Interview mit Victoria und Lukas, die beide Teil der schweizer Koordination für die zapatistische Rundreise sind. Über die Hintergründe, Ziele und Probleme der zapatistischen „Viaje por la Vida“ und über das Camp in Basel.
Könnt ihr zu Beginn erklären, was die politischen Ziele der „Gira Zapatista“ sind?
L: Ich glaube es gibt zwei wichtige Ziele. Einerseits geht es um diesen symbolischen Akt des Widerstandes: 500 Jahre nach Beginn der Kolonialisierung kommt eine organisierte, indigene Bewegung nach Europa – ungebrochen. Es hat also diese dekoloniale Bedeutung. Andererseits geht es einfach darum einen Austausch zwischen indigenen Bewegungen und den revolutionären Bewegungen in Europa zu organisieren.
V: Ja genau. Die Zapatistas sagen immer: Sich kennenlernen, sich sehen, um die Differnzen zu überrbücken und an Stärke zu gewinnen. Sie haben sich entschieden Chiapas zu verlassen, das ist eine historische Sache. Es ist erst das zweite Mal, seit dem zapatistischen Aufstand 1994, dass eine grössere Delegation, das tut.[1]
Ein wichtiger Punkt noch ist, dass es nicht nur um die Zapatistas geht. Es ist Teil des Plans, dass auch Delegierte von anderen indigenen Kämpfen kommen. Beispielsweise vom Consejo Nacional Indigena (CNI) oder vom Frente de pueblos en defensa de la tierra y del agua Morelos, Puebla, Tlaxcala (FPDTA).
Was seht ihr für ein Potenzial in dieser Reise? Warum habt ihr entschieden euch an der Koordination zu beteiligen?
V: Ich bin Mexikanerin, die Zapatistas waren deshalb schon immer ein wichtiger politischer Bezugspunkt für mich. Vor zwei Jahren war ich an dem Treffen „Mujeres que luchan“ in Chiapas. Es waren dort 5‘000 Frauen. Das hat mich sehr stark beeindruckt. Zu sehen, dass man nicht allein ist. Ich habe dort gesehen, welche Bedeutung die Vernetzung und das Zusammenkommen haben kann. Ich denke, diese Delegation hat ein enormes Potenzial, auch wenn es noch unklar ist ob es ausgeschöpft werden kann.
L: Mich interessiert ein weiterer Aspekt daran. Wir haben in Europa eine starkes Problem mit Perspektivlosigkeit. Rojava ist oft einer der wenigen Bezugspunkten. In Chiapas wurden ebenfalls sehr spannende Erfahrungen mit dem Aufbau alternativer Gesellschaftsstrukturen gemacht, die aber oft wenig bekannt sind. Deshalb finde ich diesen Austausch sehr wichtig und erhoffe mir davon spannende Impulse.
Nun ist der Kontext, in dem eine indigene Befreiungsbewegung kämpft sehr anders, als unsere Bedingungen hier und jetzt. In welchen Bereichen können wir denn für hier etwas lernen?
L: Die Organisierung nach dem Räteprinzip ist auf jeden Fall zentral. Die Zapatist*innen zeigen praktisch auf, wie eine gesellschaftliche Organisierung von unten und ohne Staat funktionieren kann. Es ist doch sehr ermutigend zu sehen, dass anti-autoritäre Organisierung möglich ist und grosse Erfolge erringen kann.
V: Auch der feministische Kampf der zapatistischen Bewegung ist für uns wichtig. Die Frauen und die Otroas haben von Anfang an eine zentrale Rolle im Aufstand gespielt. Die mexikanische Gesellschaft ist wirklich unglaublich machistisch, aber die indigenen Frauen haben es geschafft. Es gibt kaum mehr Gewalt gegen Frauen oder Otroas in den zapatistischen Gebieten und die feministische Organisierung ist sehr stark. Sie nennen ihren Feminismus einen Feminismo Communitario. Also Feminismus als Teil von etwas: Teil einer Community, einer Bewegung, einer Familie. Im Gegensatz zu einem Feminismus wo es allein um die Schaffung von Individualität geht.
