Thomas Kesselring für die Online-Zeitung INFOsperber
Red. Der Skandal um die geheimen Kredite der Banken Credit Suisse und VTB in Gesamthöhe von über zwei Milliarden Dollar an Mosambik führt in diesem Land unter anderem zu noch mehr Armut und Inflation. Das zeigt ein unabhängiger Bericht, den Thomas Kesselring zusammenfasst. Kesselring unterrichtete jahrelang an einer Universität in Mosambik. Auf Infosperber berichtet er seit 2016 über den Fall.
Kosten und Folgen für die mosambikanische Bevölkerung
Seit der Skandal um die geheimen Kredite der Credit Suisse an Mosambik aufgeflogen ist, sind fünf Jahre vergangen. Ende Mai haben nun das mosambikanische Centro de Integridade Pública (CIP) und das norwegische Michelsen-Institut für Entwicklungsforschung zusammen einen 142 Seiten starken Bericht über die Kosten und Folgen dieses Skandals für die mosambikanische Bevölkerung publiziert (Costs and Consequences of the Hidden Debt Scandal of Mozambique).
Das CIP, ein renommiertes regierungsunabhängiges Institut in Maputo, ist seit Beginn des Kreditskandals um dessen Aufklärung bemüht. Die Autoren vermeiden pauschale Urteile und versuchen stattdessen, unter den diversen Faktoren, die die wirtschaftliche, soziale und politische Zuspitzung der Lage in Mosambik verursachten, die Effekte des Kreditskandals minutiös herauszurechnen. Wir fassen hier die wichtigsten Ergebnisse des Berichts zusammen (Ziffern in Klammern beziehen sich auf die Seitenzahlen des Berichts).
Soziale Folgen: Spürbare Zunahme der Armut
- Mosambik reduzierte seine Staatsausgaben zwischen 2014 und 2016 um praktisch einen Viertel. Den sozialen Sektor traf es überproportional hart: Zwischen den Jahren 2013-15 und 2016-18 fielen die Ausgaben für Bildung und Gesundheit um 1,7 Milliarden Dollar – in der Bildung von 44 auf 30 Dollar pro Person und Jahr und in der Gesundheit von 23 auf 13 Dollar pro Person und Jahr (S.114). Für die von diesen Kürzungen betroffenen Segmente der Bevölkerung ist der Einschnitt noch entsprechend grösser. Die Kürzung der Bildungskosten betrifft v.a. die 6- bis 24-Jährigen – in Mosambik ist das etwa die Hälfte der Bevölkerung. Die Investitionen für die Infrastruktur fielen in der gleichen Periode um 39% – davon wurde insbesondere die Landwirtschaft empfindlich getroffen.
- Die Inflation verzehnfachte sich zwischen 2014 und 2016 von 2,5% auf 25,3%. Die Landeswährung erfuhr eine Abwertung um 60%. Deshalb schrumpfte der Import von Konsumgütern, und zwar um mehr als ein Drittel, während die Preise für Grundnahrungsmittel 2016/17 in der gleichen Proportion stiegen. Auch Gas und Wasser verteuerten sich um einen Fünftel. Die Arbeitslosigkeit nahm um etwa 10% zu, wobei die Mehrheit der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung ohnehin auf informelle Jobs angewiesen ist. Das Durchschnittseinkommen sank um mehr als einen Drittel – von 604 Dollar (2015) auf 386 Dollar (2016). Auch wenn dafür die Kreditkrise nicht die einzige Ursache war, hatte sie dabei doch einen erheblichen Anteil. Gleichzeitig stiegen die Lebenshaltungskosten um gut einen Fünftel.
- Die Armut nahm deutlich zu. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung Mosambiks (16,2 von 29,5 Millionen) lebten 2019 unter der Armutsgrenze. Das waren 2,6 Millionen mehr, als aufgrund des Bevölkerungswachstums allein zu erwarten gewesen wäre. Die Autoren der Studie nehmen an, dass der übermässige Armuts-Zuwachs zwar auf mehrere Faktoren zurückzuführen ist. Bei weitem der bedeutendste ist allerdings die Verschlechterung der wirtschaftlichen Bedingungen infolge der Geheimen Kredite. Ihn machen sie für eine Zunahme der Armuts-Opfer um 1,9 Millionen verantwortlich(S. 108-111).
