Heute, am 22. Januar 2021, tritt der internationale Vertrag über das Verbot von Kernwaffen (auch Atomwaffenverbotsvertrag, kurz AVV, auf Englisch TPNW) als Norm des Völkerrechts in Kraft. Bis heute wurde er von 86 Staaten unterzeichnet (es gibt 194 Vertragsstaaten in der UN) und von 51 ratifiziert.

Viele Artikel und Kommentare zum Thema AVV und nukleares Risiko wurden auf Pressenza veröffentlicht und wir wollen nicht alle Argumentionen wiederholen (ich empfehle auch A. Pascolini, „Ein Jahr seit dem Verbot von Atomwaffen: ein seltsamer Vertrag“, The Bo-Live, 7. Juli 2018, https://ilbolive.unipd.it/it/blog-page/bando-armi-nucleari-trattato-tpnw-proibizione).

Wir rufen die Bestimmungen von Artikel 1 des Vertrags zusammenfassend ins Gedächtnis (der vollständige Text ist unter https://www.avvenire.it/c/mondo/Documents/trattato%20ITA.pdf zu finden). Der AVV verpflichtet jeden Vertragsstaat dazu, „nicht: (a) Kernwaffen oder andere nukleare Sprengkörper zu entwickeln, zu erproben, herzustellen oder zu erwerben, zu besitzen oder zu lagern; (b) Kernwaffen oder andere nukleare Sprengkörper oder die Kontrolle über solche Waffen oder Sprengkörper direkt oder indirekt an irgendeinen Empfänger weiterzugeben; (c) Kernwaffen oder andere nukleare Sprengkörper direkt oder indirekt zu erhalten zu erhalten; (d) Kernwaffen oder andere nukleare Sprengkörper einzusetzen oder mit ihrem Einsatz zu drohen; (e) eine Person in irgendeiner Weise zu unterstützen, zu ermutigen oder zu veranlassen, sich an einer Tätigkeit zu beteiligen, die einem Vertragsstaat dieses Vertrags verboten ist; (f) von einer Person in irgendeiner Weise Unterstützung zu suchen oder zu erhalten, um eine Tätigkeit zu begehen, die einem Vertragsstaat dieses Vertrags verboten ist; (g) die Stationierung, Aufstellung oder Verbreitung von Kernwaffen oder anderen Kernsprengkörpern in seinem Hoheitsgebiet oder an einem Ort unter seiner Hoheitsgewalt oder Kontrolle zu gestatten.“

Ich werde mich darauf beschränken, an den Ursprung und den Wert des AVV und der zivilgesellschaftlichen Bewegung, die zu ihm geführt hat, zu erinnern sowie den Blick auf seine Grenzen zu lenken, die ihn einschränken, und einige bescheidene Gedanken über die Zukunft von Atomwaffen hinzufügen.

Wie und warum ist der AVV entstanden?

Erstens gibt es einen grundlegenden Unterschied zwischen dem Nichtverbreitungsvertrag (Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen oder Nuklearer Nichtverbreitungsvertrag, kurz NVV) von 1970 und dem AVV. Der NVV wurde nur von den fünf (damaligen) Atommächten (USA, UdSSR, Großbritannien, Frankreich, China: auch wenn Israel schon die Atombombe hatte, es aber bis heute nicht offiziell zugibt) begrüßt und ausgehandelt, wobei es nur darum ging, den Weg der Bombe in andere Länder zu blockieren. So sehr, dass sie den berühmten Artikel VI mit dem „Seemannsversprechen“ „gewährten“, die „Verhandlungen in gutem Glauben“ fortzusetzen, um ein Abkommen zur vollständigen Abrüstung zu erreichen. Eine Heuchelei, die durch neun fünfjährige Überprüfungskonferenzen (2020 wurde sie wegen der Pandemie verschoben) bestätigt wurde, in denen die nicht-nuklearen Staaten vergeblich den effektiven Beginn des Abrüstungsprozesses gefordert hatten. Gerade aus der Beobachtung der sturen Entschlossenheit der Atomwaffenstaaten, diese Waffen nicht aufzugeben, entstand vor 16 Jahren in der Zivilgesellschaft die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen (ICAN), der es gelang, das Thema bei der UNO vorzubringen, die die Verhandlungen vorantrieb, die am 7. Juli 2017 den Text des AVV verabschiedeten. Die Teilnahme der Zivilgesellschaft an den UN-Verhandlungen war eine große Neuheit, aber auch die Teilnahme aller UN-Staaten, die dazu bereit waren, stellten einen großen Unterschied zu den NVV-Verhandlungen dar.

