Oury Jallohs verbrannte in der Gewahrsamszelle Nr. 5 des Polizeireviers Dessau-Roßlau am 7. Januar 2005. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Dessau in dem Fall waren von Anfang an darauf ausgerichtet, nachzuweisen, „…dass die theoretische Möglichkeit jedenfalls bestand, dass er (Oury Jalloh) selbst die Tötung veranlasst hat“ – wie es der Leitende Oberstaatsanwalt Folker Bittmann auf der ersten und einzigen Pressekonferenz seiner Behörde zum „tragischen Ereignis“ des Brandmordes an Oury Jalloh formulierte.
Die Ermittlungen wurden und werden bis heute gezielt verschleppt, einseitig eingegrenzt oder abgeblockt. Beweise wurden aktiv manipuliert, Zeug:innen unter Druck gesetzt und Tatsachen vertuscht.
Die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh veröffentlichte am Donnerstag ein Protestschreiben an Dr. Katja Pähle, Fraktionsvorsitzende der SPD im Landtag Sachsen-Anhalt:
Frau Dr. Katja Pähle
Fraktionsvorsitzende der SPD
im Landtag Sachsen-AnhaltSehr geehrte Frau Dr. Pähle,
unser heutiger Protest richtet sich gegen die anhaltende Verweigerung der Einsetzung eines längst überfälligen Parlamentarischen Untersuchungsausschusses in Bezug auf die ungeklärten Todesfälle im Polizeirevier Dessau durch den Landtag Sachsen-Anhalt.
In diesem Revier sind in den Jahren zwischen 1997 und 2005 mindestens drei Menschen durch Polizeibeamte des Landes Sachsen-Anhalts auf brutale Weise um ihr Leben gebracht worden:
Am 7.Dezember 1997 wurde der 36-jährige Hans-Jürgen Rose von Dessauer Polizisten zu Tode gefoltert.
Am 30.Oktober 2002 verstarb der 36-jährige Mario Bichtemann in der Gewahrsamszelle 5 an einem Schädelbruch.
Am 7. Januar 2005 wurde der 36-jährige Oury Jalloh in derselben Zelle Nr.5 körperlich schwer misshandelt, an Händen und Füßen auf eine Matratze gefesselt und mit Hilfe von Brandbeschleunigern bis zur Unkenntlichkeit verbrannt.
Seit über 16 Jahren kämpfen wir, die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh, für die Aufklärung dieser Verbrechen. Dieser Kampf dauert an, weil Polizei und Justiz diese Aufklärung bis heute verweigern und die Verantwortlichen von Anfang an Rückendeckung durch die Politiker*innen des Landes Sachsen-Anhalt erhalten haben.
In einem Vorgespräch haben Sie gefragt, ob auch noch andere Mitglieder des Landtages heute im Rahmen dieses Protestes eine Erklärung überreicht bekommen, denn schließlich sind nicht nur Sie und Ihre Kolleg*innen von der SPD allein verantwortlich für den Umgang mit dem Mord an Oury Jalloh. Aus folgendem Grund wenden wir uns heute aber ganz speziell an Sie und die Mitglieder Ihrer Fraktion:
Sie haben – entgegen Ihres eigenen Beschlusses vom Juli 2020, in welchem es heißt, dass Sie nach der Landtagswahl einen Untersuchungsausschuss im Fall Oury Jalloh beantragen wollen – direkt nach der Wahl, im Zuge der Koalitionsverhandlungen, Abstand von Ihrem angekündigtem Vorhaben genommen. Vermutlich hat diese Entscheidung in Ihren machtpolitischen Überlegungen nur eine untergeordnete Rolle gespielt. In der Konsequenz bedeutet es aber, dass Sie und Ihre Fraktion ganz aktuell diejenigen sind, die diesen Untersuchungsausschuss verhindern.
Gerade im Fall von Oury Jalloh konnten wir über viele Jahre beobachten, wie die Verantwortung von einer Behörde in die nächste geschoben wurde, wie sich Entscheidungsträger*innen aus der Affäre ziehen wollten und mit dem Finger auf die »Anderen« gezeigt haben.
Aber hier und jetzt haben Sie diese Entscheidung getroffen. Sie haben sich bewusst gegen den Versuch einer politischen Aufarbeitung entschieden und somit auch die aus einem solchen Prozess resultierenden negativen Konsequenzen umgangen – Konsequenzen, die gleichfalls auch vormals verantwortliche Personen aus Ihrer Partei treffen würden.
Ehrlich gesagt sind wir nicht überrascht, dass dieser Beschluss Ihrer Fraktion direkt nach der Wahl für nichtig erklärt wurde. Bereits die Einsetzung der Sonderberater war kein konsequenter Schritt in Richtung Aufklärung, sondern das kleinere Übel, welches sich Ihre Partei zusammen mit der CDU und den Grünen als Ausweg gesucht haben, um die zahlreichen in den Fall involvierten Entscheidungsträger aus Polizei, Justiz und Politik nicht mit unbequemen Fragen weiter in Bedrängnis zu bringen.