Kurzgeschichte des Skandals
Die Krise um die geheimen Kredite begann schon, bevor im April 2016 die Existenz des Proindicus- und MAM-Kredits bekannt wurden. Vor ihnen wurde im September 2013 der Ematum-Kredit (850 Millionen Dollar) publik, der angeblich zur Anschaffung einer Thunfisch-Fangflotte bestimmt war. Die Schiffe sollten in einer vom libanesischen Schiffbau-Imperium Privinvest betriebenen Werft im französischen Cherbourg gebaut werden und laut französischen Zeitungen 230 Millionen Dollar kosten. Die Verwendung der übrigen 620 Millionen des Kredits blieb nebulös, und es kursierten Gerüchte, dass Mosambiks Regierungspartei, Frelimo, Waffen für den wieder aufgeflammten Krieg mit der Renamo kaufen wollte. Als die wahre Verwendung des gesamten Kredits auch zwei Jahre später noch nicht aufgeklärt war, wurde der IWF, der sich durch Mosambik Geheimhaltungsmanöver hintergangen fühlte, unwirsch und drohte mit Massnahmen. Mosambiks Kreditwürdigkeit war angeschlagen. Deshalb verschlechterte sich die ökonomische Situation des Landes bereits 2015. Auf entsprechende Nachfrage des IWF log die mosambikanische Regierung, es gebe keine weiteren Kredite, die man vor dem IWF geheimhalte. Als im April 2016 dann doch zwei solche Kredite (zu 622 und 535 Millionen Dollar) publik wurden, kam es zum Kladderadatsch. Der IWF und die Geberländer sistierten bis auf Weiteres die Budgethilfe und direkte Projektzahlungen an Mosambik. Da die mosambikanische Regierung das Versteckspiel jahrelang weitertrieb, blieben auch die Hilfszahlungen ebenso lange aus.
Die drei Kredite Ematum, Proindicus und MAM gehören zusammen: Insgesamt betrugen sie 2007 Millionen Dollar. Die Credit Suisse hatte die ersten 500 Millionen Dollar für den Ematum-Kredit organisiert (unter betrügerischen Bedingungen, wie man heute weiss) und 504 Millionen Dollar an den Proindicus-Kredit. Weitere 1003 Millionen organisierte die russische Bank VTB.
Wie nach und nach bekannt wurde, sollten sie hauptsächlich einem Küstenschutzprojekt gelten, das die libanesische Schiffbaufirma Privinvest von Iskandar Safa für Mosambik bauen wollte. Um sich den Auftrag zu sichern und die nötigen Kredite aufzutreiben, setzte Privinvest bzw. ihr Chef, Iskandar Safa, gegen 200 Millionen Dollar an Schmiergeldern ein: einen Teil für mosambikanische Funktionäre und einen Teil für Investmentbanker der Credit Suisse in London. Auch der Chef der Firma AMT (Advanced Maritime Transports) in Nyon, Arnaud Lelouvier, erhielt eine Million, weil er Privinvest und den Mosambikanern die russische Bank VTB vermittelte. Derzeit befassen sich Gerichte in fünf Ländern mit dem Skandal.
Wirtschaftliche Konsequenzen – buchstäblich ein Desaster
- Bis Ende 2019 ist trotz bisher erfolgter Tilgungs- und Zinszahlungen von 674,2 Millionen Dollar eine Schuld von 2031 Millionen Dollar aufgelaufen. Dieser Betrag liegt höher als die Summe der Ausgaben in Höhe von 2007 Millionen. Zum Vergleich: Allein mit den 674 Millionen an Tilgungszahlungen hätte Mosambik, wie die Autoren vorrechnen, 56‘000 Klassenräume zu 12‘000 Dollar das Stück oder 898 Gesundheitszentren zu 750‘000 Dollar bauen können.