Die Stärken des AVV …

Tatsächlich war die Entstehung des AVV wortwörtlich antithetisch zu der des NVV, da die Nuklearstaaten wie auch die NATO-„Satelliten“ sich konsequent weigerten, an den Verhandlungen teilzunehmen. Das bedeutete, dass die Verhandlungen innerhalb weniger Monate abgeschlossen waren, während die NVV-Verhandlungen Jahre dauerten.

Unter den Staaten, die den AVV ratifiziert haben, sind viele kleine Länder, die viele von uns vielleicht bis jetzt nicht kannten: Beispielsweise Antigua und Barbuda, die Komoren, Fidschi, Kiribati, Palau, St. Kitts und Nevis, Tuvalu, Vanuatu.

Aber hier liegt auch die große Neuheit: Staaten, die trotz der Arroganz der Atommächte (1) endlich zu Wort kommen. Ein grundlegender Baustein der Demokratie, wie in der UN-Vollversammlung: Ein Staat – eine Stimme.

… und einige Schwachpunkte

Es gibt jedoch ein paar nicht zu vernachlässigende Schwachstellen des AVV.

Die erste ist, dass sich unter den Staaten, die an den Verhandlungen teilnahmen, die Position durchsetzte, die Entwicklung von Nukleartechnologie für zivile Zwecke zuzulassen.

Ein zweiter Punkt war sehr viel umstrittener, nämlich die Anerkennung der Möglichkeit für Staaten, die dem AVV beitreten, aus diesem auszutreten, wenn „höchste Interessen eines Landes“ gefährdet sind (Art. 17): Damit wird implizit zugegeben, dass Atomwaffen unverzichtbar sein können, was ihrem Verbot und ihrer Abschaffung für immer entgegensteht. Doch während der Verhandlungen war es klar, dass ohne diese Ausstiegsklausel viele Staaten dem AVV nicht zugestimmt hätten. Es sollte ebenso daran erinnert werden, dass der NVV ausdrücklich das Recht anerkennt, sich mit einer dreimonatigen Kündigungsfrist ohne jegliche Bedingungen zurückzuziehen – das hat Nordkorea getan, und auch noch angesichts der Drohungen der Vereinigten Staaten innerhalb von drei Jahren eine Bombe gebaut.

Schwierige Beziehungen zu Atomstaaten für einen Abrüstungsprozess

Es besteht kein Zweifel daran, dass die Dinge viel komplexer, langsamer und schwieriger gewesen wären, wenn die Atomstaaten an den Verhandlungen teilgenommen hätten: Keines der teilnehmenden Länder besaß Atomwaffen und musste sich verpflichten, diese zu beseitigen.

In einem Artikel mit Elio Pagani haben wir versucht, die Komplexität eines Prozesses der vollständigen Abschaffung von Atomwaffen anzusprechen. In der extremen Synthese ist es unrealistisch zu denken, dass eine Atommacht einseitig beschließt, ihre eigenen Atomwaffen zu eliminieren, wenn auch aus keinem anderen Grund, als dass sie sich in einem Zustand extremer Verwundbarkeit gegenüber den anderen befinden würde. Denn in der Geopolitik zählen Loyalität und guter Glaube nicht: Eine spezifische und äußerst komplexe Verhandlung unter allen Atomstaaten wird notwendig sein (die voraussichtlich in der Lage sein werden, höchstens „Zuschauer“ ohne Stimmrecht zu akzeptieren), um eine ausgewogene Eliminierung mit strengen Kontrollsystemen zu etablieren. Immerhin geschah dies nach der Auflösung der Sowjetunion und des kommunistischen Blocks mit mühsamen Verhandlungen der Verträge zur Reduzierung von Strategischen Waffen (START I, II und New START), obwohl sie sich nicht das Ziel einer vollständigen Eliminierung gesetzt haben.

In dieser Hinsicht ist eine entschiedenere Aussage von Alessandro Pascolini in dem von mir zitierten Bo-Live-Artikel besonders beunruhigend, denn sie steht im Widerspruch zur Prämisse des AVV, „zu ihrer vollständigen Beseitigung zu führen“, und zur allgemeinen Wahrnehmung des Vertrags: „Für Länder mit Nuklearwaffen, die dem Vertrag beitreten wollen, werden Bedingungen festgelegt, die eine Strafe und ein Verfahren vorsehen, welche selbst von Staaten, die ihre Nuklearwaffen aufgeben wollen, kaum akzeptiert werden dürften, sodass der AVV als Instrument zur nuklearen Abrüstung praktisch wirkungslos ist, nicht zuletzt, weil er nicht darauf abzielt, die notwendigen Voraussetzungen für eine atomwaffenfreie Welt zu schaffen.“ (2)