Einer der wesentlichen Punkte, an welchem die Sonderberater gescheitert sind, ist die Frage der politischen Einflussnahme auf die Ermittlungen im Fall Oury Jalloh. Hinweise darauf gab es offensichtlich und selbst den Sonderberatern war sehr wohl klar, »dass solche Vorgänge nur in absoluten Ausnahmefällen Teil der offiziellen staatsanwaltschaftlichen, gerichtlichen oder ministeriellen Akten werden. Telefonische oder mündliche konspirative Vorgänge werden – wenn überhaupt nur durch Selbstbekenntnisse, anonyme Anzeigen, Hinweise aus der Presse oder durch Whistleblower bekannt.«
Dennoch stellen die Sonderberater keine juristisch getroffene Entscheidung in Frage. Dabei basiert bereits die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft auf der physikalischen Unmöglichkeit der Selbstentzündung. Trotz dieser Unmöglichkeit zog sich diese Hypothese durch beide Verfahren gegen den damaligen Dienstgruppenleiter und führte letztlich dazu, dass weder die Frage nach der Todesursache noch der Brandentstehung ernsthaft nachgegangen wurde. Das vom Landgericht Magdeburg getroffene Urteil basiert auf den Zeugenaussagen der Polizeibeamten, die Oury Jalloh umgebracht haben bzw. für dessen Tod sie verantwortlich sind – auf den Aussagen von Polizeibeamten, die mehr als eine Leiche im Keller haben. Die Versionen der Täter wurden also unhinterfragt zur juristischen Wahrheit erklärt – trotz widersprüchlicher Beweislage: Das Feuerzeug, mit welchem sich Oury Jalloh selbst angezündet haben soll, kann nicht in der Zelle gewesen sein. Es ist ein manipuliertes Beweismittel!
Im eklatanten Widerspruch zu den richterlichen Vorgaben des Bundesgerichtshofes in Karlsruhe hat das Landgericht Magdeburg weder die Todes- noch die Brandursache im Fall Oury Jalloh klären wollen. Hätten sich die Sonderberater ernsthaft mit den unabhängigen Ermittlungen unserer Initiative auseinandergesetzt, dann hätten sie wissen können, dass es sehr wohl eine Reihe offener Ermittlungsansätze im Fall Oury Jalloh gibt. Fakt ist, dass allein die beiden hauptverdächtigen Polizeibeamten zur Zeit der Brandlegung kein Alibi haben. Es ist nicht schwer, diese Punkte zu sehen, wenn Sie denn ernsthaft daran Interesse gehabt hätten. Interessanterweise ist es für die kritische Zivilgesellschaft offenkundig, dass hier gelogen und vertuscht wird.
Wir möchten Ihnen bewusst machen, dass diese Haltung Ihrer Fraktion deutlich zeigt, was wir seit Jahren in Sachsen-Anhalt beobachten können: Machtpolitisches Kalkül ist wichtiger als die bedingungslose Aufklärung dreier Morde im Polizeirevier Dessau. Diese charakterlose Umgangsweise von Politiker*innen mit dem Fall Oury Jalloh haben wir bereits in der letzten Legislaturperiode sehr eindrucksvoll von Ihrem ehemaligen Koalitionspartner, den Grünen, aufgezeigt bekommen.
Dieser Umgang mit Menschenleben ist eine weitere Demütigung der Opfer und der Angehörigen und ein Beweis dafür, wie politisch auf Landesebene Mörder geschützt werden – Mörder, die in diesem Bundesland frei herum laufen.
Verschweigen, Vertuschen und Verdrängen – das ist das Motto von Polizei, Justiz und Politik in Sachsen-Anhalt wenn es um das Polizeirevier in Dessau geht. Im Fall von Oury Jalloh können wir sagen, es handelt sich dabei um einen übergreifenden institutionelle Rassismus. An dieser Stelle ist es wichtig zu betonen, dass in diesen staatlichen Institutionen Menschen arbeiten, die wegweisende Entscheidungen treffen. Solch eine Entscheidung haben Sie mit Ihren Kolleg*innen getroffen. Mit dieser Politik schützen Sie Mörder!
Deshalb wenden wir uns mit unserem Protestschreiben ganz gezielt an Sie Frau Dr. Pähle. Sie sind eines der Rädchen im System, die der kritischen Öffentlichkeit deutlich machen, wie diese jahrelange Vertuschung funktioniert.
Initiative in Gedenken an Oury Jalloh
Oury Jalloh – Das war Mord!
Wir klären auf!