Pressemitteilung vom 24.04.2021: Deutschland blockiert die Patentfreigabe der COVID-19-Impfstoffe und verhindert damit einen effektiven Kampf gegen die weltweite Corona-Pandemie. Dabei könnten damit hunderttausende Leben gerettet und die Erholung der globalen Wirtschaft beschleunigt werden.
Das Festhalten von westlicher Politik und Pharmaindustrie an Profitmaximierung und überholten Vorstellungen bezüglich Patentrechts verlangsamt weltweit den Impffortschritt und kostet unzählige Menschenleben – auch und gerade im globalen Süden. Das FIfF fordert daher die Deutsche Bundesregierung und die EU-Kommission auf, den von Südafrika und Indien vorgeschlagenen TRIPS-Waiver zu unterstützen und sich damit aktiv für eine Aussetzung der Patente auf COVID-19-Impfstoffe einzusetzen.
In der heutigen, vernetzten Welt ist es unsere Verantwortung, die Bekämpfung der globalen Pandemie nicht von lokalen ökonomischen Interessen abhängig zu machen. Die globalen Bewegungsströme, die für die Ausbreitung des Virus verantwortlich sind, sind maßgeblich durch westliche Handelsinteressen und westliche Mobilität geprägt. Die Bekämpfung der Pandemie muss global erfolgen und darf nicht zu Gunsten einiger weniger Konzerne verschleppt oder gar zu Nichte gemacht werden.
Öffentliches Geld, öffentliches Gut
Dass wir nach wenigen Monaten bereits mehrere hochwirksame Impfstoffe gegen einen neuartigen Erreger haben, ist insbesondere einem erhöhten gesellschaftlichen Druck, kollektiver Anstrengung und öffentlicher Finanzierung zu verdanken. Die deutsche Regierung hat etwa Biontech mit 375 Millionen Euro [1] gefördert. Des Weiteren wurden weitreichende Zugeständnisse bei Haftungsfragen an die Unternehmen gemacht – so haftet bei den von staatlicher Stelle empfohlenen Impfstoffen grundsätzlich der Staat, nicht das Unternehmen (vgl. §60 IfSG [2]). Die Gewinne, die mit der Verwertung dieser öffentlichen Finanzierung einhergehen, streichen nun die erfolgreichen Pharmafirmen ein, ohne dabei Verantwortung übernehmen zu müssen. Dabei sichern Patente die Gewinne, weil so Konkurrenz verhindert wird. Gerade in Zeiten einer weltweiten Ausnahmesituation können wir nicht zulassen, dass große Pharmaunternehmen wichtige Gesundheitstechnologien privatisieren, die mit öffentlichen Mitteln entwickelt wurden. Was von der Öffentlichkeit bezahlt und verantwortet wird, muss auch durch die öffentliche Hand kontrolliert werden!
Durch Patente und geheim gehaltenes Herstellungs-Know-how wird der Impfstoff nun gezielt verknappt. Das verhindert, dass zusätzliche Fabriken – gerade auch im globalen Süden – in die Produktion der lebensrettenden Substanzen einsteigen können.
Der TRIPS-Waiver
Ein wichtiges global-politisches Instrument, mit dem Pharma-Patentrechte durchgesetzt werden, ist der sogenannte Rat für handelsbezogene Rechte des geistigen Eigentums bei der Welthandelsorganisation (TRIPS-Council WTO). Die Regierungen Südafrikas und Indiens haben bereits im Oktober 2020 bei der WTO eine Aussetzung des TRIPS-Abkommens für die Zeit der Pandemie (TRIPS-Waiver) beantragt. Die Aussetzung bezieht sich auf Technologien die direkt für den Kampf gegen die Pandemie benötigt werden – etwa Masken, Test und PPE – aber auch Impfstoffe. Weltweit könnten so zusätzliche Firmen in die Impfstoffproduktion einsteigen. Der Vorschlag TRIPS-Waiver bietet einen schnelle, offene, skalierbare und vor allem globale Lösungsansatz. Dieser ermöglicht es souveränen Staaten, zeitlich begrenzt eigene Regeln bezüglich Corona-Impfstoff-Patenten aufzustellen und den direkten, lokalen und bedarfsbezogenen Ausbau von Produktion und Lieferung der Impfstoffe, ohne dafür Sanktionen von der WTO fürchten zu müssen. Zusätzliche Technologietransferprogramme – wie sie etwa von der WHO angestrebt werden – könnten diesen Produktionsausbau dann sogar noch zusätzlich beschleunigen [3]
Der Trips-Waiver wird von der EU aufgrund von fadenscheinigen und kurzsichtigen ökonomischen Argumenten verhindert, die fernab der lebensbedrohlichen Realität der globalen Pandemie liegen. „In Sorge um die Profite der hiesigen Pharma-Firmen verschießt die Bundesregierung Nebelkerzen, wie den Verweis auf die unzureichenden TRIPS-Flexibilitäten und auf das COVAX-Programm, anstatt sich für eine wirksame Lösung wie den TRIPS-Waiver stark zu machen.“ konstatiert Alexander Prehn vom FIfF (siehe auch [4]).