Wichtige Entscheidungen der NATO-Staaten

Angesichts des heftigen Widerstands von Mächten mit eigenen Atomwaffenlagern gegen den AVV wäre es von entscheidender Bedeutung, die Front zu durchbrechen, um den Beitritt der europäischen Länder, die US-Atomsprengköpfe „beherbergen“, und generell der Länder, die dem Atlantischen Bündnis angehören, anzuregen. Selbst wenn die NATO weiterhin die Abhängigkeit des Bündnisses von Atomwaffen (der USA, Frankreichs und Großbritanniens) bekräftigt, gibt es für einen Staat, der keine eigenen Atomwaffen besitzt, kein wirkliches Hindernis, den AVV zu unterzeichnen: Vor allem Staaten, die keine Atomwaffen „beherbergen“, könnten sich recht leicht an die Normen des AVV halten, natürlich solange sie die Würde haben, sich dem „Washingtoner Konsens“ zu entziehen, der der eigentliche Klebstoff der NATO ist – denn in Wirklichkeit streiten sich die Mitgliedsstaaten über alles!

Es gibt viele Vorstöße in diese Richtung. Am 16. Januar 2020 stimmte das belgische Parlament (das 20 US-Atomsprengköpfe „beherbergt“) über eine vom Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten des Parlaments vorgelegte Resolution ab, die die Beseitigung der NATO-Waffen aus dem Staatsgebiet und den Beitritt Belgiens zum AVV forderte: Die Resolution wurde mit einer sehr knappen Mehrheit abgelehnt – 66 Stimmen dafür und 74 dagegen – lediglich fünf Stimmen, die dies entschieden (https://www.peacelink.it/disarmo/a/47222.html).

Auf der ICAN-Liste kursieren verschiedene Nachrichten über den wachsenden Druck von verschiedenen politischen Kräften in verschiedenen Ländern.

Man hat den Eindruck, dass eine Blase kurz vor dem Platzen ist. Und der Abgrund, der die unumkehrbare Krise von Politik und Gesellschaft in den USA darstellt (mit der konkreten Bedrohung, dass ein Präsident einen Atomkrieg auslösen könnte), sollte gerade dazu ermutigen, sich von der Abhängigkeit von diesem Land zu distanzieren: Selbst Ratten verlassen ein sinkendes Schiff!

Die zukünftigen Schritte der AVV-Staaten

Der Vertrag sieht vor, dass die AVV-Vertragsstaaten ein Jahr nach seinem Inkrafttreten ihre erste Sitzung abhalten, und diese ist bereits für Januar 2022 in Wien angesetzt: Hoffentlich wird die Zahl der Vertragsstaaten bis dahin die Zahl von 51 überschritten haben. Der Treaty Monitor enthält bereits eine Reihe von Vorschlägen für einen Aktionsplan zur Umsetzung des Vertrags, selbstverständlich vorläufig und inoffiziell (https://banmonitor.org/news/recommendations-for-the-first-meeting-of-states-parties-to-the-tpnw).

Die erste davon ist interessant: Der Aktionsplan sollte von den Nuklearstaaten verlangen, bilateral und/oder multilateral in Verhandlungen einzutreten, um das nukleare Wettrüsten zu beenden und einen allgemeinen Abrüstungsprozess einzuleiten, wobei die Beteiligung der Zivilgesellschaft und internationaler Organisationen an den Verhandlungen hervorgehoben werden sollte.

Die kommende Herausforderung

Ich überlasse diese Überlegungen dem gemeinsamen Nachdenken. Das Problem scheint mir über den AVV hinauszugehen: Ab heute wird das Verbot von Atomwaffen zu einer Regel des Völkerrechts. Das ist zweifellos eine Tatsache von großer Bedeutung, aber wir wissen sehr wohl, dass die Anwendung einer Norm von den Kräfteverhältnissen auf der Ebene der Gesellschaft, in diesem Fall auf der geopolitischen Ebene, abhängt. Heute, nach 76 Jahren, ist das Gesetz zwar schon lange in Kraft, aber immer noch aktuell. Heute, nach 76 Jahren, wird das Recht der kleinen Länder und der kleinen Völker zu einer internationalen Norm, entgegen dem Willen großer und abgestumpfter Mächte.

Von der Deklaration von Rechten bis zu ihrer Umsetzung ist es oft ein sehr großer Schritt, manche Grundrechte sind noch weit von ihrer Verwirklichung entfernt, andere werden ständig in Frage gestellt (man denke nur an das Abtreibungsrecht). Der berühmte Spruch „Gib mir einen Punkt, wo ich hintreten kann, und ich bewege die Erde“ kommt mir oft in den Sinn: Nun, heute haben wir einen Punkt – das Vorantreiben des Atomwaffenverbots wird noch ein langer und schwieriger Prozess sein, es wird vom Bewusstsein und der Entschlossenheit der Völker der Erde abhängen, zu fordern, dass ein Verbot Realität wird! Nehmen wir das heutige Datum als ein gutes Omen.

