aktivitäten Einzug gehalten hat.

Das Internet, ein Raum, der für unsere soziale Interaktion so wichtig ist, hat sich in seinen Merkmalen verändert, hat sich jeglicher demokratischen Kontrolle entzogen und wird zunehmend von kommerziellen Interessen durchdrungen. Interessen, die Macht und Reichtum in einer Handvoll transnationaler Unternehmen konzentrieren, die de facto die Kontrolle über die Inhalte ausüben, die im Netz zirkulieren.

Ja, das Internet und die damit verbundenen Technologien, die im Idealfall zu einer stärkeren Demokratisierung von Wissen und politischer Aktivität dienen, die zu einer besseren Verteilung des Wohlstands und des kollektiven Erbes der Menschheit beitragen könnten, werden von bestimmten monopolistischen Absichten durchdrungen, die dies verhindern oder erschweren.

Es ist daher unerlässlich, genauer zu analysieren, welche Absichten und Prozesse der Einführung dieses techno-digitalen Modells zugrunde liegen, welches seine wichtigsten Auswirkungen sind und wie seine Zukunft aussehen könnte.

Laufende Prozesse

Es kommt häufig vor, dass Prozesse, die äußerlich eine gewisse Ähnlichkeit aufweisen, aber mit unterschiedlichen Absichten vorangetrieben werden, verwechselt und als identisch angesehen werden, obwohl sie unterschiedliche und sogar entgegengesetzte historische Richtungen darstellen.

Dies ist der Fall bei Prozessen wie der Mondialisierung (weltweiten Verflechtung)[1] und der Globalisierung. Während erstere einer historischen Tendenz der Verbindung zwischen Völkern und Kulturen entspricht, die heute ein vollständig vernetztes Mosaik der Vielfalt bilden und sich auf dem Weg zu einer möglichen universellen menschlichen Nation befinden, entspricht die Globalisierung dem Interesse kapitalistischer Unternehmen, ihre Aktivitäten ohne geografische Grenzen auszuweiten, während sie versuchen, sich jeder lokalen Verantwortung zu entziehen.

Es ist offensichtlich, dass die Mondialisierung zwar eine klare Entwicklungsrichtung hat und die Möglichkeit mit sich bringt, die historische Akkumulation jeder Kultur zu teilen und zusammenzuarbeiten, um die gemeinsamen Herausforderungen und auch die besonderen Herausforderungen jedes Volkes zu bewältigen, aber die Globalisierung wirkt auf regressive Weise, indem sie Kapital und Macht konzentriert und die demokratischen Entscheidungskapazitäten von der sozialen Basis entfernt, die bereits durch den Abbau der formalen Demokratie in der Institution des Staates geschwächt ist.

Etwas Ähnliches geschieht mit den digitalen Technologien und dem Internet, die in die oben erwähnten Prozesse eingebettet sind.

Betrachtet man die fortschreitende Digitalisierung im Lichte der Mondialisierung, so wird die Nützlichkeit der Verkürzung von Zeit und Entfernungen in der Kommunikation ebenso deutlich wie die Möglichkeit des freien Zugangs zu Wissen und dessen Austausch.

Im Sinne der Mondialisierung ist das Internet ein positives Mittel, um sich auszudrücken, Verhaltensweisen zu vergleichen, Erfahrungen auszutauschen, Projekte zu verstärken, Utopien zu kommunizieren, zu Veränderungen aufzurufen und die Welt und die Menschheit als Ganzes wahrzunehmen, geeint durch ein gemeinsames Schicksal.

Aber wenn wir dieselben technologischen Wunder unter dem Vergrößerungsglas der Globalisierung betrachten, sehen wir, dass wir vor einem Moment der Umkehrung des kapitalistischen Systems stehen, das sich aufgrund der monströsen spekulativen Ableitung seiner Überschüsse und der Verringerung der für das Kapital wünschenswerten Gewinnspannen in den produktiven Aktivitäten der Realwirtschaft zugunsten seines Wunsches nach unbegrenztem und schnellem Profit an einem Scheideweg befindet.

Die globalisierte digitale Wirtschaft stellt zusammen mit der propagierten „grünen Revolution“ einen Ausweg aus einem System der ausgrenzenden und ungerechten Akkumulation dar, das seinem Wesen nach zur Konzentration des Reichtums, zur sozialen Spaltung und, anders als behauptet, zur Plünderung des gemeinsamen Hauses neigt, indem es den Wohlstand privatisiert und nur die Not sozialisiert.

