Tobias Tscherrig für die Online-Zeitung INFOsperber
Die britische Regierung hat angekündigt, Asylanträge auszulagern und Bewerberinnen und Bewerber in Zentren im Ausland unterzubringen. Damit folgt Grossbritannien dem Vorbild von Dänemark, das Anfang Juni ein entsprechendes Gesetz verabschiedet hat. Dass das nicht funktioniert und in hohem Masse unmenschlich ist, zeigt das Beispiel Australien.
Mit Repression gegen Flüchtende
Seit langem demonstriert die britische Regierung Härte gegenüber Flüchtenden, Migrantinnen und Migranten. Dabei zeigt sie viel Fantasie: So wurde etwa der Posten eines «Clandestine Channel Threat Commanders» geschaffen – also eines «Kapitäns für die Abwehr der verborgenen Bedrohung im Ärmelkanal». Ein abstruser Titel. Denn Dan O’Mahoney, der Mann, der den Posten besetzt, kämpft in seiner Funktion gegen flüchtende Menschen in Gummibooten. Sie sollen die «verborgene Bedrohung im Ärmelkanal» darstellen.
Aber die Pläne der britischen Regierung, um ihre Grenzen zu schützen, gehen weiter. Viel weiter. Einige der unmenschlichen Pläne, die das Ministerium erwog, um den – wie Innenministerin Priti Patel (Conservative Party) sagte – «schrecklichen und inakzeptablen» Anstieg der «illegalen Überfahrten» zu stoppen, sind inzwischen durchgesickert: Wellenmaschinen, die die Boote zurück nach Frankreich schubsen sollen, Auffanglager auf einer Insel im Südpazifik oder Gefängnisinseln auf ausrangierten Ölplattformen sind einige davon. Zwar wurden diese Ideen wieder verworfen, trotzdem kündigte Dan O’Mahoney an, im Kampf gegen Flüchtlingsboote Netze vor der Küste auslegen zu wollen, damit sich die Schiffsschrauben der Boote darin verfangen.
Unmenschlichkeit per Gesetz
Obwohl es die rigorosen Pläne vermuten lassen könnten, gehört Grossbritannien nicht zu den Ländern, die besonders oft von hilfe- und schutzsuchenden Menschen angesteuert werden. Pro Jahr werden in Grossbritannien etwa 35’000 Asylanträge gestellt. Die Zahl der Flüchtlinge und Migranten, die auf Schlauchbooten die britische Küste erreichen, nimmt zwar zu, blieb im Jahr 2020 mit insgesamt 8’500 aber relativ niedrig. Trotzdem zeichnet Hardlinerin Patel ein Bild von einem Asylsystem, das «zu kollabieren» drohe und das das öffentliche Vertrauen in den Staat untergrabe.
Die scharfe Rhetorik, die die britische Regierung unter Premierminister Boris Johnson gegen Flüchtlinge und Migranten fährt, ist erst der Anfang. Auf Worte folgen Taten – und zwar in Form eines Gesetzesentwurfs zur Auslagerung von Asylgesuchen, der von Patel initiert wurde. Der Gesetzesvorschlag «Nationality and Borders Bill» wurde am 6. Juli in einer ersten Lesung im Parlament behandelt. Er will nichts weniger, als Asylbewerberinnen und Asylbewerber in Zentren im Ausland unterzubringen, wo dann auch ihre Asylanträge behandelt werden sollen.
Wie das ablaufen könnte, wurde bereits Ende September publik: Die britische Regierung hatte erwogen, ihre Asylbewerberinnen und Asylbewerber auf die Insel Ascension im Südatlantik zu «exportieren». Andere Pläne betrafen ungenutzte Fähren auf See oder stillgelegte Ölplattformen. Nach Angaben des «Guardian», der Zugang zu vertraulichen Dokumenten des Ministeriums hatte, wurden auch Marokko, Moldawien und Papua-Neuguinea für die Einrichtung von Asylbearbeitungszentren in Betracht gezogen. Hauptsache weit weg.
Damit würden aber nicht nur die Rechte von Migrantinnen und Migranten mit Füssen getreten, eine derartige Praxis wäre auch ein Verstoss gegen die Genfer Flüchtlingskonvention, die diese Art der Abschiebung verbietet. Trotzdem machte Innenministerin Patel fleissig Stimmung und erklärte, dass der Gesetzesentwurf darauf abziele, den Briten das zu geben, wofür sie immer wieder gestimmt hätten: Die volle Kontrolle über die eigenen Grenzen.