Ich finde diese Perspektive, gerade auch als Antwort auf den dominierenden weissen liberalen Feminismus, sehr wichtig.
Die zapatistische Bewegung muss oft auch als Projektionsfläche für europäische Linke herhalten. Wie habt ihr das während der Vorbereitungen auf diese Delegation empfunden?
V: Es gibt auf jeden Fall eine komische Mystifizierung von den Compas in Mexico. Ich kann mir vorstelllen, dass das mit der Perspektivlosigkeit hier zu tun hat. Ich glaube aber, dass die meisten, die in der Koordination in der Schweiz aktiv sind, doch seit einiger Zeit eine mehr oder weniger intensive Auseinandersetzung mit den Kämpfen der Zapatistas haben. Es gibt also auch grossen Respekt davor und sie bedienen sich dem nicht nur als schönes Bild.
L: Es ist auf jeden Fall eine Gefahr einfach zu denken: Sie haben es geschafft eine Utopie zu realisieren, um dann dabei stehen zu bleiben und zu applaudieren. Das interessante ist doch genau hinzuschauen: wie werden Probleme gelöst, was sind die Widersprüche, was hat das mit uns zu tun?
V: Und es ist auch gar keine Utopie, es ist ja Teil einer kapitalistischen Welt wo Rassismus gegen die indigene Bevölkerung extrem stark ist. Es gibt interne Probleme – wie in jeder Struktur – und es gibt andauernde Kämpfe gegen Grosskonzerne, Mega-Projekte und gegen den mexikanischen Staat und Paramilitarismus.
Wie steht es den konkret mit der Planung? Es war immer wieder von Problemen bei der Einreise nach Europa zu hören. Was ist der Stand?
V: 160 Menschen wollten kommen. Sie haben sehr rassistische Erfahrungen gemacht in Mexico, wo ihnen als Indigene der Reisepass verweigert wird. Erst ungefähr 60 Compas haben den Reisepass.
Das gleiche Problem haben wir auf europäischer Ebene: Fortress Europe. Es ist im Moment – auch aufgrund der Corona-Massnahmen – sehr schwierig ein Visa zu erhalten, auch wenn die Compas geimpft sind. Es hat sich alles sehr stark verzögert. Es kommen aber in den nächsten Wochen sicher 40 – 50 Compas.
Was ist in Basel geplant? Und was passiert, wenn es nicht gelingt, dass eine grössere Delegation einreisen kann?
V: Eine siebenköpfige Delegation der Zapatistas, der Escuadron 421, ist bereits als Vorhut in Europa. Sie haben unsere Einladung, unser Camp zu besuchen, angenommen und werden bald hier eintreffen.
Es gibt verschiedene Diskussionen und Veranstaltungen. Thematisch gehts um Kämpfe gegen das Migrationsregime, gegen die Macht der Konzerne, um Rätestrukturen, um solidarische Landwirtschaft und allgemein darum dort überall eine starke feministische Perspektive einzubringen.
L: Wir haben auch von Anfang an gesagt, es geht bei dieser Delegation nicht darum die Zapatistas abzufeieren, sondern darum unsere eigenen Kämpfe internationalistisch weiterzuentwickeln. Deshalb ist auch dieses Camp sehr wichtig als Ort des revolutionären Austausches.
V: Ein wichtiger Teil in der zapatistischen Widerstandskultur ist es auch das gemeinisame Feiern und es zu geniessen, dass wir zusammen einen Kampf führen. Das wollen wir aufnehmen, es wird auch einen kulturellen Teil, geben.
Habt ihr noch was anzufügen?
V: Wir freuen uns über Spenden für das Camp, aber auch für die gesamte Gira.
L: Ja und kommt Alle! Schaut euch das Programm an, das Camp vom 27. August bis zum 29. August wird sehr interessant. Und am Samstag rufen wir zu einer Demo gegen Kolonialismus und Ausbeutung auf!
[1] Das letzte Mal war vor genau 20 Jahren, der „Marcha del Color de la tierra“ der nach Mexico City führte und gemeinsam mit einem Hungerstreik politischen Druck aufbaute.