Beteiligung an Mord, Körperverletzung und Beihilfe zu sexuellem Missbrauch – so lauten die Vorwürfe von Opfern der Colonia Dignidad gegen Hartmut Hopp. Er war der Leiter des Krankenhauses jener 1961 in Chile gegründeten deutschen Sektensiedlung, in der unbezahlte Zwangsarbeit, sexualisierte Gewalt und zwangsweise Verabreichung von Psychopharmaka an der Tagesordnung waren. Hopp war enger Vertrauter des Sektenchefs Paul Schäfer und galt als Verbindungsmann zum chilenischen Geheimdienst DINA , der während der Pinochet-Diktatur auf dem Gelände der Colonia Dignidad ein Folterlager einrichtete und Dutzende politische Gefangene ermordete. Die Staatsanwaltschaft Krefeld stellte die strafrechtlichen Ermittlungen gegen Hopp im Mai 2019 ein. Nun hat auch die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf eine Wiederaufnahme dieser Ermittlungen abgelehnt.

In Chile wurde Hartmut Hopp 2013 vom Obersten Gerichtshof rechtskräftig verurteilt: zu einer Haftstrafe von fünf Jahren wegen Beihilfe zu sexuellem Missbrauch und Vergewaltigung von Kindern durch Paul Schäfer. Doch Hopp entzog sich dieser Strafe, indem er sich 2011 nach Deutschland absetzte. Seitdem lebt er unbehelligt in Krefeld. Als deutscher Staatsangehöriger wird er nicht nach Chile ausgeliefert. Ein Antrag Chiles, wonach er seine chilenische Haftstrafe in Deutschland verbüßen sollte, wurde 2018 abgelehnt.

Kein hinreichender Tatverdacht

Nach einer Anzeige der Rechtsanwältin Petra Schlagenhauf, die Opfer der Sekte vertritt, leitete die Staatsanwaltschaft Krefeld 2011 ein Ermittlungsverfahren gegen Hopp und andere ein – wegen der Beteiligung an Mord in Form von Verschwindenlassen politischer Gefangener auf dem Gelände der Colonia Dignidad, wegen Körperverletzung in Form von zwangsweiser Verabreichung von Psychopharmaka ohne medizinische Indikation und wegen Beihilfe zu sexuellem Missbrauch von Kindern.

Noch immer nicht aufgeklärt: das Schicksal der verschwundenen politischen Gefangenen. Kundgebung in Krefeld, 2018 / Foto: Ute Löhning

2019 stellte die Staatsanwaltschaft dieses Verfahren ohne Anklageerhebung ein. Nach umfangreichen Ermittlungen könne „ein für eine Anklageerhebung erforderlicher hinreichender Tatverdacht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt begründet werden“, hieß in der Einstellungserklärung schon damals. Schlagenhauf betonte jedoch, mehrere von ihr angebotene Zeugen seien nie vernommen worden und legte Beschwerde gegen die Einstellung der Ermittlungen ein.

Die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf als nächsthöhere Instanz lehnte diese Beschwerde nun ab und erklärte, ein „hinreichender Tatverdacht gegen den Beschuldigten“ könne nicht begründet werden, „Beweismittel oder erfolgversprechende Ermittlungsansätze, mit denen eine Beteiligung des Beschuldigten“ etwa am Mord an drei Oppositionellen in Chile im Jahr 1976 nachgewiesen werden könnten, lägen auch nach erneuter Prüfung nicht vor.

Deutsche Justiz begreift Dimension der Verbrechen nicht

„Die Ermittlungen sind nie mit der notwendigen Tiefe und Energie geführt wurden, dass sie überhaupt eine Entscheidung ermöglichen, ob am Schluss eine Anklage gerechtfertigt ist“, kritisiert Anwältin Schlagenhauf hingegen. Mehrere Täter flüchteten sich inzwischen in den „sicheren Hafen Deutschland“ , um der chilenischen Justiz zu entgehen. Insgesamt habe die deutsche Justiz vor den Verbrechen der Colonia Dignidad versagt und „nicht begriffen, in welcher Dimension diese stattgefunden haben“. Deren Aufklärung „hätte erfordert, dass man sehr tief und sehr aufwändig und aus eigener Initiative sehr viel recherchieren und ermitteln muss. Diese Bereitschaft habe ich nicht gesehen“, so Schlagenhauf.

Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) erklärt in einer schriftlichen Stellungnahme, den Ermittlungsbehörden fehle es an dem nötigen Verständnis für die Komplexität des Systems Colonia Dignidad. Für eine Gesamtbetrachtung müsse die ganze Struktur – und nicht nur der Einzelfall – ermittelt werden. Den Betroffenen bleibe nun eine Dienstaufsichtsbeschwerde, der Versuch eine Klage gegen Hopp zu erzwingen, später vielleicht auch der Gang zum Bundesverfassungsgericht oder zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.

Straflosigkeit in Deutschland

Jan Stehle vom Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL ) hat für seine Doktorarbeit alle Ermittlungsverfahren der deutschen Justiz gegen die Colonia Dignidad der vergangenen 60 Jahren untersucht. „Sie alle wurden mit der Begründung eingestellt, es habe kein dringender Tatverdacht vorgelegen. In keinem Fall wurde Anklage erhoben“, erklärt Stehle. Die Ermittlungen gegen Hopp waren die letzten noch laufenden Ermittlungen in Deutschland. Mit der jetzigen Entscheidung werde Tätern, die sich nach Deutschland flüchteten, um sich der chilenischen Justiz zu entziehen, erneut signalisiert, dass Deutschland ein „sicherer Hafen“ für sie sei, so Stehle.

Angehörige von Verschwundenen protestieren vor der deutschen Botschaft in Santiago gegen die Einstellung der Ermittlungen gegen Hopp / Foto: AFDD Talca

Das ECCHR spricht von einer „langen Kette des Nichthandelns“ seitens der deutschen Justiz in Bezug auf Ermittlungen der in der Colonia Dignidad begangenen Verbrechen. Der Antifolterausschuss der UNO äußerte sich bereits 2019 in seinem Bericht zu Deutschlands Umsetzung der UN-Antifolterkonvention sehr besorgt, dass das Verhalten Deutschlands die Straflosigkeit von Folterern fördere.

Dabei hatte der Bundestag 2017 beschlossen, die Bundesregierung solle die Verbrechen der Colonia Dignidad aufklären und alles Mögliche auch zur Unterstützung der juristischen Aufklärung tun. Die Angehörigen der Verschwundenen Gefangenen jedenfalls fordern seit Jahren, die deutsche Justiz solle zur Aufklärung des Schicksals ihrer Liebsten beitragen.

E-Mail wurde erfolgreich kopiert

 

E-Mail wurde erfolgreich kopiert

 

E-Mail wurde erfolgreich kopiert

 

E-Mail wurde erfolgreich kopiert

 

E-Mail wurde erfolgreich kopiert

Der Originalartikel kann hier besucht werden