Hochgepriesene Scheinlösungen
Das COVAX-Programm zielt lediglich auf eine Versorgung von 20 Prozent der jeweiligen Bevölkerungen der beteiligten Länder bis Ende 2021 ab. Zudem werden selbst diese Dosen nicht plangemäß bereitgestellt. [5]
Die sogenannten TRIPS-Flexibilitäten ihrerseits beziehen sich immer auf einzelne Fälle und einzelne Produkte, sind langwierig, bürokratisch aufwendig und für Länder sehr schwierig in der Umsetzung – insbesondere für Länder ohne bereits aufgebaute Produktionskapazitäten. Das kann zu erheblichen unnötigen Komplikationen und Verzögerungen führen. Zudem hat die Vergangenheit gezeigt, dass westliche Staaten nicht davor zurückschrecken, selbst die Trips-Flexibilitäten im Dienste eigener wirtschaftlicher Interessen umzudeuten [6] .
Erfolgsrezept aus der Geschichte
Der Einfluss, den eine solche Patenfreigabe auf Verfügbarkeit und Kosten der Impfstoffe hätte, zeigt der Vergleich mit der HIV/AIDS Epidemie. Jahrelanger politischer Aktivismus führte hier zur teilweisen Öffnung des Patentmonopols – unter anderem im Rahmen der DOHA Convention [7]. Daraufhin konnten Länder des globalen Südens eigene Produktionskapazitäten antiviraler Medikamente aufbauen – die Kosten der Versorgung eines HIV-positiven bzw. AIDS kranken Menschen sank um 99% und infolgedessen verbesserte sich die Versorgungslage drastisch [8]. Auch in der Corona Pandemie verhindern aktuell Patente, dass Covid-19 Impfstoffe lokal und nach Bedarf produziert, verteilt und angewendet werden können und der Preis wird mit Hilfe von Patenten von einzelnen Herstellern kontrolliert und profitmaximierend hochgehalten
Der TRIPS-Waiver ist die Chance für die EU, klar Position für globale Gerechtigkeit zu beziehen!
Moderne Biotechnologie ist ohne Informatik undenkbar und die Grenzen zwischen Hard- und Wet-ware verschwimmen zusehends. Die gleichen Leitwerte, die den Weg in eine gute digitale Zukunft weisen, sind dabei oft direkt auf die Pharma- und Medizintechnikbrache übertragbar. Quelloffene und freie Software demokratisiert den Zugang zu Wissen über Technologien und ihren Folgen. In ähnlicher Weise kann eine faire Verteilung und Transparenz moderner Biotechnologie nur möglich sein, wenn die Methoden, die ihr zugrunde liegen, offen bekannt sind. Transparenz steht einer wirtschaftlichen Verwertung dieser Technologien nicht im Wege.
Wie jede Krise hat auch die Pandemie die Kluft zwischen Arm und Reich auf der Welt wieder deutlich sichtbarer gemacht. Als FIfF setzen wir der Vorherrschaft der profitmaximierenden Ökonomie eine humane und ökologische Orientierung entgegen und fordern daher die deutsche Bundesregierung und EU-Kommission auf, den von Südafrika und Indien vorgeschlagenen TRIPS-Waiver zu unterstützen und sich aktiv für eine Freigabe der Patente auf COVID-19-Impfstoffe und deren Rezepte einzusetzen. „Erst durch die Unterstützung des TRIPS-Waiver werden die Bundesrepublik Deutschland und die EU den eigenen Wertevorstellungen gerecht und tragen dazu bei, die Pandemie so schnell wie möglich zu beenden, unzählige Menschenleben zu retten und für die Erholung der globalen Wirtschaft zu sorgen.“ fasst Patrizia Pschera vom FIfF zusammen.