Kritik am dänischen Weg
Der britische Gesetzesentwurf wurde initiiert, nachdem in Dänemark am 3. Juni ein Gesetz verabschiedet worden war, das die Einrichtung von Asylbearbeitungszentren im Ausland erlauben soll. Wie der «Guardian» berichtet, wolle Dänemark die eigenen Asylbearbeitungszentren höchstwahrscheinlich in Afrika einrichten. Ruanda, Tunesien, Äthiopien und Ägypten sollen als mögliche Standorte in Betracht gezogen werden. Obwohl die Pläne von Asyl- und Migrationsexperten kritisiert und als rechtlich nicht durchführbar bezeichnet wurden, verabschiedete das dänische Parlament einen entsprechenden Gesetzesentwurf mit der grossen Mehrheit von 70 zu 24 Stimmen. Die neue Regelung schafft aus Sicht der dänischen Regierung den rechtlichen Rahmen, um mit Drittländern Vereinbarungen über die Einrichtung solcher Asylzentren zu treffen.
Die dänische Regierung unter der Sozialdemokratin Mette Frederiksen bezeichnete den Gesetzesentwurf gar als «human». Der gewählte Ansatz werde Menschen davon abhalten, die gefährliche Reise über das Mittelmeer nach Europa zu unternehmen. Ausserdem werde dadurch das Geschäft von Menschenhändlern untergraben. Allerdings scheint diese Argumentationen kaum jemand nachvollziehen zu können. Nach eigenen Angaben befindet sich die dänische Regierung mit fünf bis zehn Ländern in Gesprächen – nur ist bisher keines dieser Drittländer bereit, ein solches Asylzentrum einzurichten. Deshalb bleibt unklar, ob das Gesetz überhaupt Auswirkungen haben wird.
Die EU hat das dänische Vorgehen denn auch scharf kritisiert. Es sei weder mit den bestehenden EU-Regeln noch mit dem neuen Pakt für Migration und Asyl vereinbar. Und auch das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) übte Kritik. Das Gesetz sei unvereinbar mit den Prinzipien der internationalen Flüchtlingszusammenarbeit, ausserdem riskiere Dänemark einen Dominoeffekt auszulösen, bei dem weitere Länder den Schutz von Flüchtlingen ebenfalls massiv einschränken könnten. Genau so, wie es zurzeit in Grossbritannien geschieht.
Koordination zwischen Dänemark und Grossbritannien?
Wie die «Times» berichtet hatte, haben sich die Mitglieder des britischen Innenministeriums mit ihren dänischen Kolleginnen und Kollegen getroffen, um über eine mögliche Zusammenarbeit bei der Einrichtung und Nutzung dieser umstrittenen Zentren zu besprechen. Das Dementi folgte dann im «Guardian», auch wenn die Antwort der zitierten Quelle aus dem britischen Innenministerium vage blieb: Man führe keine Gespräche mit Dänemark über die gemeinsame Nutzung eines Zentrums. Die britische Regierung führe Gespräche mit Regierungen, die ähnliche politische Ziele verfolgen würden. Grossbritannien und Dänemark hätten beide ein ähnliches Problem, und man denke, dass eine ähnliche politische Lösung eine mögliche Antwort darauf sei.
Während die dänische und die britische Regierung nach Schlupflöchern zu suchen scheinen, wie ihre Gesetze doch noch umgesetzt werden könnten, sind sich Expertinnen und Experten einig: Jede Politik, die die Abschiebung von Asylbewerbern beinhaltet, ist ein Verstoss gegen die UN-Flüchtlingskonvention, die sowohl Grossbritannien als auch Dänemark unterzeichnet haben.
Beispiel Australien: Unmenschlich, unwürdig, gescheitert
Die britische Vertreterin des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) fand bereits im Oktober in französischen Medien deutliche Worte. Demnach führe «die Bearbeitung von Anträgen im Ausland denjenigen grosses Leid zu, die einfach nur ihr Recht, Asyl zu beantragen, wahrnehmen». Oder wie es die UNHCR in einer Erklärung formuliert: «Es ist nicht illegal, Asyl zu beantragen – es ist ein universelles Recht – unabhängig von der Art der Reise oder den Bedingungen der Ankunft.»
Das hatte vor Dänemark und Grossbritannien auch schon Australien vergessen. Während Jahren hielt es überwiegend asylberechtigte Bootsflüchtlinge in sogenannten Offshore-Lagern auf Manus Island inmitten von Papua-Neuguinea fest. Sie kamen gar nicht erst dazu, einen ordnungsgemässen Antrag zu stellen. Australien entledigte sich eines Teils seiner Migrationsprobleme gewaltsam: Die Bootsflüchtlinge wurden mitten im Nirgendwo interniert und mussten dort oft jahrelang und unter widrigen Bedingungen ausharren. Neben der grossen Hitze litten sie unter anderem unter Misshandlungen, Vergewaltigungen, Tötungen, Tod durch Vernachlässigung, Einzelhaft, unter psychischen Problemen und Suizid. Seit 2013 haben dort 13 Menschen ihr Leben verloren. Die sogenannte «pazifische Lösung» war mit das Hässlichste, was sich ein demokratischer Staat in jüngerer Vergangenheit im Umgang mit Flüchtlingen geleistet hat.