Berechnet man die Zinsen bis zum vertraglich vorgesehenen letzten Rückzahlungsdatum im Jahr 2031 mit ein, so wird sich die Gesamtschuld auf 3‘930 Millionen Dollar summieren. Zusammen mit den erfolgten Tilgungszahlungen kommt man auf 4‘619 Millionen Dollar. Das ist mehr als das Doppelte der ursprünglichen Kreditsumme. Für jede Bürgerin, jeden Bürger, bedeutet das einen Schulden-Anteil von 159 Dollar oder 12 Prozent des Jahresdurchschnittseinkommens. Mit den 4‘619 Millionen könnte Mosambik 376‘000 Klassenräumen oder 5898 Gesundheitszentren bauen (S.26, 115). - Als im April 2016 der volle Umfang des Kreditdeals bekannt wurde, blockierte der IWF sofort Budgethilfe und Direktzahlungen (410 Millionen), und die Geberländer blockierten zusammen weitere 401 Millionen Dollar für 2016. Da die mosambikanische Regierung bei der Aufdeckung des Skandals nicht kooperierte, verlängerte sich die Blockade Jahr für Jahr. Die Gelder von IWF und Geberländern fehlen seither jedes Jahr. China, das in der Zwischenzeit in die Bresche sprang, ist heute der wichtigste bilaterale Kreditgeber Mosambiks (die Schulden gegenüber China betragen 37% der bilateralen Schulden; p.38)
- Die Auslandsverschuldung Mosambiks stieg zwischen 2015 und 2019 von 1,73 auf 2,45 Milliarden Dollar, also um 41.6%, der Schuldendienst kletterte in dieser Zeit von 291 auf 470 Millionen Dollar pro Jahr (S.38). Hinzu kommt eine wachsende Inlandverschuldung. Die zu ihrer Bedienung fälligen Beiträge haben sich sogar fast vervierfacht, von 11,5 auf 41,2 Milliarden Metical (Landeswährung). Der Metical verlor während dieser Frist allerdings fast die Hälfte seines Werts (Verhältnis Dollar – Metical im Januar 2015: 1 zu 40; im Januar 2019: 1 zu 70).
- Das Wirtschaftswachstum, das 2015 noch 6,7% betragen hatte, sank 2016 auf 3,8% und 2019 auf 2,3%. Dieses Wachstum liegt einen Fünftel tiefer als das in Mosambik sehr hohe Bevölkerungswachstums von 2,8% im Jahr. Da der Einbruch des Wirtschaftswachstums neben den geheimen Krediten auch andere Ursachen hat (zum Beispiel Wettereskapaden, darunter zwei Zyklone im Februar und April 2019), schreiben die Autoren den Skandalfolgen einen jährlich variierenden Betrag zwischen 62 und 40% der jeweiligen Einbussen zu. Dabei kommen sie bis 2019 insgesamt auf einen Betrag von 10‘659 Millionen Dollar.
- Mosambiks Kreditwürdigkeit wurde massiv herabgestuft. Moody‘s platziert Mosambik in einer Länderliste auf den zweithintersten Rang – noch hinter Venezuela (S.72). Entsprechend sanken von 2014 bis 2019 die ausländischen Direktinvestitionen, die laut IWF-Prognosen um 45% hätten steigen sollen, um mehr als die Hälfte: von 4‘902 Millionen Dollar anno 2014 auf 2‘212 Millionen im Jahr 2019 (S.46).
Die Gesamtsumme aller Verluste in den Jahren 2016-2019 beziffern die Autoren auf 11‘333 Millionen Dollar bzw. 403 Dollar pro Person – was einem Drittel des durchschnittlichen Jahreseinkommens entspricht (S. 123). Hinzu kommen künftige Kredit-Rückzahlungen und Zinsen bis 2031 von weiteren 3‘930 Millionen Dollar.
Politische Konsequenzen: Rasant zunehmende Demokratie-Defizite
- Ein erheblicher Teil der Parteiführung der Frelimo ist in die Affäre um die geheimen Kredite verwickelt. Das gilt für den aktuellen Präsidenten, Filipe Nyusi (Präsident seit 2015), genau so wie für seinen Vorgänger, Armando Guebuza. Mosambiks Regierung hat daher keine Freude an der Aufarbeitung des Skandals. Gemäss dem World Government Indicator tauchten Mosambiks Governance-Werte nach dem Jahr 2009 in die Tiefe, und zwar besonders steil von 2013 an. In diesem Szenario ist der Kreditskandal allerdings eher eine Folge als die Ursache (S.55).
- Die Pressefreiheit ist in den vergangenen Jahren zunehmend eingeschränkt worden. Die Regierung bewegt sich deutlich in Richtung Autoritarismus. Laut Umfragen in der Bevölkerung ist das Gefühl der Meinungsfreiheit zwischen 2009 und 2018 massiv zurückgegangen (S.93), und politisch bedingte Morde wurden nach 2012 häufiger (S.93). Einige Personen, die die geheimen Kredite öffentlich kritisierten, erhielten Todesdrohungen oder wurden mit Kidnapping und Folter zum Schweigen gebracht (94f.).