Kein Wunder also, dass das Weltwirtschaftsforum (WEF) selbst, eine Versammlung der Mächtigen und Unempfindlichen der Welt, sich sowohl der digitalen Sache als auch dem Diskurs über die grüne Transformation verschrieben hat. Für Naomi Klein ist „The Great Reset“ (der große Umbruch) – ein Programm, das in Davos 2020 von Klaus Schwab, dem Leiter des WEF und Vorstandsmitglied des elitären Bilderberg-Clubs, sowie von Prinz Charles, einem auffälligen Mitglied des britischen Königshauses, vorgestellt wird – ein Ort, an dem gewinnorientierte technologische Lösungen für komplexe soziale Probleme angepriesen werden, an dem die Chefs transnationaler Ölgiganten über die dringende Notwendigkeit der Bewältigung des Klimawandels sprechen und an dem Politiker die Dinge sagen, die sie in Krisenzeiten eben sagen: Dass es sich um eine Tragödie, aber auch um eine Chance handelt, dass sie sich verpflichtet haben, etwas Besseres wieder aufzubauen und einen „gerechteren, grüneren und gesünderen Planeten“ auf den Weg zu bringen.

Nicht umsonst gehörte Microsoft-CEO Brad Smith zu den Hauptrednern dieser Veranstaltung, der ausdrücklich erklärte: „Daten und Technologie im Allgemeinen sind unverzichtbare Werkzeuge für die Lösung fast aller Probleme, mit denen wir konfrontiert sind“.

Es ist auch kein Zufall, dass das WEF im März 2017 das erste Zentrum für die vierte industrielle Revolution in San Francisco, USA, eröffnete, in einer Gegend mit einer hohen Konzentration von Gründerzentren und Technologieunternehmen.

Die zwei Wege

Es gibt eine klare Weggabelung. Der eine Weg ist kurz und schnell, nämlich der der unkritischen digitalen Technologisierung, die zu einer größeren Abhängigkeit von konzentrierten Mächten und zu einer Zunahme von Ungleichheit und sozialer Ausgrenzung führt. Der andere Weg mit Blick auf das Gemeinwohl und die soziale Teilhabe ist vielleicht länger und langsamer, führt aber zu mehr Autonomie, Gerechtigkeit, Integration und sozialer Komplementarität.

Auf dem Weg, den das konzentrierte Kapital einschlägt, wird das Internet alle sozialen und menschlichen Komponenten verlieren. Die ersehnte universelle Konnektivität wird dann lediglich die Ausbeutung der von den Staaten getätigten sozialen Investitionen in die Infrastruktur durch gierige Geschäftsleute sein.

Auf diese Weise werden sich die digitalen Plattformen vervielfachen und prekäre Arbeit anbieten. Die Telearbeit wird die Arbeitszeiten nicht verringern, sondern erhöhen. Das Lohngefälle zwischen Wissensarbeiter:innen und Arbeitsplätzen der zweiten oder dritten Ebene wird sich vergrößern. Für Frauen wird die neue digitale Ausbeutung die unbezahlte Betreuungsarbeit und das Lohngefälle gegenüber Männern noch vergrößern.

Wenn das Internet endgültig zur Autobahn der transnationalen Unternehmen wird, werden sich die Instrumente der Informationsmanipulation, Überwachung und Kontrolle weiter ausbreiten und die Menschen zu Objekten eines unbegrenzten Datenextraktivismus machen.

Der Vormarsch der digitalen Unternehmen in den Bereichen Bildung und Gesundheit wird zu ideologischen Eingriffen in deren Inhalte und zum Eindringen in die Privatsphäre der betroffenen Gemeinschaften führen, immer zum größeren Ruhm und Reichtum der Aktionäre von Investmentfonds.

Auf diesem Weg wird die Ungleichheit zwischen dem globalen Norden und dem Süden zunehmen, der den Norden weiterhin mit digitalen und physischen Gütern durch erweiterten Konsum versorgen wird, ohne in den Genuss der Vorteile von Patentbesitz und Technologielizenzen zu kommen.

Auf diesem Weg werden die Konzerne erst eindringen und dann jeden Schimmer demokratischer Aktivität an sich reißen und zu einer Art globaler Konzernregierung werden, die in das multilaterale System der internationalen Beziehungen eingreift und es zu einem bloßen Vorwand zur Legitimierung ihrer Interessen macht.

Der alternative Weg ist die gemeinsame Aneignung der digitalen Technologie zum ausschließlichen Nutzen der menschlichen Gemeinschaft als Ganzes.