(1) Für diejenigen, die ihn nicht kennen (zweifellos junge Leute), empfehle ich, sich ein Meisterwerk der Satire aus dem Jahr 1959 anzusehen, den Film The Mouse That Roared, in dem der großartige Peter Sellers vier oder fünf verschiedene Charaktere spielt. Es geht um das winzige Herzogtum Grand Fenwick, dessen einzige Quelle des Reichtums der Export des berühmten gleichnamigen Weins ist. Als dieser auch noch von den Vereinigten Staaten hergestellt wird, erleiden die Finanzen des Herzogtums einen irreparablen Zusammenbruch. Also wird der Plan verfolgt, den Vereinigten Staaten den Krieg zu erklären, ihn zu verlieren und dann finanzielle Subventionen zu erhalten. Die Kriegserklärung wird vom Außenministerium abgeschmettert, während sich eine Gruppe von Soldaten, bewaffnet mit Rüstungen, Bögen und Pfeilen, auf ein Boot begab. In New York angekommen, finden sie die Stadt menschenleer vor, weil eine Anti-Atom-Übung im Gange ist. Die Krieger wandern durch die weiten, menschenleeren Straßen und denken, dass die Vereinigten Staaten in Alarmbereitschaft für ihre Landung sind – doch sie führen ihre Suche nach jemandem fort, der sie besiegen kann, denn dies ist ihre Mission. So stoßen sie auf Professor Kokinz, der ungeachtet des Alarms an der Q-Bombe bastelt, die enorm leistungsfähiger ist als die H- Bombe, aber die Größe eines Rugbyballs hat. Sie haben dann die geniale Idee, den Professor und seine Tochter mit der Bombe gefangen zu nehmen und ebenso General Ship, der mit vier Agenten auf der Suche nach den Kriegern von Grand Fenwick war, fälschlicherweise nach Marsianern. Die ganze Gruppe wird auf das Boot gesetzt, das sie zurück nach Europa bringt. Bei der Ankunft im Herzogtum herrscht allgemeine Bestürzung, weil die Aufgabe darin bestand, den Krieg zu verlieren. Als jedoch bekannt wird, dass das Herzogtum im Besitz der Q-Bombe ist, schicken die wichtigsten Staaten der Welt ihre Agenten, um über den Kauf zu verhandeln, während die Vereinigten Staaten gezwungen sind, die Kapitulation zu unterzeichnen. Die Finanzen des Herzogtums florieren wieder. Doch jemand versucht, die Bombe zu stehlen, eine Art Rugbyspiel wird in Gang gesetzt, und die Bombe purzelt zu Boden: Allgemeiner Schrecken, die Bombe macht etwas Lärm, aber dann … springt eine kleine Maus heraus.

(2) Artikel 4 würde eine komplexe und notwendige Verhandlung zwischen den Nuklearstaaten zur kontrollierten Abschaffung von Atomwaffen sehr erschweren, wie wir in dem zitierten Artikel von Baracca und Pagani dargelegt haben: Als ob ein Nuklearstaat selbstständig über die Abschaffung von Atomwaffen entscheiden könnte und sich damit einer sehr riskanten Verwundbarkeit aussetzen würde (man denke z.B. an Indien und Pakistan, die immer kurz vor einem bewaffneten Konflikt standen). Artikel 4 Absatz 2: „Jeder Vertragsstaat, der abweichend von Artikel 1 Buchstabe a Kernwaffen oder sonstige Kernsprengkörper besitzt, innehat oder kontrolliert, muss diese unverzüglich aus dem Betriebszustand entfernen und so bald wie möglich, spätestens jedoch bis zu einem auf der ersten Tagung der Vertragsstaaten festzulegenden Termin, in Übereinstimmung mit einem rechtsverbindlichen und zeitgebundenen Plan zur verifizierten und unumkehrbaren Beseitigung des Kernwaffenprogramms dieses Vertragsstaats, einschließlich der Beseitigung oder unumkehrbaren Umwandlung aller kernwaffenrelevanten Einrichtungen, zerstören. Der Vertragsstaat legt den Plan innerhalb von 60 Tagen nach Inkrafttreten dieses Vertrags für diesen Vertragsstaat den Vertragsstaaten oder einer von den Vertragsstaaten benannten zuständigen internationalen Behörden vor. Dieser Plan wird dann mit der zuständigen internationalen Behörde ausgehandelt, die ihn der nächsten Tagung der Vertragsstaaten oder der Überprüfungskonferenz, je nachdem, was zuerst vorgesehen ist, zur Genehmigung gemäß ihrer Geschäftsordnung vorlegt.“

 

Übersetzung aus dem Italienischen von Chiara Pohl vom ehrenamtlichen Pressenza-Übersetzungsteam. Wir suchen Freiwillige!