Mit diversen, auch wechselnden Massnahmen versucht die Regierung, die öffentliche Meinung zu manipulieren. Seit knapp zehn Jahren existiert eine Gruppe von Akademikern (genannt „G 40“), die in den Medien gezielt lobende Worte für die Regierung findet und Kritiker an den Pranger stellt (S. 96). Nyusi wurde im Oktober 2019 zwar als Präsident mit über 70 Prozent der Stimmen wiedergewählt, aber die Wahlen waren alles andere als frei und fair. Erfolglos war die Regierung 2018 hingegen mit einem Dekret, das Journalisten durch hohe Zahlungen davon abschrecken sollte, im Land tätig zu sein. Ausländische Journalisten hätten für ihre Akkreditierung alle zwei Jahre je 8300 Dollar zahlen müssen, Freelancer 2500 Dollar und mosambikanische Journalisten, die für ausländische Medien arbeiten, 3300 Dollar (d.h. zweieinhalbmal das durchschnittliche Jahreseinkommen). Wegen Verfassungswidrigkeit zog die Regierung das Dekret zurück. Doch säubert sie nun die Medien gezielt von regierungskritischem Führungspersonal. Von der Region des kriegerischen Konflikts in Cabo Delgado, dem akutesten Problemherd im heutigen Mosambik, werden Journalisten ausdrücklich ausgesperrt. Die Regierung, die den Konflikt nach aussen als jihadistische Verschwörung verkaufen möchte, will unbedingt vermeiden, dass die Welt die soziale Vernachlässigung der Region als primäre Kriegsursache anerkennt. Der Chefredaktor von Zitamar News, einer Online-Zeitung, die bisher offen über den Konflikt berichtete, wurde kürzlich des Landes verwiesen.
Fazit und Einordnung des Berichts
«Zählt man die Direktzahlungen infolge der geheimen Kredite, die Kosten für die Bewältigung des Debakels und die verheerenden Auswirkungen auf die Wirtschaft zusammen, so haben die Mosambikaner zwischen 2016 und 2019 über 11 Milliarden US-Dollar oder 403 US-Dollar pro Kopf bezahlt. Weitere 4 Milliarden US-Dollar werden sie für den noch bevorstehenden Schuldendienst leisten müssen. Sie werden womöglich für immer an den Folgen des wirtschaftlichen Schadens leiden. Das Funktionieren der politischen Institutionen verschlechterte sich ebenfalls, die Regierung wurde autoritärer, die Sozialhilfe ging zurück und die Armut nahm rapide zu. 1,9 Millionen Menschen sind zwischen 2016 und 2019 wegen des Kredit-Debakels unter die Konsumarmutsgrenze gefallen.» (119)
Unberücksichtigt bleiben in dem Bericht mögliche Strafzahlungen, die als Folge der Kredit-Affäre auf das Land zukommen könnten. Der Chef der Schiffbaufirma Privinvest, Iskandar Safa, verlangt von Mosambik nämlich Zahlungen in der Grössenordnung von 800 Millionen Dollar. Eine entsprechende Klage gegen Mosambik hat er bei den Schiedsgerichten von Genf und Paris eingereicht. Unberücksichtigt sind auch mögliche Kosten für die juristische Aufarbeitung des Skandals. Die Auflärungsarbeit der Audit-Firma Kroll im Frühjahr 2017 hat Schweden finanziert. Derzeit sind gegenseitige Klagen zwischen der mosambikanischen Staatsanwaltschaft und der Credit Suisse einerseits und der Firma Privinvest andererseits hängig. Auch die russische Bank VTB klagt gegen Mosambik. Also dürften noch stattliche Gerichtskosten anfallen. Da sich der Streit zwischen Mosambik und der Credit Suisse nur auf einen der drei Kredite bezieht, ist die Chance minimal, dass dem Land die Rückzahlung aller drei Kredite erlassen werden könnte.
Der Bericht über die Folgen des Kreditskandals fällt in eine Zeit, in der Mosambik mit einem neuen, noch weit grösseren Problem zu kämpfen hat – dem Krieg in der nördlichsten Provinz Cabo Delgado, der bisher über 700‘000 Menschen in die Flucht trieb und der weiter zu eskalieren droht.