Damit das Recht auf das Internet eine wirksame Erweiterung der Rechte darstellt, ist wie in jedem anderen Bereich und bei jeder Gelegenheit in der Geschichte die entscheidende Beteiligung der Völker und ihrer Organisationen erforderlich.

Auf diese Weise kann eine Allianz zwischen dem Staat und der organisierten Gemeinschaft entstehen, eine öffentlich-gemeinschaftliche Allianz, die an die Stelle der ruchlosen „öffentlich-privaten Partnerschaft“ tritt, die im neoliberalen Rahmen das Eindringen des Kapitals in Regionen legitimierte, die zuvor für seine Geschäfte tabu waren.

Von dieser öffentlich-gemeinschaftlichen Allianz aus können universelle Konnektivitätsprojekte mit geteilter oder autonomer Verwaltung in Angriff genommen werden, so dass Infrastrukturen, Werkzeuge und Wissen sowie die notwendigen staatlichen Investitionen auf das Gemeinwohl und die Bildung aktiver und kritischer Nutzer:innen ausgerichtet werden.

In dieser Perspektive geht es vorrangig darum, Souveränität und Autonomie durch die Schaffung dezentralisierter, nicht invasiver, interoperabler und frei wählbarer technologischer Alternativen zu gewährleisten, Kooperationsnetze zwischen Organisationen zu schmieden, um von bloßen Empfängern zu Erzeugern und Gestaltern von Technologiepolitik zu werden, und den uneingeschränkten und gemeinsamen Zugang zu strategischem Wissen zwischen Nationen zu ermöglichen.

Es ist unausweichlich, große Technologieunternehmen und digitale Plattformen heute mit hohen Steuern zu belegen und ihre Flucht in Steuerparadiese zu verhindern, um ein bedingungsloses Grundeinkommen zu finanzieren. Wir müssen auch Gesetze fordern, die den Schutz und das individuelle oder gemeinschaftliche Eigentum an Daten garantieren und die Handlungen kommerzieller digitaler Plattformen im öffentlichen Interesse regulieren.

Es ist wichtig, sich nicht nur die Nutzung, sondern auch die Schaffung von Technologien und sozialen Netzwerken anzueignen, die weder bevormundend noch extraktivistisch sind, um Kommunikation, Organisation und soziale Annäherung zu fördern.

Letztlich ist der wissenschaftliche und technologische Fortschritt eine Errungenschaft der Völker und ihrer historischen Akkumulation. Die digitalen Werkzeuge müssen für die volle Entfaltung des Menschen eingesetzt werden. Andernfalls sind sie nicht nur nutzlos, sondern auch schädlich.

Diese Stellungnahme wurde am 6. Oktober 2021 auf der Tagung der Gruppe Bildung, Wissenschaft und Technologie (Grupo de Educación, Academia, Ciencia y Tecnología – GEACT), einem zivilgesellschaftlichen Mechanismus im Rahmen der Agenda für nachhaltige Entwicklung (Agenda 2030), und auf dem Forum der lateinamerikanischen und karibischen Länder für nachhaltige Entwicklung (Forum of Latin American and Caribbean Countries on Sustainable Development – FPALCDS) vorgestellt. Einige der Inhalte der Konferenz „Utopien oder Dystopien“ sind Teil der gemeinsamen Prognosen und Vorschläge. Los Pueblos de América Latina y el Caribe ante la era digital“, die von der Plattform Internet Ciudadana organisiert wird.

Die Übersetzung aus dem Englischen wurde von Anita Köbler vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam erstellt. Wir suchen Freiwillige! 


[1] Weltweite Verflechtung. Sie unterscheidet sich radikal vom Globalisierungsbegriff. Letzterer entspricht der uniformierenden Strömung, die vom Imperialismus, den Finanzgruppen und den internationalen Banken vorangetrieben wird. Die Globalisierung breitet sich auf Kosten der Vielfalt und Autonomie der Nationalstaaten, der Identität der Kulturen und Subkulturen aus. Die Verfechter der Globalisierung streben nach einem weltweiten System (s. Neue Weltordnung), das auf der ”offenen” Marktwirtschaft basiert. Der n. H. setzt sich für die w. V. ein, einen Prozess, bei dem die verschiedenen Kulturen sich einander nähern, ohne deshalb ihre Lebensart oder Identität zu verlieren. Der Prozess der w. V. tendiert dazu, sich über die nationalen Föderationen und die föderativen Regionalisierungen schließlich dem Modell einer weltweiten multiethnischen, multikulturellen und multikonfessionellen Konföderation anzunähern, d. h.: einer universellen menschlichen Nation. Wörterbuch des Neuen Humanismus